Insel Kos:Das Elend der Geretteten

Tausenden Flüchtlingen fehlt es am Nötigsten, die Behörden sind überfordert. 1500 Menschen wurden nun von der Polizei in einem Stadion eingeschlossen.

Von Luisa Seeling

Nach dem Gewaltausbruch in einem Fußballstadion am Dienstag ist die Situation auf der Ägäisinsel Kos noch immer angespannt. Mehr als 5000 Flüchtlinge befinden sich nach Angaben von Hilfsorganisationen auf der Insel. Bei brütender Hitze harren sie aus, sie wollen sich registrieren lassen und Papiere bekommen, mit denen sie die Insel in Richtung Mitteleuropa verlassen können. Am Dienstag war es vor einer Registrierungsstelle zu einem Handgemenge gekommen. Die Polizei setzte Feuerlöscher und Schlagstöcke ein, um die Auseinandersetzung zu beenden.

Etwa 2000 Menschen seien in der Nacht zu Mittwoch von der Polizei in einem Stadion nahe des Orts Kos eingeschlossen worden, berichtet eine Mitarbeiterin von Ärzte ohne Grenzen, Constance Theisen, die sich zeitweise in dem Stadion aufgehalten hat. Die Flüchtlinge würden nicht herausgelassen, offenbar wolle man sie festhalten, bis sie registriert werden könnten. Es gebe in dem Stadion keine Duschen und Toiletten, vor allem aber fehle es an Wasser, viele Menschen seien dehydriert. Am Dienstag habe die Polizei im Stadion eine Blendgranate geworfen, um mit dem Knall die Menge auseinanderzutreiben. Das habe viele Flüchtlinge in Panik versetzt. "Wir haben Menschen behandelt, die Panikattacken hatten", sagt Theisen. Den ganzen Mittwoch über seien Menschen über die zwei Meter hohe Mauer geklettert, die das Stadion umgebe, um Wasser und Nahrung zu besorgen. Das werde seit dem Abend von der Polizei verhindert. "Wir wissen nicht, wie sich die Situation hier weiter entwickeln wird", sagt Theisen.

Der Bürgermeister von Kos, Giorgos Kyritsis, setzte bereits am Dienstag einen Hilferuf an die Regierung in Athen ab, veröffentlicht von den griechischen Medien: Er warne von einem "Blutbad", man werde mit dem Flüchtlingsproblem auf der Insel nicht mehr fertig. Athen will die Lage nun mit einem Hotelschiff entschärfen, das Platz für 2500 Menschen bietet, es werde "umgehend" auf den Weg gebracht, teilte die Regierung am Mittwoch mit. Die deutsche Grünen-Politikerin und Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth, die Anfang der Woche zu einem zweitägigen Besuch nach Kos gereist war, sprach von einer "Hölle auf Erden".

Die Situation sei unmenschlich. Die Organisation Ärzte ohne Grenzen fordert die EU und Deutschland auf, Griechenland zu helfen, akzeptable Aufnahmebedingungen zu schaffen. Sie erhebt Vorwürfe gegen die Behörden auf Kos. Bisher habe dort ein "Zustand staatlicher Untätigkeit" geherrscht, sagte Brice de la Vigne, Leiter der für Kos verantwortlichen Abteilung der Organisation. "Jetzt wendet die Polizei zunehmend Zwangsmaßnahmen gegen diese verletzlichen Menschen an." Die Behörden hätten erklärt, sie wollten die Situation für diese Menschen nicht verbessern, "weil sie denken, das würde einen Pull-Faktor darstellen", so de la Vigne. Doch die meisten der Ankömmlinge sind Kriegsflüchtlinge aus Syrien und Afghanistan, die zuhause keine Alternative sehen.

Die Zahl derer, die über die Türkei nach Griechenland gelangen, steigt seit Monaten an. Seit Jahresbeginn sind laut UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) etwa 124 000 Menschen über das Mittelmeer nach Griechenland gekommen; dies entspricht einem Anstieg von mehr als 750 Prozent im Vergleich zum gleichen Vorjahreszeitraum. Allein im Juni hätten 50 000 Flüchtlinge die Inseln Lesbos, Chios, Kos, Samos und Seros erreicht, 70 Prozent mehr als im Vormonat. Angesichts solcher Zahlen warnt das UNHCR vor einer humanitären Krise und appelliert an die griechischen Behörden, eine Koordinierungsstelle für die Flüchtlinge einzurichten und angemessene humanitäre Hilfen zur Verfügung zu stellen. Auch die Europäische Union sei in der Pflicht, das Krisenland Griechenland könne die Last nicht alleine tragen. Am Freitag hatte Premier Alexis Tsipras gesagt, dass sein Land die Flüchtlingskrise nicht alleine bewältigen könne. Die EU-Kommission hatte am Montag Hilfen in Höhe von 2,4 Milliarden Euro bis 2020 zugesagt. Das Geld soll für die Aufnahme von Flüchtlingen und die Sicherung von Grenzen eingesetzt werden und vor allem Italien, Spanien und Griechenland zugute kommen.

Die Hilfen werden dringend gebraucht, immer neue Boote erreichen griechische Inseln. Am Mittwoch setzten mindestens zwei Schlauchboote mit Dutzenden Flüchtlingen von der Türkei aus nach Kos über. Ein Boot der italienischen Küstenwache brachte 50 Menschen an Land, die auf See gerettet worden waren. Vor der libyschen Küste kam es zu einem Schiffsunglück. Ein überfülltes Schlauchboot mit mehr als 100 Insassen war am Dienstagabend gekentert, am Mittwoch wurden noch etwa 60 Menschen vermisst.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: