Libyen:Vordenker gegen Hardliner

Migrants rescued in Mediterranean

Flüchtlinge im Sommer 2015 auf dem Mittelmeer.

(Foto: dpa)

Allmählich scheinen einige Akteure in Libyen zu erkennen, dass Chaos nicht in ihrem Interesse liegt. Europa muss eine Verständigung unterstützen.

Von Paul-Anton Krüger

Libyen hat unter den arabischen Bürgerkriegsländern die besten Voraussetzungen, sich selber aus der Krise zu befreien. Es verfügt über reiche Ölreserven und damit über eine wirtschaftliche Basis, die Bevölkerung ist relativ klein, und der Konflikt wird im Wesentlichen nicht entlang ethnischer oder religiöser Trennlinien ausgefochten. Das sind nicht die schlechtesten Voraussetzungen, um durch internationale Vermittlung gepaart mit externem Druck eine Stabilisierung des Landes zu erreichen - der UN-Sondergesandte nimmt gerade einen weiteren Anlauf dazu.

Die politische Konstellation ist schwieriger: Auf dem Papier gibt es eine international anerkannte Regierung, die in Baida sitzt und keinen Einfluss darauf hat, was in der Hauptstadt Tripolis und der zentralen Küstenregion passiert - dort herrscht eine von Ablegern der Muslimbruderschaft dominierte Gegenregierung. Die Loyalitäten in Libyen aber sind regional, gar lokal - am stärksten ist die Identifikation der Bewohner mit den großen Städten, eine große Rolle spielen Stämme, Clans, Familien.

Die eigentlichen Machtzentren sind deswegen nach wie vor die lokalen Milizen. Bislang rangeln sie um die Ressourcen des Landes und politischen Einfluss. Ihre Ansprüche leiten sie dabei zum Teil noch daraus ab, was sie zum Sturz des langjährigen Tyrannen Muammar al-Gaddafi beigetragen haben. Ein wachsender Anteil der politischen Akteure und auch manche der Milizen scheinen aber zu erkennen, dass sie die Existenz des Landes riskieren, wenn sie ihren Verteilungskampf fortsetzen - und damit letztlich ihre eigenen Gewinne.

Die Gelegenheit ist gut, den Staat in Nordafrika zu stabilisieren

Die Profiteure des Chaos sind die Terrormiliz Islamischer Staat und andere militante Islamisten - von denen viele aus dem Ausland kommen. Sie machen sich in dem Vakuum breit, das durch die Spaltung des Landes nur größer geworden ist. Ihr Ziel aber ist nicht Libyen allein: Sie orchestrieren die Ermordung westlicher Touristen im benachbarten Tunesien und betrachten Libyen als Basis am Mittelmeer für Angriffe auf Europa, ein ideales Rückzugsgebiet.

Erkennbares Anzeichen eines Umdenkens in Libyen sind das Vorgehen der mächtigen Misrata-Miliz gegen IS-Nester in Gaddafis Heimatstadt Sirte und der Aufstand lokaler (islamistischer) Milizen gegen den IS in Derna. Auch auf dem Weg zu einer Einheitsregierung gibt es politische Fortschritte. Noch immer aber sperren sich auf beiden Seiten des geteilten Landes mächtige Hardliner, die auf eine militärische Lösung setzen - in der Erwartung, sich Macht und Geld alleine sichern zu können.

Der Stellvertreterkrieg muss aufhören

Ihr Kalkül muss die internationale Gemeinschaft nun gezielt durchkreuzen, etwa mit neuen Sanktionen. Auch müssen ihre Unterstützer unter Druck gesetzt werden - Ägypten auf Seiten der Regierung in Baida, die Türkei und Katar auf Seiten von Tripolis. Sie machen Libyen zu einem Schlachtfeld für einen Stellvertreterkrieg über die Rolle der Muslimbruderschaft. Auch müssen alle maßgeblichen Milizen eingebunden werden. Denn sie können tatsächlich Staatsmacht ausüben in Libyen.

Europa tut gut daran, sich in diesem Konflikt zu engagieren. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini hat das Thema zu Recht hoch auf die Agenda gesetzt, auch weil ihre Heimat Italien am unmittelbarsten betroffen ist. Ohne eine Lösung in Libyen werden weiter Hunderte Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken - egal wie viele Schiffe dort zur Seenotrettung aufgeboten werden. Auch werden weiter Tausende auf den Transitrouten und in Libyen sterben. Das Leben eines Flüchtlings zählt nichts in den rechtsfreien Räumen. Dazu kommt, dass die Terroristen sich nicht mehr damit begnügen werden, die Badestrände Tunesiens zum Ziel zu machen. Libyen ist zu nah, um es ignorieren zu können. Noch ist der Zerfall des Landes zu stoppen. Viel Zeit aber bleibt nicht.

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