Als die "Mutter aller Castingshows" jung war, trug das weibliche Zielpublikum bauchfreie Spaghettiträgertops, hörte Retortenbandmusik und guckte eine Sendung namens Big Brother. Popstars brachte all das zusammen: Im Jahr 2000 suchte RTL 2 erstmals junge Mädchen, die kameratauglich waren, und im besten Fall noch singen und tanzen konnten. Am Ende von Staffel eins waren die No Angels gefunden - auch nach ihrer Auflösung eine der bis dato erfolgreichsten Frauenbands Europas.
15 Jahre später ist die Musikcastingshow nicht mehr als ein Zombie im Fernsehprogramm: nicht totzukriegen, obwohl sie längst keine Musikstars mehr produziert, höchstens noch Kandidaten fürs nächste Promi Dinner oder Dschungelcamp. Trotzdem holt RTL 2 die "Mutter aller Castingshows", wie der Sender das Format konsequent nennt, jetzt zurück. Die Sendung lief zwischenzeitlich beim Konkurrenten Pro Sieben.
"Popstars verbindet zwei Dinge, die hervorragend zur Ausrichtung von RTL 2 passen: ernsthafte Auseinandersetzung mit Musik und große emotionale Erzählung", sagt Unternehmenssprecher Carlos Zamorano. Und weil Ernsthaftigkeit keine Selbstverständlichkeit ist bei dem kleinen Privatsender, verdient das besondere Betonung: "Mit einer hochkrediblen Jury suchen wir eine neue Girlband, die mit ihren außergewöhnlichen Talenten überzeugt."
Qualität statt Trash, Förderung statt Erniedrigung
Das klingt nach einem Déjà-vu-Konzept - alles beim Alten also? Der Trailer zur Show zumindest verspricht "ganz neue Töne" und Jury-Mitglied Stephanie Heinzmann sagt strahlend in die Kamera: "Wir machen ein Zweipunktfünfzehn-Popstars." Heinzmann, das entbehrt nicht einer gewissen Ironie, wurde bekannt durch die Raab'sche Castingshow-Parodie Stefan sucht den Superstar, der singen soll, was er möchte, und gerne auch bei RTL auftreten darf!. Gemeinsamer Nenner ist die Brainpool TV GmbH, die noch bis Ende des Jahres TV total produziert - und nun auch die elfte Staffel Popstars.
Zweipunktfünfzehn - das bedeutet: Qualität statt Trash, Förderung statt Erniedrigung. Brainpool hat das The Voice-Prinzip der sanften, aber qualitätvollen Castingshow adaptiert. Im Trailer schmettert eine junge Afroamerikanerin eine Hymnenversion von Aviciis "Addicted to You" und ein Mädchen mit langen blonden Locken rappt "Can't Hold Us" von Macklemoore & Ryan Lewis. Es gehe um "Musik" und "echte Typen", erklärt Jury-Mitglied Miss Platnum, die selbst blaue Haare hat.
Detlef D! Soost, Popstars-Identifikations-, aber auch Reizfigur, ist nicht mehr mit dabei. Der Mann mit Popeye-Physiognomie half den Teilnehmern der vorangegangenen Staffeln mittels Niederschreien, ihr ganzes Potenzial auszuschöpfen. Und die Macher gehen noch weiter: Die quotenbringende Castingphase fällt weg, die in derartigen Formaten zuletzt nur noch dazu da war, Leute ohne musikalisches Talent vorzuführen.
Heidi Klum würde das gefallen
27 junge Frauen wurden vorab ausgewählt. Sie bekommen "Vocal Coaching", "Tanz- und Performance-Training" und haben überhaupt einen "vollen Stundenplan", wie der Sender ankündigt. Untergebracht sind die Nachwuchssängerinnen im "Bandhaus", wo sie auf ihre Sozialverträglichkeit getestet werden. Das würde vermutlich auch Heidi Klum gefallen, die ihre Schönheiten traditionell zur Modelwerdung in eine Villa steckt.
Aber hat man am Ende einer solchen Persönlichkeitsformung wirklich gute Typen, gute Musiker?
Die SZ-Redaktion hat diesen Artikel mit einem Inhalt von Youtube angereichert
Zumindest in Sachen Vermarktung hat RTL 2 dazugelernt. Die Youtuberinnen "Bibi" und "Mary M." kommentieren das Showgeschehen im Netz. Zusammen kommen die beiden auf knapp drei Millionen Abonnenten. Von solchen Zuschauerzahlen kann RTL 2 nur träumen. 2015 trägt das weibliche Zielpublikum wieder bauchfrei, guckt aber Youtube. Könnte also funktionieren.
Popstars, RTL 2, montags, 20.15 Uhr