Streit in der Unionsfraktion:Kauder fehlt die Ordnung

Volker Kauder

"Damit disqualifiziert er sich als Vorsitzender" - Fraktionschef Kauder sieht sich heftigen Angriffen aus den eigenen Reihen ausgesetzt.

(Foto: dpa)
  • Unions-Fraktionschef Kauder beruft sich bei seiner Drohung gegen Griechenland-Abweichler auf die Arbeitsordnung.
  • Doch tatsächlich haben sich die 60 Abweichler wohl an die dort formulierten Regeln gehalten.
  • Einige Abgeordnete reagieren mit heftiger Kritik - eine Sprecherin Kauders rudert jetzt zurück.

Von Thorsten Denkler, Berlin

"In der CDU/CSU-Fraktion gibt es keinen Fraktionszwang"

Irgendetwas scheint Volker Kauder nicht ganz verstanden zu haben, als er zuletzt in der Arbeitsordnung seiner Fraktion von CDU und CSU gelesen hat. Vielleicht ist es auch zu lange her, als dass er sich noch richtig erinnern kann. In der Welt am Sonntag jedenfalls behauptet er, die 60 Abgeordneten, die im Juli gegen die Griechenland-Politik der eigenen Regierung gestimmt hätten, hätten ja auch "unserer Fraktionsordnung zugestimmt". Und "in der steht: Wir diskutieren, streiten und stimmen ab, aber am Schluss muss die Minderheit mit der Mehrheit stimmen".

Nun: In der Fraktionsordnung, tatsächlich Arbeitsordnung genannt, steht vieles. Aber was Kauder da behauptet, steht dort explizit nicht. Das Gegenteil ist richtig. In Paragraph 17 heißt es: "In der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gibt es keinen Fraktionszwang. Die Abstimmung ist frei." Alles andere wäre auch ein Verstoß gegen die Verfassung.

Die Mitglieder sind lediglich verpflichtet, bis 17 Uhr am Vortag einer Abstimmung Bescheid zu geben, sollten sie vorhaben, im Plenum gegen die Fraktionsmehrheit zu stimmen. Mehr steht da nicht.

Die 60 Nein-Sager haben sich, so weit das zu übersehen ist, vollständig an die Fraktionsordnung gehalten. Kauder will sie dennoch bestrafen. So liest sich jedenfalls ein weiterer Teil des Interviews, das jetzt für erheblichen Frust in der Unionsfraktion sorgt. "Diejenigen, die mit Nein gestimmt haben, können nicht in Ausschüssen bleiben, in denen es darauf ankommt, die Mehrheit zu behalten: etwa im Haushalts- oder Europaausschuss", sagt Kauder. Die Fraktion entsende schließlich Abgeordnete in Ausschüsse, "damit sie dort die Position der Fraktion vertreten".

Was allerdings so auch nicht ganz richtig ist. Die Fachpolitiker in den Ausschüssen sind es in der Regel, die meinungsbildend für ihre Fraktionen sind. Sie kennen sich in ihren Fachgebieten schließlich am besten aus.

Abgeordnete berichten von massivem Druck

Aber kann Kauder das überhaupt, Abgeordneten einfach so ihre Ausschussplätze wegnehmen? Nein, kann er nicht. Wer in welchen Ausschuss kommt, wird zu Beginn einer Wahlperiode vom Fraktionsvorstand bestimmt. Als Fraktionschef aber hat Kauder ein gewichtiges Wort mitzureden, wenn es um die Vergabe der Plätze geht.

Das haben nach der Bundestagwahl 2013 die Unions-Abgeordneten und Nein-Sager Klaus-Peter Willsch, Veronika Bellmann und Alexander Funk zu spüren bekommen. Willsch und Funk saßen bis zur Wahl im Haushaltsausschuss, Bellmann im Europa-Ausschuss. Nach der Wahl fanden sich alle drei in anderen Ausschüssen wieder. Für Willsch war das eine gezielte "Säuberungsaktion".

Alle drei berichten, sie würden für ihre abweichende Haltung in der Griechenland-Frage von Fraktionskollegen massiv unter Druck gesetzt. Immer wieder werde ihnen angelastet, den "guten Ruf der Fraktion" zu beschädigen.

Dass der gute Ruf womöglich gar nicht von den Abweichlern aufs Spiel gesetzt wird, sondern von denen, die sie beschimpfen und bekämpfen, scheint kaum jemandem in den Sinn zu kommen. Jedenfalls haben offenbar manche nichts aus der Affäre um den früheren Chef im Bundeskanzleramt, Ronald Pofalla, und den CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach gelernt.

"Ich kann deine Fresse nicht mehr sehen"

Bosbach stimmt immer mit Nein, wenn es um die Euro-Rettung geht. Und erklärt das auch gerne öffentlich in Talkshows. Er ist inzwischen der prominenteste Euro-Rettungs-Kritiker innerhalb der Unionsfraktion. Im Oktober 2011 platzte Pofalla der Kragen. Auf einer Sitzung der NRW-Landesgruppe krallte er sich Bosbach und beschimpfte ihn wüst: "Ich kann deine Fresse nicht mehr sehen. Du redest ja doch nur Scheiße." Und: "Du machst mit deiner Scheiße alle Leute verrückt."

So viel zur internen Debattenkultur in der Unionsfraktion. So wie Willsch, Bellmann und Frank berichten, ist es seit dem Fall Bosbach nicht wirklich besser geworden. Sie werden von Fraktionskollegen ignoriert, dürfen nicht reden, oder werden blöd angemacht.

Nur hilft der rüde Umgangston nicht. Bosbach hat vor kurzem freiwillig auf seinen Posten als Vorsitzender des Innausschusses verzichtet. Die Zahl der Abweichler ist auf 60 angewachsen. Anfangs waren sie nur ein kleines Häuflein versprengter Einzelkämpfer.

"Damit disqualifiziert er sich als Vorsitzender"

"Offenbar liegen die Nerven blank", soll ein Mitglied der Fraktionsführung dem Kölner Stadtanzeiger gesagt haben. Mit seinen öffentlichen Drohungen greife Kauder "zum letzten Mittel". Der von Kauder geschasste Abgeordnete Funk findet: "Damit disqualifiziert er sich als Vorsitzender." Seine Leidensgenossin Bellmann befürchtet: Wenn immer alle Nein-Sager entmachtet würden, "hat die Union bald ein Besetzungsproblem".

Kauders Sätze zielen auf Abgeordnete wie Andreas Mattfeldt ab. Der sitzt für die Union im Haushaltsauschuss und hat gegen Merkels Griechenland-Politik gestimmt. In seinem Blog schreibt er: "Ich lasse mich nicht einschüchtern, stehe nach wie vor zu meiner Meinung, die ausschließlich meinem Gewissen unterliegt und hoffe sehr, dass die CDU-Bundestagsfraktion den Aussagen Kauders nicht folgt!"

Eine Sprecherin von Kauder rudert jetzt zurück. Dieser habe selbstverständlich nicht vor, irgendwelche Abgeordnete aus Ausschüssen abzuziehen. Das wird den Ärger allerdings nicht mildern. Kauders großes Glück ist, dass die Fraktion regulär erst Anfang September wieder zusammenkommt. Wäre die nächste Fraktionssitzung schon an diesem Dienstag, ein Aufruhr gegen Kauder wäre wohl kaum zu verhindern. Seinen Appell an den "Korpsgeist", den es in einer Fraktion geben müsse, hätte der Fraktionschef in den Wind schreiben können.

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