Prozess gegen IS-Kämpfer:"Ich bin weder Dschihadist noch Salafist"

  • Vor dem Oberlandesgericht Celle beginnt das Verfahren gegen zwei IS-Kämpfer aus Deutschland.
  • Der 27-jährige Ayoub B. und der 26-jährige Ebrahim H. B. waren für die Terrormiliz im Krieg.
  • Die Bundesanwaltschaft bezweifelt, dass Ayoub B. seinen Fanatismus hinter sich gelassen hat.

Von Peter Burghardt, Celle

Es ist nicht weit von Wolfsburg nach Celle, eine gute Fahrstunde durch Niedersachsen. Doch für Ayoub B. und Ebrahim H. B. führte die Reise aus ihrer Heimatstadt in diesen bunkerhaften Saal des Celler Oberlandesgerichts durch Schlachtfelder Syriens und des Irak, die von dieser Kleinstadt mit ihren Fachwerkfassaden unwirklich weit zu sein scheinen. Wenn beider Berichte annähernd stimmen, dann erzählen ihre Geschichten verstörend davon, wie zwei Kinder deutsch-tunesischer Familien aus einem zunächst relativ normalen Leben bei der Horrormiliz Islamischer Staat (IS) landeten. Und dieser Prozess soll klären, was ihre Odyssee und ihre Rückkehr nach Deutschland bedeuten.

Vor einem Jahr waren beide noch im Krieg. Nach Heimkehr und Verhaftung begann am Montag jetzt das Verfahren: Die Bundesanwaltschaft wirft den jungen Männern unter anderem die Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung IS vor. Ayoub B., 27 Jahre, soll mit Waffen ins Gefecht gezogen sein. Ebrahim H. B., 26 Jahre alt, war für einen Selbstmordanschlag in Bagdad vorgesehen. Werden sie verurteilt, dann müssen die mutmaßlichen Aussteiger bis zu zehn Jahre lang ins Gefängnis. Als die Angeklagten den streng gesicherten Verhandlungsraum betraten und kurz gefilmt und fotografiert werden durften, verbarg Ayoub B. sein Gesicht hinter einem leeren Aktenordner, und Ebrahim H. B. drehte sich ab. Aber dann saßen sie beide da, hinter sich Polizisten, vor sich Panzerglas, Juristen, Reporter und wenige Zuschauer, darunter Verwandte.

Der gedrungene Ebrahim H. B. hat bereits etwas schütteres Haar und schon gesagt, was er bisher sagen wollte. Dem Rechercheteam von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung schilderte der Untersuchungshäftling kürzlich, wie er an Wolfsburger Dschihadisten geriet, dass er sich in der irakischen Hauptstadt in die Luft sprengen sollte, wie er floh und dem Horror abschwor. "Gefängnis in Deutschland ist mir viel lieber als Freiheit in Syrien", sprach er. In den kommenden Tagen sagt er in Celle aus. Den Anfang machte der schmale Ayoub B., er stützte seinen Wuschelkopf allerdings in seine Hände und ließ seinen Verteidiger sprechen.

Er machte mühsam den Realschulabschluss, verfiel den Drogen

Der zwei Stunden lange Vortrag war ein Streifzug durch ein Leben, das Stück für Stück aus den Fugen geriet. Geboren wurde Ayoub B. am 1. Mai 1988 in Wolfsburg, sein Vater arbeitet bei Volkswagen, ist gemäßigter Muslim und Mitglied der Demokratischen Partei Tunesiens. Das mittlere der fünf Kinder tat sich schwer, machte mühsam den Realschulabschluss, verfiel den Drogen und lernte radikale Islamisten ausgerechnet dann kennen, als er es über eine Zeitarbeitsfirma doch noch zu VW geschafft hatte. Ayoub B. buchte einen Flug zu seiner Verlobten in Tunesien und leaste einen VW Golf, ehe er sich von seinen neuen Freunden aus der Moschee überreden ließ, sich probeweise in Syrien zu versuchen. Er wollte, so erfährt man, dort nur Kriegsopfern helfen und "den Islam und das islamische Leben verstehen lernen".

Stattdessen fand sich der Koranschüler im Juli 2014 in einem syrischen IS-Lager wieder, hörte ständig das Wort Dschihad und musste sich entscheiden, ob er Kämpfer oder Selbstmordattentäter werden wollte. Pass, Mobiltelefon und Tausende Euro gab er ab, dann ging es nach mehrwöchigem Drill mit Gehirnwäsche an die Front. Die IS habe Mossul erobert, und er dürfe dabei helfen, Bagdad einzunehmen. Über ihn und seine Familie wussten seine Kommandanten hervorragend Bescheid, eine Flucht sei anfangs unmöglich gewesen. Ein Foto im Netz zeigte ihn mit Kalaschnikow und IS-Flagge; zwischendurch trug er auch einen Sprengstoffgürtel - aus Selbstschutz gegen Entführer.

Dann geriet der Deutsch-Tunesier aus Wolfsburg als Chauffeur eines Sanitätsfahrzeuges des IS in ein irakisches Gemetzel, sah erstmals entstellte Leichen, übergab sich vor Abscheu und wurde bei einem Unfall verletzt. Danach sei er unter einem Vorwand zurück ins syrisch-türkische Grenzgebiet geflüchtet und schließlich in die Türkei. Er rasierte den Bart ab, Brüder und Vater brachten ihn im August 2014 heim nach Deutschland. Obwohl ihm IS-Leute gedroht hätten, sie würden ihn "schlachten".

Hat er den Fanatismus wirklich hinter sich gelassen?

So erzählt sein Anwalt das. Ist es die Wahrheit? Die Bundesstaatsanwaltschaft hat Zweifel, ob er den Fanatismus hinter sich gelassen hat. "Allahu akbar", Allah ist groß, rief Ayoub B., als er nach mehren Gesprächen mit den Behörden am 15. Januar 2015 festgenommen wurde. Er habe sich von den Medien "vorgeführt gefühlt", rechtfertigt er sich. Maschinengewehrfeuer und religiöse Gesänge habe er in seiner Zelle auch nur imitiert, weil man ihn provoziert habe. Und seine Chats im Internet hätten oft taktische Gründe gehabt, um den IS nicht noch misstrauischer zu machen. "Ich bin weder Dschihadist noch Salafist", sagt Ayoub B. "Meine Inhaftierung ist mir völlig unverständlich." Die Celler Richter werden befinden, was von alledem zu halten ist.

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