TSV 1860 München:Suche nach dem Schlusspunkt

Vor seinem ersten Heimspiel gegen den SC Freiburg beschäftigen 1860 existenzielle Fragen: Was kostet die Trennung von Gerhard Poschner? Und wer stoppt Stürmer Petersen?

Von Philipp Schneider

Drei Dinge waren bemerkenswert an der Pressemitteilung, die der TSV 1860 München am Donnerstag verschickte, um die Trennung von Sportchef Gerhard Poschner zu verkünden: Sie bestand aus sieben Zeilen, war also so kurz gehalten, dass es für ein Dankeschön an Poschner keinen Platz gab. Sie enthielt einen Satz, der offenbar zeitgleich von mehreren Personen gesprochen wurde, was man sonst nur von Donald Ducks Neffen Tick, Trick und Track kannte (",Damit ist eine Entscheidung gefallen. Wir machen jetzt einen Punkt hinter diese Angelegenheit', erklären die beiden Löwen-Gesellschafter."). Und natürlich die Tatsache, dass überhaupt ein Punkt hinter eine Angelegenheit gesetzt wurde. Die Schlusspunktsetzerei ist ohnehin meist hochgradig verdächtig, insbesondere aber, wenn es der TSV 1860 ist, der einen Schlusspunkt setzen möchte.

In Wahrheit ist es natürlich so, dass noch immer eine ganze Reihe von Fragen ungeklärt sind: Wie wird der wohl unausweichliche Rechtsstreit mit Poschner ausgehen und wie viel wird er 1860 (also vor allem Investor Hasan Ismaik) kosten? Wie lange wird Scout Necat Aygün Übergangssportchef bleiben? Und: Wer wird Poschners Nachfolger?

Am Freitag lud zunächst einmal der unverwüstliche Trainer Torsten Fröhling zu einer Pressekonferenz, in der er sehr gerne über andere Themen plaudern wollte. Beispielsweise über den Höhepunkt der Woche aus seiner Sicht. Immerhin steht an diesem Samstag (15.30 Uhr) das erste Heimspiel dieser Zweitligasaison an, in dem Sechzig blöderweise gleich gegen den ehemaligen Erstligisten SC Freiburg antreten muss. Eine Mannschaft, "die, denke ich mal, sehr gut aus den Startlöchern gekommen ist", sagte Fröhling, aber das war nach dem 6:3 des SC zum Auftakt gegen Nürnberg nicht nur ihm aufgefallen. "Uns erwartet eine spielstarke Mannschaft, die ihre neuen Spieler sehr gut integriert hat und die Nürnberg sehr schnell abgeschossen hat, nach nur ein paar Minuten." In der Tat. Und verhindern muss Fröhling ein ähnliches Schicksal nun mit seiner Truppe aus der vergangenen Abstiegs-Relegation, deren wenige neuen Spieler (drei - Freiburg hat sieben) mit Trainingsrückstand verpflichtet wurden und daher noch nicht ganz so gut integriert sind.

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Mittelfeldmann Korbinian Vollmann (links), 21, und Verteidiger Vladimir Kovac, 24, sind zwei der vielen Nachwuchsspieler, die Fröhling aus der U21 holte.

(Foto: imago/Philippe Ruiz)

Immerhin kündigte Fröhling an, dass er den robusten brasilianischen Innenverteidiger Rodnei erstmals in den Kader berufen wird: "Klar fehlt ihm noch die Spielpraxis, klar fehlt ihm das Verständnis, mit der Mannschaft zu spielen, klar fehlt ihm noch ein bisschen die Spritzigkeit", sagte Fröhling: "Ich meine, er hat ja einen ganz schönen Körper zu bewegen." Andererseits hat Rodnei seinen ganz schönen Körper in dieser Woche bei einem Ausdauertest beachtlich schnell bewegt: 3350 Meter lief er in zwölf Minuten. Für einen 29-jährigen Spieler, der auch mit Masse beeindruckt, war das kein schlechter Wert. Die Frage wird sein, ob Rodnei schon spritzig genug ist, um gleich in seinem ersten Einsatz für Sechzig auf Stürmer Nils Petersen aufzupassen, für den Fröhling sein System nicht groß ändern möchte. Petersen habe ein "sehr gutes Auftaktspiel hingelegt, aber das muss er erst einmal bestätigen." Entscheidend sei, sagte Fröhling, "dass wir seine Laufwege einschränken. Und alle zehn Feldspieler müssen ihre Pressingzonen einhalten. Aber wir werden wegen Petersen keine Manndeckung spielen." Unklar war noch, ob es Mittelfeldspieler Daniel Adlung, für den der dünne Kader keine Alternative bereithält, trotz seines Außenbandrisses im Sprunggelenk in den Kader schaffen wird. Einen "Härtetest" am Nachmittag überstand er. Dann reiste er als 19.

Mann mit ins Hotel. Und dann musste der Trainer, obwohl das ja gar nicht sein Zuständigkeitsbereich ist, doch noch über all jene Dinge reden, hinter die Sechzig einen Schlusspunkt setzen möchte: Natürlich sei der Zeitpunkt der Trennung von Poschner etwas ungünstig, "kurz vor dem ersten Heimspiel", sagte Fröhling. Die Spieler würden sich schon Gedanken machen: "Poschi war ja nun mal auch der Chef von den Jungs." Andererseits hat er die neue sportpolitische Lage bei Sechzig so interpretiert, dass Necat Aygün vorerst in Verantwortung bleibt. Die in der Pressemitteilung gewählte Formulierung, Aygün arbeite "bis auf Weiteres" als Sportchef, könne "auch bedeuten, dass er drei Jahre weitermacht", hat Fröhling spitzfindig erkannt. Wobei das eher unwahrscheinlich ist. Zeitnah wird der Posten dem Vernehmen nach neu besetzt werden. Allerdings soll zuvor - wie schon bei Poschner - Hasan Ismaik zustimmen, der in den kommenden Wochen in München erwartet wird. Und der sich, da der Fastenmonat Ramadan geendet hat, mit seinem Privatflugzeug wieder verstärkt auf Reisen begeben hat.

02 06 2015 Relegationspiel TSV 1860 vs Holstein Kiel Allianz Arena München Fussball 02 06 2015 Rel; Guillermo Vallori Necat Aygün TSV 1860 München Fußball Philippe Ruiz/Imago

Plötzlich Sportchef: Necat Aygün, 35, bislang Scout

(Foto: imago/Philippe Ruiz)

Ehe es so weit ist, soll Aygün noch ein paar Transfers tätigen, zu denen auch der vereinslose Rechtsverteidiger Patrick Ochs gehören könnte. Dass Ochs ein Löwe werden soll, bestätigte Fröhling indirekt, indem er kritisierte, er fände es "natürlich hervorragend, dass die Namen von Spielern, die ich gerade erst mit mir selber bespreche, schon in der Zeitung stehen".

Die wohl einzige leidige Debatte, die Fröhling am Freitag erspart blieb, war jene um eine mögliche Abfindung für Poschner. Nach SZ-Informationen beschäftigen sich die Anwälte beider Seiten auch mit der Frage, ob der ehemalige Geschäftsführer Sport die vom Gesetzgeber vorgesehene 14-tägige Einspruchfrist gegen seine Degradierung eingehalten hat. Oder ob er sich verrechnet hat.

Am vergangenen Montag hat Poschner dem Vernehmen nach seinem ehemaligen Vertrauten Noor Basha eine Kündigung überreicht, deren Fristlosigkeit er vor allem mit der mündlich verkündeten Rückstufung zum Sportdirektor begründet haben soll. Würden die Sonntage (und nicht nur Werktage) mit eingerechnet, hätte Poschner exakt 15 Tage nach dem Tag der Mitgliederversammlung gekündigt, an dem er spätestens von seiner Degradierung erfahren hat. Wäre das nicht einen Tag zu spät? Wer eine Antwort auf diese Frage findet, könnte eines fernen Tages auch einen Schlusspunkt setzen.

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