Türkei:Kurden im Visier

Die türkische Justiz geht gegen den Chef der pro-kurdischen Oppositionspartei HDP vor. Der bestreitet die Vorwürfe, die die Staatsanwaltschaft erhebt.

Von Mike Szymanski, Istanbul

Inmitten der neu aufgeflammten Kämpfe der türkischen Regierung gegen die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK geht die Justiz nun offenbar auch gegen die parlamentarische Vertretung der Kurden vor, die pro-kurdische HDP. Die Staatsanwaltschaft in Diyarbakır will nach übereinstimmenden Berichten türkischer Medien gegen den Parteivorsitzenden Selahattin Demirtaş ermitteln. Der Vorwurf lautet, Demirtaş habe Bevölkerungsteile zur Bewaffnung provoziert und gegeneinander aufgewiegelt.

Nach Angaben des Senders CNN Türk handle es sich im Moment noch um eine Voruntersuchung. Falls die Staatsanwaltschaft zu dem Ergebnis komme, dass eine Straftat vorliegt, werde sie das Parlament bitten, seine Immunität aufzuheben. Sollte es zur Anklage kommen, drohen Demirtaş 24 Jahre Haft. Offenbar beziehen sich die Anschuldigungen auf den vergangenen Herbst. Damals hatten Kurden im syrischen Grenzgebiet gegen die Milizen des Islamischen Staates (IS) um die Stadt Kobanê gekämpft. Als die türkische Regierung zunächst den kurdischen Kämpfern Hilfe verweigert hatte, war es zu schweren Unruhen in der Türkei gekommen.

Der Konflikt zwischen Kurden und türkischer Regierung ist nach einem Anschlag auf ein pro-kurdisches Treffen in Suruç mit 32 Toten am Montag vergangener Woche neu eskaliert. Die PKK wies der Regierung eine Mitschuld an dem Anschlag zu, für den Ankara den IS verantwortlich machte. Die PKK griff deshalb Sicherheitskräfte an, woraufhin Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan den Friedensprozess mit den Kurden aufkündigte.

Die HDP unterhält enge Verbindungen zur PKK und gerät seit Beginn der neuen Auseinandersetzungen zunehmend unter Druck. Erst vor wenigen Tagen hatte Erdoğan gefordert, den HDP-Abgeordneten die Immunität zu nehmen. Wer Verbindungen zu Terroristen unterhalte, müsse den "Preis dafür zahlen", hatte Erdoğan erklärt. Demirtaş bestreitet die Vorwürfe. "Wir haben zur PKK überhaupt keine Beziehungen", behauptete er am Donnerstag in einem ZDF-Interview. Dies sei "schmutzige Propaganda" des türkischen Präsidenten. Die HDP bekomme von niemandem Anweisungen, "auch nicht von der PKK".

In der HDP werden die Ermittlungen als Versuch gewertet, die Partei vor möglichen Neuwahlen zu schwächen. Die HDP-Abgeordnete Feleknas Uca sagte der Süddeutschen Zeitung: "Das ist keine Drohkulisse. Das ist Rachepolitik der AKP." Bei der Wahl Anfang Juni hatte die HDP mit 13 Prozent überraschend deutlich den Einzug ins Parlament geschafft. Der Erfolg ging maßgeblich auf den charismatischen Demirtaş zurück. Erdoğan und die von ihm gegründete AKP verloren die absolute Mehrheit. Die Suche nach einem Koalitionspartner stockt. Neuwahlen im Herbst erscheinen wahrscheinlich. Sollte die HDP mit der Gewalt der PKK in Verbindung gebracht werden, dürfte ihr dies erheblich schaden. Gegen den Parteivorsitzenden Demirtaş werden derzeit noch andere Klagen vorbereitet, heißt es in türkischen Medien.

Am Donnerstag weitete Ankaras Luftwaffe offenbar ihre Angriffe auf die PKK aus. 30 türkische Kampfjets bombardierten Stellungen der Rebellen im Nordirak, wie türkische TV-Sender berichteten. Es seien erneut Unterstände, Lager und Höhlen der Rebellen attackiert worden. Die Armee habe Vergeltung geübt für einen mutmaßlichen PKK-Anschlag auf einen Militärkonvoi im Südosten der Türkei, hieß es. Nach Angaben der Armee wurden bei dem Angriff in der Provinz Sirnak drei türkische Soldaten erschossen. Bei anschließenden Gefechten wurde demnach auch ein PKK-Aktivist getötet. Bereits am Mittwochabend waren im Südosten der Türkei ein Polizist und ein Zivilist erschossen worden. Laut Behörden sind bisher insgesamt elf Sicherheitskräfte von der PKK getötet worden. Nach Angaben der Zeitung Hürriyet wurden durch die Luftangriffe seit der vergangenen Woche bisher 190 PKK-Kämpfer getötet und 300 verwundet. Die Regierung wollte dazu keine Angaben machen. Am Donnerstagabend verteidigte sie ihre Offensive: Die Türkei sei durch die Angriffe der PKK zum Handeln gezwungen worden, so Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu. Kritiker werfen der Regierung dagegen vor, die Luftangriffe auf den IS in Syrien nur aufgenommen zu haben, um gleichzeitig gegen die Kurden vorgehen zu können.

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