Münchner Oberbürgermeister:"Nicht aus der Verantwortung stehlen"

Preise und Mieten in München steigen. Die Umlandgemeinden sollten mehr Bauland ausweisen, sagt Dieter Reiter. Aber auch Bund und Land sieht er in der Pflicht.

Interview von Peter Fahrenholz und Andreas Remien

Allein in München werden im Jahr 2030 gut 200 000 Einwohner mehr leben als heute. Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) will daher gemeinsam mit dem Umland Strategien entwickeln, um den Wohnungsbau in der Region anzukurbeln. Den Anfang hat im März eine große Konferenz im Rathaus gemacht. Weitere Projekte sollen bald folgen.

SZ: Wohnen in München ist etwa um die Hälfte teurer als vor zehn Jahren. Der Zuzugsdruck wird weiter andauern. Kann München sein Wohnungsproblem ohne das Umland lösen?

Dieter Reiter: Den Bevölkerungszuwachs werden wir langfristig nicht innerhalb unserer engen Stadtgrenzen bewältigen können. Stadt und Umland müssen sich dieser Herausforderung gemeinsam stellen. Deshalb habe ich im März zu einer großen regionalen Wohnungsbaukonferenz eingeladen. Die Konferenz ist bei den Bürgermeistern der Umlandgemeinden und Landräten sehr gut angekommen und als positives Signal gewertet worden.

Welche konkreten Ergebnisse hat die Wohnungsbaukonferenz gebracht?

Wir werden zum Beispiel im November gemeinsam mit Bussen nach Berlin fahren und die zuständigen Ministerinnen und Minister darauf aufmerksam machen, vor welchen Herausforderungen die Kommunen stehen. Der Bund kann sich nicht aus der Verantwortung stehlen. Alle Bürgermeisterinnen und Bürgermeister aus dem Umland, aber auch aus der Region sind eingeladen mitzufahren, egal von welcher Partei. Es werden also sicher mehrere Busse fahren. Außerdem gibt es diverse andere Projekte, zum Beispiel die gemeinsame Planung von Schulen. Wir eröffnen damit neue Wege der Zusammenarbeit, die es vor fünf Jahren so nicht gegeben hat.

Vor fünf Jahren hat es das Wohnungsproblem in München auch schon gegeben. Warum kommt es erst jetzt zu solchen gemeinsamen Initiativen?

Das kann ich natürlich in der Rückschau schwer beurteilen. Aber es spielt auch keine Rolle. Ich will, dass wir heute und in Zukunft mit dem Umland besser zusammenarbeiten.

Viele Bürgermeister im Umland wollen aber gar kein Wachstum. Wie können Sie diese Gemeinden überzeugen, mehr Wohnraum zu schaffen?

Ziegelstapel in einem Neubaugebiet, 2013

Im Münchner Umland müsste deutlich mehr gebaut werden, um die steigenden Mieten und Preise in den Griff zu bekommen.

(Foto: Johannes Simon)

Diese Kommunen sind eher die Ausnahme. Es bringt auf Dauer auch nichts, eine Art Mauer um sich herum zu bauen und niemanden mehr hereinzulassen. Das funktioniert nicht. Natürlich muss es auch mehr Anreize geben. Die Wohnungsbaukonferenz hat ja gezeigt, wie wichtig in diesem Zusammenhang das Thema Verkehrsinfrastruktur ist. Es gibt durchaus viele Gemeinden, die bereit sind, Wohngebiete auszuweisen - dafür brauchen sie aber erst einmal die notwendige Verkehrsanbindung.

Heißt das auch, dass die Stadt bereit ist, finanziell mehr zu tun als sie eigentlich müsste?

Ja, das heißt es tatsächlich. Wir haben uns freiwillig zu einem dreistelligen Millionenbetrag für die zweite S-Bahn-Stammstrecke verpflichtet. Man muss sich aber jedes einzelne Beispiel genau anschauen. Ich habe ja auch eine Verantwortung den Münchner Steuerzahlern gegenüber.

Könnten Sie sich auch vorstellen, sich am Ausbau des S-Bahn-Netzes jenseits der Stadtgrenze zu beteiligen?

Bei der S-Bahn muss man schon auf die Zuständigkeiten achten. Hier müssen die investieren, die auch die Erträge haben: Bund, Land und die Bahn. Dass die Stadt München etwa auf ihre Kosten eine S-Bahn-Station baut, kann ich mir deshalb nicht vorstellen. Diese Forderung ist aber auch noch nicht an mich herangetragen worden. Die Bürgermeister wünschen sich eher die eine oder andere neue Buslinie. Da kann ich mir vorstellen, dass die Stadt neue Verbindungen mitfinanziert.

Das Umland profitiert sehr stark von der Stadt München. Man nutzt die Infrastruktur, die kulturellen Einrichtungen, die Freizeiteinrichtungen. Haben Sie den Bürgermeistern auf der Konferenz auch mal gesagt: Ihr habt was von uns, jetzt gebt uns auch mal ein bisschen mehr zurück?

Ich fürchte, das war eher der Grundtenor der vergangenen zehn Jahre. Natürlich weiß jeder Umlandbürgermeister und jeder Landrat, dass er von München profitiert. Wenn man aber mit erhobenem Zeigefinger auf die Umlandgemeinden zugeht und ihnen sagt, sie müssten mehr tun, weil ihre Bürgerinnen und Bürger in München ins Theater oder in die Oper gehen, dann könnte es mit der Akzeptanz schnell vorbei sein. Da beruft sich jeder ganz schnell auf seine Planungshoheit und sagt: Lass mich bitte in Ruhe. Dieses Gefühl war über Jahrzehnte prägend. Ich versuche gerade, das aufzubrechen.

Dieter Reiter, 2015

Dieter Reiter, seit Mai 2014 Münchner Oberbürgermeister, will mit den Umlandgemeinden auf Augenhöhe sprechen. Sonst komme man "keinen Schritt weiter".

(Foto: Robert Haas)

Sie vermeiden also jegliche Sonnenkönig-Allüren.

Auf jeden Fall. Man muss die Zusammenarbeit auf Augenhöhe suchen, sonst kommt man keinen Schritt weiter.

Die bayerische Staatsregierung hat die jüngsten Forderungen, mehr Mittel für den Großraum München bereitzustellen, klar abgelehnt. Tut das Land zu wenig, um die Probleme, die das enorme Wachstum in dieser Region mit sich bringt, zu lösen?

Ja, das sehe ich schon so. Das Land muss verstehen, dass es ohne den Großraum München ganz anders dastehen würde. Ohne München würde sich Bayern schwer- tun, eine schwarze Null im Haushalt zu schreiben und Gewicht im Konzert der deutschen Länder zu haben. München ist der wirtschaftliche Eckpfeiler, der Wirtschaftsmotor im Land. Deshalb muss man dafür Sorge tragen, dass die Region weiter erfolgreich bleibt.

München und viele Umlandgemeinden fordern zusätzliche 800 Millionen Euro für einen Zeitraum von fünf Jahren. Die sozial orientierten Wohnungsunternehmen halten sogar eine noch wesentlich höhere Wohnraumförderung für nötig.

Ein Sondertopf mit 800 Millionen Euro für fünf Jahre ist sicher nicht zu hoch gegriffen. Die Forderung ist nicht übertrieben oder populistisch, sondern realistisch. Es hat mich deshalb auch gewundert, wie pauschal der bayerische Innenminister den Vorschlag abgelehnt hat - ohne überhaupt darüber zu diskutieren. Das ist ein merkwürdiger Stil.

Projektentwickler klagen über lange Genehmigungsverfahren. Sind für eine intensivere Zusammenarbeit zwischen Stadt und Umland mehr Geld und Personal nötig?

Wir haben uns ja eine Verwaltungsreform vorgenommen. Ich will, dass wir alle Prozesse durchgehen und verbessern - dazu gehören Bebauungsplan, Flächennutzungsplan oder Baugenehmigung. Das Planungsreferat soll überprüfen, wie die Verfahren doppelt so schnell wie bisher ablaufen können. Der Prozess von der grünen Wiese bis zur Baugenehmigung muss viel schneller gehen. Dafür wird es auch Veränderungen in den Aufgabenzuschnitten geben. Bisher sind oft sechs oder sieben Referate beteiligt. Und auch die Verbindung zum Umland wollen wir institutionell auf die Beine stellen. Es soll kleinere Kreise und schnelle Zugriffe geben.

Müsste man, um die Zusammenarbeit mit dem Umland zu optimieren neue Institutionen schaffen, etwa ein Regionalparlament, das auch wirklich was zu entscheiden hätte?

Wir müssen versuchen, unsere Ziele in den vorhandenen Strukturen zu erreichen. Derzeit kann ich mir überhaupt nicht vorstellen, dass die Gemeinden Kompetenzen an ein irgendwie geartetes Parlament abgeben würden.

Es ist nicht nur die Frage entscheidend, ob gebaut wird, sondern auch, was gebaut wird. Im Umland entstehen in der Regel Reihenhaussiedlungen oder Einfamilienhäuser. Müssten mehr Umlandgemeinden über ihren Schatten springen und Geschosswohnungen bauen?

Das habe ich auf der Konferenz laut gesagt. Wir sollten Bauland möglichst effektiv nutzen. Wenn es aber zum Beispiel noch Ortsvorschriften gibt, dass man beim Bau eines Einfamilienhauses 1500 Quadratmeter Grund nachweisen muss, dann ist der Flächenfraß viel zu groß. Von solchen Vorschriften wird man weggehen müssen. Es ergibt keinen Sinn, wenn nur Einfamilien- und Reihenhäuser gebaut werden. Das heißt nicht, dass es im Umland nur noch Geschosswohnungsbau geben soll. Die Mischung muss stimmen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: