Darmstadt 98:Alles krass, alles anders

31 07 2015 xfux Fussball Testspiel SV Darmstadt 98 Betis Sevilla emspor v l Aytac Sulu SV Da; Darmstadt

Kopfballduell unter Brüdern: Aytac Sulu (links) und Florian Jungwirth kämpfen gegen Betis Sevilla um den Ball.

(Foto: imago/Jan Huebner)

Der Aufsteiger pflegt seine Außenseiterrolle. Das 3:1 im Testspiel gegen Betis Sevilla liefert einen guten Vorgeschmack darauf, was die Bundesliga erwarten darf. Gerade am Böllenfalltor.

Von Frank Hellmann, Darmstadt

Vermutlich hätten die meisten Anhänger auch bis zum Sonnenuntergang gewartet. Aber so lange hat es an diesem lauen südhessischen Sommerabend gar nicht gedauert, bis die Helden die kleine, steile Treppe aus den dunklen Katakomben des Stadions am Böllenfalltor erklommen, um ins Freie zu gelangen. Was die Protagonisten des SV Darmstadt 98 dann nach dem erfolgreichen Testspiel gegen Betis Sevilla (3:1) erwartete, hat zumindest diejenigen nicht überrascht, die hier schon länger angestellt sind.

Torwart Christian Mathenia, Kapitän Aytac Sulu oder Offensivmann Jan Rosenthal konnten gar nicht auf den Parkplatz kommen, ohne die ausharrende Fanschar mit Autogrammen und Selfies zu bedienen. Dort bitte eine Unterschrift leisten, da ins Smartphone grinsen. Niemand würde an diesem Standort von Kundenbindung reden. Weil es nicht zu den "Lilien" passen würde, die sich diesen Slogan gegeben haben: "Aus Tradition anders."

Also erfüllt der Fußballer die Wünsche, die ihm der Fan nach einem Freundschaftsspiel abverlangt. Die Bilder vor der Haupttribüne vom Freitagabend haben auch Fernsehteams eingefangen - und gleich noch Interviews mit den Spielern gemacht. Die Botschaft: ein betont bodenständiger Klub erobert die Herzen im Oberhaus. Ganz so als sei die gute, alte Zeit der 70er und 80er Jahre stehen geblieben, als die Grenzen zwischen dem Profi und seinem Publikum verschwammen.

1978 die Feierabendprofis, 1981 die Rückkehrer, 2015 die Wahnsinnigen

Nicht wenige Sympathisanten waren am Freitag in der Straßenbahn Richtung Böllenfalltor mit den blauen "Uffsteiger"-T-Shirts gefahren, auf denen eben die drei besonderen Spielzeiten der Vereinsgeschichte aufgedruckt sind. 1978: "Die Feierabendprofis". 1981: "Die Rückkehrer". Und jetzt 2015: "Die Wahnsinnigen". So hat Torjäger Dominik Stroh-Engel in einem bierseligen TV-Interview nach dem verrückten Relegationsspiels bei Arminia Bielefeld im vergangenen Jahr mal diese Ansammlung Ausgemusterter und Ausgestoßener bezeichnet.

Tatsächlich ist der südhessische Ansatz, mit einem Low-Budget-Kader, der in erster Linie auf woanders gescheiterte Existenzen setzt, genauso irrwitzig wie die nach den umstehenden Pappeln benannte Spielstätte, deren Gegebenheiten im Grunde nicht mal Drittliga-Ansprüchen genügt. Aber kann so etwas nicht auch die Bundesliga bereichern?

Die Bayern werden in sieben Wochen so staunen wie van der Vaart am Freitag

In zwei Wochen kommt es zum Heimauftakt gegen Hannover 96, bereits in sieben Wochen spielt der FC Bayern in Darmstadt vor, und vermutlich werden die meisten Münchner so entgeistert schauen wie am Freitag der noch geschonte prominente Betis-Zugang Rafael van der Vaart, wenn sie den uralten Kabinentrakt betreten. In der Arena in Fröttmaning ist vermutlich allein die Schiedsrichterkabine geräumiger als die Gäste-Umkleide.

Wer das Grinsen von Trainer Dirk Schuster erspähte, als der jetzt die unterschiedlichen Marktwerte des FC Bayern (568 Millionen Euro) und Darmstadt (16 Millionen) kommentieren sollte, der konnte erahnen, welche Vorfreude den Baumeister ergriffen hat. "Ich bin stolz, dass unser Kader schon so viel wert ist." Für einen Verein, der vor zwei Jahren mit einem Bein bereits in der Regionalliga stand, ist das in der Tat beachtlich. Trotzdem sagte der Fußballlehrer auch jetzt wieder - selbst nach einem erstaunlich reifen Vortrag gegen den spanischen Aufsteiger (Tore durch Florian Jungwirth, Stroh-Engel und Rosenthal) - seinen Lieblingssatz auf: "Wir sind der krasseste Außenseiter der Bundesliga-Geschichte."

Rausch, Spitzname "Kocka", begeistert die neuen Kollegen

Was den einst im ehemaligen Karl-Marx-Stadt geborenen, inzwischen aber eigentlich in Karlsruhe beheimateten Schuster nicht davon abhält, sein Aufgebot erstligatauglich zu trimmen. Da der 47-Jährige mindestens zur Hälfte noch Manager-Aufgaben ausfüllt - sein Vater Eberhard ist gleichzeitig als Scout tätig - arbeitet er daran dieser Tage fast rund um die Uhr. Mit einigem Erfolg. Gegen Sevilla zeigten die Zugänge Luca Caldirola (Werder Bremen) und Konstantin Rausch (VfB Stuttgart) starke Vorstellungen, der in dieser Woche verpflichtete Junior Diaz (FSV Mainz) gab ein Kurzdebüt. Vor allem der quirlige, dynamische Linksfuß Rausch, der mit Irrwisch Marcel Heller ständig die Seiten tauschte, könnte ein echtes Schnäppchen sein. Über Rausch, Spitzname "Kocka", sprachen die Kollegen mit höchster Achtung. Der gebürtige Niedersachse Rosenthal, schon in Hannover sein Mitspieler, pries ihn hinterher als einen, "der uns qualitativ sofort einen Mehrwert gebracht hat."

Noch zwei, drei Profis dieser Kategorie will Schuster für das Abenteuer begeistern. Gesucht werden ein Rechtverteidiger ("würde uns gut zu Gesicht stehen") und vor allem mindestens ein Angreifer ("will mir gar nicht ausdenken, wenn sich einer noch verletzt"). Die Kandidaten müssen willig und billig sein, denn der Weg der wirtschaftlichen Vernunft ist oberste Prämisse für einen lange darbenden Traditionsverein. Der Lizenzspielerkader darf in der Summe nur 15 Millionen Euro kosten.

Wer passt da ins Beuteschema? Sandro Wagner (Hertha BSC) wird gehandelt, auch Milan Djuric (AC Cesena). Vielleicht auch Mohammed Abdellaoue (VfB Stuttgart)? Der Angreifer, bei den Schwaben nicht mehr berücksichtigt, hat sich zuletzt angesehen, wie begeisterungsfähig sich der Darmstädter Anhang gibt. Und wie gering die Berührungsängste sind: Als den 25-Jährigen auf der Haupttribüne ein "Lilien"-Fan im Sulu-Trikot um ein Erinnerungsfoto bat, hat der norwegische Nationalspieler marokkanischer Herkunft nicht mal Nein gesagt. Vielleicht als Vorgeschmack auf das, was auch ihm hier noch bevorsteht.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: