Redaktionsbesuch:Der Unbekannte

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Wie Billiard, nur anders: Die Snooker-Fangemeinde in Deutschland ist, trotz Fernsehdauerpräsenz bei Eurosport, überschaubar.

(Foto: Paul Gilham/Getty)

Eurosport ist für viele der Sender, auf dem ständig Snooker läuft. Noch. Von 2018 an ist dort Olympia zu sehen. Ob das gut geht?

Von Max Hägler

Ein kleiner Einwand ist es, der die Lage von Eurosport gut beschreibt. Wie schön, dass die ARD wieder über die Tour de France berichte, sagte John Degenkolb vor Kurzem. Jetzt könne ihm die Familie wieder beim Radfahren zuschauen. Den Leuten bei Eurosport hat das wehgetan. "John ist einer der besten Typen im Rennzirkus", sagt Gernot Bauer, "aber den Kommentar hätte es nicht gebraucht." Der stellvertretende Chefredakteur von Eurosport, ein gebürtiger Landshuter, läuft gerade an der Champs Élysées entlang, an diesem letzten Tag der Tour de France, zum Regiewagen, wo die Bilder geschnitten werden. So treu sei sein Sender dem Radsport, murmelt Bauer. Und trotzdem hat Degenkolb Eurosport da irgendwie vergessen. Das kratzt an der Ehre des Journalisten. Denn seit Jahren kann man dem Radler im TV zuschauen, auch in Zeiten, als die ARD abgeschaltet hatte angesichts des andauernden Dopings: Eurosport überträgt die meisten der großen Fahrten. Hunderte Stunden, vieles davon live. In Deutschland und in Dutzenden anderer Länder.

Doch Eurosport, das ist eben ein Sender, der zwar irgendwie zum deutschen Fernsehinventar dazugehört, der von 2018 an sogar Olympia übertragen wird. Aber der nie richtig angekommen ist bei der breiten Masse. Nur 0,7 Prozent Zuschaueranteil hat er, nicht einmal einer von 100 fernsehenden Deutschen schaltet ein. Weil der Sender recht weit hinten ist beim Zappen. Weil er so unvorhersehbar ist, mit seinem Mix aus Snooker, Tennis und Radrennen. Weil man nicht so genau weiß, wer dahinter steckt. Weil er so ganz anders arbeitet als die gewohnten deutschen Sender, gerade als ARD und ZDF. Die hacken jetzt, nach der überraschenden Vergabe der Olympia-Senderechte, herum auf der privaten Konkurrenz: Eurosport mache doch keine richtig journalistische Arbeit. Das stimmt so nicht, aber bei Eurosport arbeiten sie mit einer brutalen Effizienz und andauernden Kompromissfähigkeit. Das lässt sich bei dieser letzten Etappe dieser Tour ganz gut betrachten, die in Paris endet, wo zugleich das Hauptquartier dieses Senderverbundes ist.

Die Live-Kommentare werden nicht vor Ort, sondern vorm Fernseher eingesprochen

Am südwestlichen Stadtrand haben sie einige Etagen belegt. Gar nicht so viel Platz, wie man erwarten würde angesichts der Zahlen: 137 Millionen Haushalte in 54 Ländern erreicht der Sender mit Berichten über 120 Sportarten, in 20 Sprachen. Eine babylonische Aufgabe für die nur 50 Journalisten, die in der Zentrale für das internationale Programm und die Koordination der kleinen Länderdependancen zuständig sind. Oder wie Gernot Bauer sagt: ein stete Operation am offenen Herzen.

Da sind zum einen die Übertragungsrechte: Nicht immer hat Eurosport alle in allen Ländern eingekauft, dann müssen Alternativprogramme gefahren werden, meist Aufnahmen aus der Konserve. Aber selbst wenn alles einheitlich läuft, sind oft Kompromisse nötig: Wann genau schaltet die Zentrale von der Live-Übertragung eines Curling-Events zum Tennis? "Wir versuchen das immer zu optimieren", sagt Bauer, "ab er es gibt immer einige, die sich stören werden." Entweder eben die Curling- oder die Tennis-Fans. Und dann die Bilder. Das Rohmaterial wird oft zugeliefert von den Veranstaltern, die ihrerseits für einen Millionenaufwand Produktionsfirmen beauftragt haben. Aber wie schneidet man das zusammen? Ein französischer TV-Regisseur arbeitet etwa mit vielen Zeitlupen, will Schmerzen zeigen bei Fouls, während der Deutsche die Entstehung analysiert, steriler ist. Kompromisse auch hier. "Wir haben einen internationalen Blickwinkel", nennt das Bauer.

Das Lokalkolorit kommt über die Kommentare. Oft entstehen sie vorm Bildschirm und nicht vor Ort. Es ist ein Kunststück 20 parallel zu koordinieren, aus Sprecherkabinen in München, Rom oder Paris. Es gibt keine Redakteure, die an der Seite sitzen oder in einem Ü-Wagen und die langweiligen Momente überbrücken können. "Wenn wir das so machen würden, wären wir in einem halben Jahr Bankrott", sagt Bauer, der aus seiner Zeit als Sky-Reporter solchen Luxus kennt.

Man will Werbekunden und auch Zuschauern gefallen - in dieser Reihenfolge

Wer kommentiert bei Eurosport, tut das also weitgehend ohne Helfer, ohne Kontrollinstanz. Bei Werner Kastor war das einmal lustig anzuhören, dem Politikwissenschaftler, der Boxen so sachkundig wie kritisch begleitet. Vor zwei Jahren klingelte sein Handy - und er ging ran, auf Sendung: "Ich kann jetzt nicht. Ich bin mitten in der Übertragung." Klar, schnörkellos, auf den Sport konzentriert, manchmal mit Fehlern. Die Zuschauer kennen das und mögen das mutmaßlich.

Gegründet haben den Nischensender 1989 mehrere öffentlich-rechtliche Stationen, die ihre diversen Senderechte selbst nicht nutzen konnten. Später übernahm der französische Privatsender TF1. Und vor zwei Wochen hat der US-Konzern Discovery Communications vermeldet, nun alle Anteile gekauft zu haben. Auch Discovery ist in Deutschland recht unbekannt, dabei erreicht dieser Verbund eigenen Angaben zufolge drei Milliarden Zuschauer, in Deutschland etwa via Dmax. Wer die Frage stellt, ob das auch Gewinn bringt, schaut am besten auf das Gehalt des Chefs: David "Zas" Zaslav bekam im vergangenen Jahr 156,1 Millionen US-Dollar überwiesen. Ziemlich olympisch.

Das Prinzip von Discovery ähnelt dem von Eurosport. Es geht um Economies of Scale, um Skaleneffekte: Man kaufe Übertragungsrecht für Dutzende Länder, produziere einmal die Bilder - bei Discovery sind es Dokus, bei Eurosport Sportberichte -, reichere das dann mit einigen Kommentaren und Moderationen an, verkaufe die Werbeplätze - und schon lässt sich gut Geld verdienen. Zumal wenn man wie Eurosport noch ein paar zusätzliche Pay-TV-Kanäle anbietet, die Hardcore-Fans rund um die Uhr versorgen.

Bei Eurosport steht dahinter ein mitunter schwieriges Verständnis von Journalismus: Man ist Teil des Zirkus. Man wolle Werbekunden, Partner, Zuschauer und Anteilseigner zufriedenstellen, hat der Konzern letzthin als Devise ausgegeben. In dieser Reihenfolge. Die Distanz zum Objekt der Berichterstattung ist nicht so sehr gefordert - wie es sonst Leitbild im Journalismus ist. "Wir sind Teil dieser Unterhaltungsindustrie, das ist eine Herausforderung, vielleicht manchmal ein Problem", sagt Eurosport-Geschäftsführer Peter Hutton, während die Gäste im Zelt an der Tour-Strecke Champagner trinken und Lachshäppchen gereicht bekommen. Aber das sei doch oft so im Journalismus. Damit müsse man umgehen lernen, wie etwa eine Lokalzeitung, die sich dauernd zwischen Stadtrat, Lesern und Anzeigenkunden bewege. Wobei die Nähe im Sport noch weiter geht; die Tour wurde einst von der Zeitung L'Auto erfunden, um die nachrichtenarme Zeit zu überbrücken. Nicht zu vergessen: Die ARD war einmal Co-Sponsor des Teams Telekom. Der frühere ARD-Sportkoordinator Hagen Boßdorf schrieb die Biografie von Jan Ullrich. Und selbst ohne solches Extra-Engagement gilt: Wer Rechte kauft für eine Übertragung, will sich das nicht völlig kaputtschießen, natürlich nicht. Weder die Öffentlich-Rechtlichen noch Eurosport.

Zur Show will Hutton sein teuer erworbenes Programm aber nicht verkommen lassen: "Wir müssen sagen, wenn etwas falsch läuft." Solch klare Ansagen, die seine Leute übrigens gerade beim Thema Doping befolgen, könnten damit zu tun haben, dass Hutton, ein unkomplizierter Brite, selbst vom Journalismus kommt und nicht aus der Wirtschaft wie TV-Manager sonst oft. In seiner Schulzeit kommentierte er im Lokalradio Cricket, später arbeitete er bei der BBC, berichtete etwa von der Tragödie im Stadion von Hillsborough und moderierte schließlich bei Sky. Bis er dann in den Rechtehandel wechselte, wo Milliarden Euro umgesetzt werden und wo Discovery und Eurosport zu den ganz großen Playern gehören.

Hutton mischt sich indes immer noch in das Redaktionelle ein: Eurosport, sagt er, sei eine gute Idee, aber 30 Jahre alt. Der Sender müsse sich ändern, müsse anfassbarer werden. "Wir wollen dazu investieren: In noch mehr Rechte, in Produktionen, in die Digitalisierung - und, ja, auch in den Journalismus." Weniger Liveberichte, mehr Dokus und Storys, also mehr Discovery, das ist seine erstaunlich journalistische Devise, die seine Redakteure freut, aber auch fordert. Und lokaler soll alles werden: Nationale Moderatoren sollen künftig nationale Geschichten erzählen. Über John Degenkolb und all die anderen. Vorausgesetzt, sagt Hutton, dass dann noch Skaleneffekte da seien. So weit eben, wie der Kompromiss trägt.

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