Jeremy Corbyn:Außenseiter mit Strahlkraft

British Labour Party politician Corbyn arrives for a community meeting in north London

Auf dem Weg zu einer Gemeindeversammlung in London: der Labour-Chef-Aspirant Jeremy Corbyn.

(Foto: REUTERS)
  • Der Linksaußen Jeremy Corbyn geht als Favorit in das Rennen um den Vorsitz von Labour.
  • Ex-Parteichef Tony Blair äußerte, mit einer Entscheidung für den 66-Jährigen würde sich die Partei zugrunderichten.
  • Unter Corbyn käme es jedenfalls zu einem radikalen Wandel der britischen Partei.

Von Christian Zaschke, London

Eigentlich müsste das Establishment der britischen Labour-Partei sich glücklich schätzen. In den letzten Tagen vor Registrierungsschluss für die Wahl zum neuen Vorsitzenden haben sich 160 000 Menschen neu in die Listen eingetragen, sodass nun 610 000 Wahlberechtigte mit darüber abstimmen können, wer die Geschicke der Partei künftig lenken soll. Viele dieser neuen Unterstützer sind junge Wähler. Das Interesse an der Partei ist so groß wie lange nicht mehr, zu den Wahlveranstaltungen kommen zum Teil Tausende Zuhörer. Doch das Labour-Establishment ist nicht glücklich.

Das liegt daran, dass das neue Interesse vor allem dem 66 Jahre alten Jeremy Corbyn gilt, der beste Aussichten hat, neuer Parteichef zu werden. Corbyn zählt zum ganz linken Labour-Flügel, er ist beliebt bei den Gewerkschaften und der Basis, bei den Parteigranden jedoch gefürchtet. Allein in den vergangenen zehn Jahren widersetzte er sich als Abgeordneter fast 300 Mal dem Fraktionszwang und stimmte gegen die verordnete Parteilinie.

Labour-Größen sprechen sich gegen Corbyn aus

Außer ihm treten drei gemäßigte Politiker an: Andy Burnham, Yvette Cooper und Liz Kendall. Burnham galt zunächst als Favorit, mittlerweile liegt Corbyn in Umfragen jedoch vorn. Das ist auch deshalb so erstaunlich, weil er die zur Nominierung nötige Zahl an Unterstützern innerhalb der Fraktion erst in letzter Minute zusammenbrachte. Viele Parlamentarier, die ihn nominiert hatten, gaben an, sie hätten lediglich die Debatte beleben wollen.

Am Wochenende warnte der frühere Premierminister Gordon Brown die Labour- Mitglieder davor, für Corbyn zu stimmen: Es gebe einen Kandidaten, von dem nicht einmal dessen eigene Unterstützer glaubten, dass er die nächste Parlamentswahl im Jahr 2020 gewinnen könne. Vor Brown hatten sich weitere Parteigrößen gegen Corbyn ausgesprochen. Der ehemalige Premier Tony Blair sagte: "Die Partei wandelt mit geschlossenen Augen und ausgestreckten Armen über die Klippe." Peter Mandelson, neben Blair und Brown einer der wichtigsten Architekten von New Labour, versuchte zuletzt, die anderen drei Kandidaten zum Rückzug zu überreden, damit die Wahl gar nicht erst stattfinde. Andere führende Mitglieder fordern, dass Cooper und Kendall zurücktreten, damit sich die Gegner Corbyns hinter Andy Burnham sammeln könnten. Kendall wäre dazu im Prinzip bereit gewesen, aber nachdem Cooper einen Rücktritt ausschloss, entschied auch sie sich dazu, im Rennen zu bleiben.

Partei auf der Suche

Nach der verlorenen Wahl im Mai dieses Jahres, die den Konservativen eine absolute Mehrheit bescherte, sucht die Partei nach ihrer Identität. Während Burnham, Cooper und Kendall für eine Weiterführung der Politik der Blair-Brown-Jahre stehen, käme es unter Corbyn zu einem radikalen Wandel. So will er die Studiengebühren abschaffen, Unternehmensgewinne höher besteuern und sich dafür einsetzen, dass die Reichen mehr zum Gemeinwohl beitragen. Bis heute protestiert er gegen Atomwaffen. Seine Gegner werfen ihm vor, er führe die Partei zurück in die Achtzigerjahre, als Labour zerstritten und in Wahlen chancenlos war.

Die Wahlunterlagen sind verschickt, am 12. September wird das Ergebnis verkündet. Außer den Parteimitgliedern können auch eingetragene Unterstützer sowie Mitglieder von Labour nahestehenden Gewerkschaften mitstimmen. Sorge bereitet den Gegnern Corbyns, dass sich unter den vielen neu registrierten Wahlberechtigten Anhänger der Konservativen befinden könnten. Die freuen sich über Corbyns Aufstieg - weil sie glauben, mit ihm als Chef werde Labour auf Jahre hinaus unwählbar.

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