Landesverrats-Affäre:Auf der Suche nach der Quelle von Netzpolitik.org

  • Nachdem die Landesverratsermittlungen gegen Netzpolitik.org eingestellt wurden, soll nun gegen unbekannt wegen des Verdachts der Verletzung von Dienstgeheimnissen ermittelt werden.
  • Jedes Jahr gibt es Dutzende derartiger Ermittlungen. Doch weder Journalisten noch Informanten haben viel zu befürchten.

Von Hans Leyendecker

Die Berliner Staatsanwaltschaft wird in den nächsten Tagen Post von der Generalbundesanwaltschaft bekommen. Nachdem Karlsruhe im Fall Netzpolitik.org das Ermittlungsverfahren wegen Verdachts der "strafbaren öffentlichen Bekanntgabe eines Staatsgeheimnisses" eingestellt hat, soll jetzt gegen "unbekannte Berufsgeheimnisträger" ermittelt werden, wegen des Verdachts der Verletzung von Dienstgeheimnissen.

Das Dienstgeheimnis ist der ganz kleine Bruder des Staatsgeheimnisses. Eigentlich ist der Paragraf 353 b des Strafgesetzbuches nur ein Zwerg. Strafverfolger mögen solche Verfahren nicht. Nach dem Cicero-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, in dem die Durchsuchung der Redaktionsräume des gleichnamigen Magazins im Jahr 2007 für verfassungswidrig erklärt wurde, haben Journalisten, die aus vertraulichen Papieren zitieren, wenig zu befürchten. Und seit einer Gesetzesänderung 2012 können sich Journalisten nicht mehr wegen der Verletzung von Dienstgeheimnissen strafbar machen; es sei denn, sie hätten zum Verrat angestiftet oder Schmiergeld gezahlt.

Eine Anstiftung ist fast nie zu beweisen

Die Anstiftung ist fast nie zu beweisen. Schmiergeld kommt bei seriösen Medien aus ethischen Gründen nicht infrage und bei anderen scheitert es am Geld. Auch sind die Informanten in aller Regel fein raus. Nur selten wurde ein Informant wegen Geheimnisverrats verurteilt.

Die Staatsanwaltschaft Berlin bietet sich aus zwei Gründen für Karlsruhe als zuständige Behörde auf der Suche nach den Geheimnisträgern an. Zum einen hat das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) - aus nicht leicht nachvollziehbaren Gründen - die Strafanzeigen nicht bei der Berliner Staatsanwaltschaft, sondern beim Staatsschutz des Landeskriminalamtes in Berlin gestellt. In der zweiten Strafanzeige sind zwei Gremien des Bundestages aufgeführt, die mit den BfV-Dokumenten zu tun hatten. Theoretisch könnten Bundestagsabgeordnete, deren Mitarbeiter oder Mitarbeiter der Bundestagsverwaltung die verdächtigen "Berufsgeheimnisträger" sein. Der Vorgang hätte aber auch an die Staatsanwaltschaft Köln versandt werden können. Dort hat das Bundesamt für Verfassungsschutz seine Zentrale.

Erstattet wurden die Strafanzeigen vom BfV-Präsidenten Hans-Georg Maaßen. "Im Auftrag" zeichnete Frau "Dr. Willems" und als "Bearbeiter" taucht, in der zweiten Anzeige zumindest, Herr "Müller" auf, der Wochen später das Rechtsgutachten gefertigt und alle möglichen Gefahren für die äußere Sicherheit des Landes erkannt hat.

Rabatt im Puff für Hinweise auf eine bevorstehende Razzia

Die nachrichtendienstliche und die juristische Prozedur in diesem Fall klingt so umständlich wie die Praxis ist. Wahr ist: Jedes Jahr gibt es in Deutschland Dutzende von Verfahren wegen Verdachts der Verletzung irgendeines Dienstgeheimnisses. Der Klassiker ist der angebliche Verrat einer Razzia. Heraus kommt fast nie etwas.

Der frühere NRW-Finanzminister Heinz Schleußer (SPD) überstand ebenso unbeanstandet ein solches Verfahren wie der ehemalige Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU). Verurteilt wegen Verletzung von Dienstgeheimnissen wurden in der Regel Beamte, die im Puff für Hinweise auf anstehende Durchsuchungen Rabatt bekommen oder in Striptease-Bars Polizei-Geheimnisse verraten haben. Unter Rockern kommen solche Verfahren schon mal vor. Es gibt Polizisten, die privat Rockerklubs angehören und den Kumpeln Tipps geben. Da ist der Fall Netzpolitik.org eher trist. Den Berliner Strafverfolgern, die wegen der vielen Behörden in der Hauptstadt häufig mit solchen Anzeigen zu tun haben, wird das Verfahren vermutlich keine große Freude bereiten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: