Genussmittel oder Teufelszeug?:Trip ins Ungewisse

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Illustration: Lisa Borgenheimer (Foto: Lisa Borgenheimer)

Manche Risiken des Cannabis-Konsums müssen Wissenschaftler erst noch klären. Ob eine Freigabe trotzdem gefahrlos möglich wäre, ist auch eine kulturelle Frage.

Von Kathrin Zinkant

Am Anfang war diese Paste. Der Pariser Arzt mischte sie aus Honig, Nüssen und dem Harz eines Hanfes, das die Araber so liebten. Dann lud er Freunde ein. Sie hießen Dumas, Balzac, Hugo, waren Schriftsteller und sehr experimentierfreudig, wenn es um den Rausch ging. Und so aßen sie die Paste, zelebrierten kreative Exzesse und gründeten den Club des Hachichins.

Er blieb eine sehr kurze Episode in der europäischen Drogenkultur. Zu den Mythen, die sich um besagte Hanfpflanze ranken, trug er aber gewiss seinen Teil bei. Und manch einer wird an diesem Samstag vielleicht an die Freigeister von damals denken, denn in Berlin wird zum 19. Mal für den Hanf marschiert, für Cannabis sativum, das in Deutschland illegal ist. Die Demonstranten werden deshalb auch für nützliche Dinge aus den Fasern der Pflanze werben. Seile, Taschen, Dämmmaterial. Doch im Kern geht es darum, die Legalisierung der Droge Cannabis zu fordern. Haschisch und Marihuana für alle. Die Botschaft ist klar, selbst der Ort ist bewusst gewählt: Zum zweiten Mal beginnt die Parade auf dem Washingtonplatz, und das ist gewiss nicht nur der verkehrsgünstigen Lage am Berliner Hauptbahnhof geschuldet. Vor zwei Jahren hatte Washington als einer der ersten zwei Bundesstaaten in den USA Cannabis legalisiert. Mittlerweile ist Marihuana in der Mehrheit der amerikanischen Staaten für den medizinischen Gebrauch legal. Und in vier von ihnen hat die Droge sogar jetzt einen ähnlichen Status wie Bier und Wein. Kein Wunder, dass die Begehrlichkeiten in Deutschland wachsen. Und mit ihnen die Neugier: Ist das Zeug denn wirklich gefährlich? Gibt es zwischen dem verbotenen Cannabis und einer legalen Substanz wie Alkohol einen großen Unterschied?

Die Antworten darauf sind nicht so simpel, wie viele Alt-Konsumenten glauben möchten. Das liegt zum einen am Cannabis selbst: Die Droge hat sich verändert, ist schärfer geworden. Die Konzentration des wichtigsten Wirkstoffs, Tetrahydrocannabinol (THC), ist in modernen Hybridzuchten um ein Vielfaches höher als im Stoff der 1970er-Jahre. Zum anderen sind sich auch Wissenschaftler nicht ganz einig, wie Drogen zu bewerten sind. Während von Experten in Deutschland meist Risiken einzelner Stoffe hervorgehoben werden, gibt es unter Forschern im europäischen Ausland zunehmend Kritik an dieser Sicht. So hatte der britische Psychopharmakologe und damalige Regierungsberater David Nutt vor Jahren gefordert, die Politik müsse sich mit ihrer Drogengesetzgebung an den wissenschaftlichen Fakten orientieren. Die Briten ordnen Substanzen in Gefahrenklassen von A (sehr schlimm) bis C (bedenklich) ein. Die meisten Drogen finden ihren Weg in diese Schubladen aufgrund von Vorurteilen.

Mit Kollegen stellte Nutt deshalb eine Liste von 20 Substanzen auf, einen Vergleich der Schädlichkeit, berechnet anhand der verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnis. Alkohol führt diese Liste unangefochten an. Tabak rangiert auf Platz 6. Cannabis folgt erst dahinter, auf Position 8. Seinen Job war Nutt damit los, doch das Beispiel zeigt, was auch Cannabis-Anhänger zu Recht beklagen: Die gesetzliche Bewertung von Drogen entspricht nicht zwingend ihrer tatsächlichen Gefährlichkeit. Oder, besser: dem, was Wissenschaftler über diese Gefährlichkeit wissen.

Das meiste ist über die zwei einschlägigen legalen Drogen bekannt, die jährlich weltweit mehr als sieben Millionen Menschenleben fordern. "Die Alkoholabhängigkeit ist die gravierendste Abhängigkeitserkrankung, mit der wir in Deutschland zu tun haben - neben der Nikotinabhängigkeit", sagt der Suchtmediziner Thomas Hillemacher, Professor an der Medizinischen Hochschule in Hannover. Der einst von Kanzlerin Angela Merkel geäußerte Verdacht dagegen, Cannabis mache noch schneller und stärker abhängig als Zigaretten oder Schnaps, ist haltlos. Tatsache ist zwar: Kiffen kann süchtig machen. Aber das Suchtpotenzial von Hasch und Gras unterscheidet sich nicht wesentlich von dem des Alkohols, wie Hillemacher bestätigt. Und es erreicht beileibe nicht jenes von Tabak: Raucher werden oft schon nach der ersten Zigarette abhängig.

Der Stoff beeinflusst offenbar die Reifung des Gehirns von Teenagern

Doch Cannabis mag eine seit Langem genutzte Droge sein, auf den meisten Feldern schneidet das Kraut nur deshalb nicht schlechter ab als die legalen Substanzen, weil Experten noch immer viel zu wenig über die Folgen des häufigen Gebrauchs wissen. Wenn geforscht wird, dann vor allem an der Wirkung auf das Gehirn von Teenagern. Und das könnte im Zusammenhang mit einer Legalisierung durchaus wichtig werden, selbst wenn es eine Altersgrenze gibt. Studien haben belegt, dass schon der erlaubte medizinische Gebrauch von Cannabis die Hemmungen Minderjähriger senkt, sich den Stoff zu beschaffen und ihn zu konsumieren. Einmal. Viele Male. Und es mehren sich die Hinweise, dass ein früher intensiver Gebrauch von Cannabis die Reifung des Gehirns ganz erheblich behindert. Zum Beispiel im Belohnungssystem, in das THC als Wirkstoff direkt eingreift und das den Menschen eigentlich in die Lage versetzen soll, Glück und Zufriedenheit zu empfinden.

Rainer Spanagel, Professor am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim, hält es für verfrüht, Cannabis als Genussmittel zu deklarieren. Er sieht dabei die Lücken in der Forschung "Wir wissen zum Beispiel überhaupt nicht, wie Alkohol und Cannabis zusammen wirken", sagt der Psychopharmakologe. Vor allem aber fehle die kulturelle Erfahrung, mit Cannabis im gesellschaftlichen Kontext umzugehen. "Wir leben hier in einer Leistungsgesellschaft", sagt Spanagel. Cannabis werde zwar im arabischen Raum seit Jahrhunderten genutzt. Die Substanz beeinflusst stark die Psyche und wirkt entspannend; ob der Missbrauch von Cannabis im Einklang mit unseren Leistungsprinzipien stehe, bleibe aber fraglich.

Vielleicht konnte das Pflänzchen Cannabis, als es im industriellen Aufbruch aus Arabien nach Europa kam und noch legal war, deshalb keine Fangemeinde gewinnen. Die Menschen wollten sich nicht entspannen, sie wollten den Leistungsrausch. Oder die komplette Betäubung. Kokain und Heroin sind wegen dieser Wirkungen heute noch verbreitet. Vielleicht sind die Zeiten des Leistungshungers aber jetzt auch vorbei, und die Menschen wünschen sich zwischen Terror, Krieg und Wirtschaftskrisen bloß mehr Leichtigkeit im Leben. Ob eine Droge das bewerkstelligen muss - das wäre wahrlich eine Frage, die eine nüchterne Betrachtung verdient.

© SZ vom 08.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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