Kurzkritik:Erkenntnisarm

Tanzwerkstatt Europa: Felix Ruckerts "Zen Spanking"

Von SABINE LEUCHT

Und wieder wackelt das Sitzfleisch. Bei Doris Uhlich war es nackt und 19-fach vorhanden. Bei Mette Ingvartsen vibrierte es am androgynen Körper als intelligenter, witziger Marker verschiedener Tanzstile. Und bei der vierten Performance der diesjährigen Tanzwerkstatt Europa ließen große Teile des (Fach-)Publikums zur finalen Entspannung ihre eigenen Hintern hüpfen. Denn Felix Ruckert, selbsternannter Erforscher des kunstvollen Sex und Créateur "partizipativer Stücke" mit transformativer Absicht, suchte in der Tanztendenz Novizen und Novizinnen für ein "zeitgenössisches Kloster". Wonach der BDSM-Guru selbst als Abt respektive Zeremonienmeister im transparenten Ajourkleid durch den Raum federte, um nach rudimentären Atemübungen mit seinen Jüngern rasch zur Sache zu kommen, die da wäre: Man tut sich paarweise zusammen.

Einer geht in den Vierfüßlerstand, der andere holt tief Luft; und zwischen Streichelbewegungen hebt sich fließend der rechte Arm, geht der Blick empor zur nämlichen Hand und verweilt bei diesem Werkzeug der Liebe, Lust und Strafe. Und wenn diese dann knallend auf den Partner-Hintern trifft, geht die mit dem ersten Täteratemholen in die Liebes-Leidens-Skulptur geströmte Energie zum Mund des Opfers als Stöhnen wieder hinaus. So zumindest sieht es aus, wenn man Ruckert und seiner Domina-Gespielin zusieht. Bei den Partizipanten von "Zen Spanking" aber geht zunächst so viel durcheinander oder im Kichern unter, dass schnell die kollektive Entlassung droht. Dann aber beugt sich der zwiefache Klostervorstand der Bereitschaft, für das Weitermachen-Dürfen zu betteln ("Das ist die Haltung, die wir bevorzugen!") und Fortschritte stellen sich ein.

Es geht um Gehorsam und Vertrauen bei diesem Experiment, das sich in die zwischen SM-Party, sozialer Kontaktimprovisation und Präsenzforschung mäandernde Dauerchoreografie einreiht, die Ruckert seit Jahren in seinem Berliner Studio Schwelle 7 anrichtet. Für den, der sich nach dem Einzelgespräch mit ihm gegen die Unterwerfung und für das "Touristen"-Dasein entscheidet, bietet es wenig mehr als die nicht neue Erkenntnis, dass religiöse und diverse sexuelle Praktiken gleichermaßen das Leid fetischisieren. Und - nachdem die belgische Choreografin und Tänzerin Lisbeth Gruwez endlich regelkonform oder doch schon lustvoll (?) ihre Hand auf den Hintern ihres Münchner Kollegen Manfred Kröll niedersausen ließ - den Anblick eines wahrhaft köstlichen Erschreckens.

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