Fraktionsdisziplin:Guten Gewissens auf Linie

Volker Kauder

Seine Aufgabe ist es, die Zustimmung der Abgeordneten zu Regierungsvorlagen zu garantieren: Volker Kauder zu Beginn einer Fraktionssitzung.

(Foto: Lukas Schulze/dpa)

Nach der ersten Empörung unterstützen nun doch einige Politiker der Union ihren Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder in seinem Vorgehen gegen Abweichler.

Von Nico Fried

Der Fraktionsvorsitzende war sauer. Das Verhalten der Abgeordneten werde Konsequenzen haben, schimpfte er, sogar ihr Ausschluss aus dem Bundestagsausschuss für Gesundheit wurde in der SPD-Fraktion diskutiert. Deren Chef Peter Struck ärgerte sich im Februar 2007 mächtig über einige sozialdemokratische Parlamentarier, die gegen die Gesundheitsreform der großen Koalition gestimmt oder sich enthalten hatten. Nach einer dreiwöchigen Sitzungspause kam die SPD-Fraktion damals wieder zusammen. Man sprach sich aus, ein sogenannter Abweichler entschuldigte sich sogar. Konsequenzen am Ende: keine.

Acht Jahre später gibt nun Volker Kauder den Struck. Sauer über 60 Dissidenten bei der Abstimmung über Verhandlungen für Griechenland-Hilfen , sagte der Unions-Fraktionsvorsitzende der Welt am Sonntag: "Diejenigen, die mit Nein gestimmt haben, können nicht in Ausschüssen bleiben, in denen es darauf ankommt, die Mehrheit zu behalten: etwa im Haushalts- oder Europaausschuss. Die Fraktion entsendet die Kollegen in Ausschüsse, damit sie dort die Position der Fraktion vertreten."

Ergebnis: große Aufregung. Zahlreiche Abgeordnete, die gegen die Regierungsvorlage gestimmt hatten, protestierten. Die Abgeordneten seien kein Stimmvieh, man werde sich von solchen Drohungen nicht beeinflussen lassen. Kauder ließ eine Sprecherin erklären, er habe nicht die Absicht, Abgeordnete abzuziehen. Das freilich könnte er auch gar nicht im Alleingang, sondern nur mit entsprechenden Mehrheiten in der Fraktion von CDU und CSU.

Ob die Angelegenheit so glimpflich abgeht wie seinerzeit in der SPD, ist indes offen. Die Atmosphäre wirkt zumindest belastet, zumal die jüngere Geschichte mindestens ein mahnendes Beispiel bereithält: Klaus-Peter Willsch, von Beginn an ein beredter Kritiker des Euro-Rettungskurses von Angela Merkel, wurde 2013 nach elf Jahren aus dem Haushaltausschuss gedrängt. Allerdings geschah dies nicht mitten in einer Legislaturperiode, sondern bei der Neubesetzung der Ausschüsse nach der Bundestagswahl.

Rechnerisch zählt die Stimme eines Abgeordneten im Ausschuss 15 Mal so viel wie im Plenum

Nach den Kritikern meldeten sich am Montag auch Verteidiger Kauders zu Wort. Der parlamentarische Geschäftsführer der Unions-Fraktion, Michael Grosse-Brömer (CDU), zeigte sich verwundert über die "Aufregung einzelner Kollegen". Wie Kauder verwies er darauf, dass Abgeordnete in Fachausschüsse geschickt würden, um dort die abgestimmte Mehrheitsmeinung der Fraktion zu vertreten. "Wenn also ein Kollege dauerhaft die Mehrheitsmeinung der Fraktion in seinem Ausschuss nicht vertreten kann, dann sollte er konsequenterweise in einen anderen Fachbereich wechseln", sagte Grosse-Brömer.

Tatsächlich unterscheidet sich der Status eines Abgeordneten im Ausschuss von dem im Plenum des Bundestages. Der Haushaltsausschuss zum Beispiel hat 41 Mitglieder, die Stimme eines Abgeordneten ist mithin rechnerisch 15 Mal so viel wert wie im Plenum. Umso mehr spricht der Parlamentarier hier vor allem für seine Fraktion und weniger für sich selbst.

Norbert Barthle (CDU), lange haushaltspolitischer Sprecher der Unionsfraktion, nannte Kauders Äußerungen einen "Weckruf". Es könne nicht sein, "dass so viele Abgeordnete einem Mehrheitsbeschluss der Fraktion nicht folgen", sagte Barthle der Süddeutschen Zeitung. Er ist heute Staatssekretär im Verkehrsministerium. Dies sei unabhängig von der Größe der Mehrheit einer Koalition eine Frage der Regierungsfähigkeit. Zur Gewissensfreiheit, die von den Abweichlern in Anspruch genommen werde, gehöre auch, "sein Gewissen zu befragen, ob man Führungspositionen halten kann, wenn man Mehrheitspositionen der Fraktion dauerhaft nicht vertreten will".

Gerhard Schröder stimmte Kritiker einmal morgens im Kanzleramt um

Der Umgang mit Abweichlern ist kein neues Problem - und auch nicht die Erkenntnis, dass Drohungen eher kontraproduktiv sind. Legendär ist die Drohung von Franz Müntefering im August 2001, gerichtet an 19 Abgeordnete, die gegen einen Bundeswehr-Einsatz in Mazedonien gestimmt hatten. Der damalige SPD-Generalsekretär hatte mit Konsequenzen bei der Listenaufstellung für die Wahl gedroht. Die aber werden von Landes- und Bezirksverbänden bestimmt, die sich da nur ungern reinreden lassen.

Die Schwierigkeiten wachsen in der Regel mit den Mehrheiten. Ein knapper Stimmenvorsprung im Parlament diszipliniert die Abgeordneten eher im Sinne der von ihnen gestellten Regierung, weil es sonst mit dem Regieren schnell vorbei sein kann. Eines der bekanntesten Beispiele ist das Verhalten von acht grünen Kritikern eines militärischen Anti-Terror-Einsatzes nach dem 11. September 2001. Kanzler Gerhard Schröder verband damals das Votum im Parlament mit einer Vertrauensfrage, worauf die acht Grünen sich aufteilten: Vier blieben beim Nein, vier andere aber stimmten mit der Mehrheit, um das Fortbestehen der rot-grünen Regierung zu sichern.

Die Zahl der Abweichler kann hingegen auch bei knappen Mehrheiten zunehmen, wenn eine Koalition in einer Sachfrage mit der Opposition stimmt, also die Zustimmung für ein Gesetz gesichert ist. So war es bei der Gesundheitsreform 2003, die Schröder mit Unionschefin Angela Merkel ausgehandelt hatte. Der Kanzler wollte gleichwohl eine eigene rot-grüne Mehrheit vorweisen, um hämischen Kommentaren zu entgehen, er könne nur noch mithilfe der Opposition regieren. Am Tag der Abstimmung empfing Schröder noch morgens um 7.30 Uhr im Kanzleramt mehrere Kritiker, zündete sich eine Zigarre an und lauschte ihren Vorbehalten. Danach trug er seine Argumente vor und brachte die Abweichler auf Linie. Der Basta-Kanzler konnte auch die weiche Tour.

Wie sich Kauders Äußerungen in der Unions-Fraktion auswirken, wird sich spätestens dann zeigen, wenn der Bundestag möglicherweise schon in Kürze über ein Rettungspaket für Griechenland abstimmen muss. Anders als die simple Frage, ob solche Verhandlungen überhaupt aufgenommen werden sollen, müsste ein konkretes Kreditpaket unter anderem im Haushalts- und im Europaausschussausschuss beraten werden. In diesen beiden Gremien sind insgesamt 14 der 60 Dissidenten ständiges oder stellvertretendes Mitglied.

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