Dressurreiten:Harmonie statt Testosteron

Reit-EM 2015 - Matthias Alexander Rath

Matthias Rath wird mit Totilas vermutlich keine Wettkämpfe mehr bestreiten.

(Foto: dpa)
  • Es gibt kaum noch Zweifel, dass Totilas keine Wettkämpfe mehr bestreiten wird.
  • Die ganze Geschichte zeigt, dass man mit Pferden nicht wie mit Formel-1-Autos umgehen kann.
  • Die deutsche Dressur muss sich auf die Zeit nach Totilas einstellen. Hoffnung macht zum Beispiel Kristina Bröring-Sprehe mit ihrem Rapphengst Desperados.

Von Gabriele Pochhammer, Aachen

Wunder dauern manchmal etwas länger, manchmal aber auch bedeutend kürzer als gedacht. Es hätte schon an ein Wunder gegrenzt, wenn Totilas die Dressur-EM in Aachen unbeschädigt überstanden und den Deutschen die Gold- medaille herbeipiaffiert hätte. Jetzt gibt es kaum noch Zweifel, dass das Publikum in der Soers zum letzten Mal seinen Liebling mit Ovationen aus der Arena verabschiedet hat.

Totilas-Mitbesitzer Paul Schockemöhle, der schon am Wochenende nur noch geringe Chancen für ein erneutes Comeback des Hengstes sah, wurde am Montag deutlicher. Er sei der Meinung, dass eine Rückkehr in den Sport nicht gut sei, sagte Schockemöhle. Selbst Sjef Janssen, der umstrittene Trainer von Totilas, mit dessen Hilfe der Hengst diszipliniert werden sollte, hat offenbar wenig Lust, weiter zu machen. "Da wird man ja verrückt. Vielleicht sollte man ihm seine ruhigen alten Tage gönnen", erklärte Janssen im niederländischen Fernsehen.

Die Zeit nach Totilas

Die deutsche Dressur muss sich auf die Zeit nach Totilas einstellen. Im Grunde musste sie ja bereits die vergangenen drei Jahre ohne ihn auskommen, weil der Hengst im entscheidenden Moment immer verletzt war. Die Silbermedaille bei den Olympischen Spielen in London, die Goldmedaillen der EM 2013 und der WM 2014 wurden ohne Totilas gewonnen. Die beiden stärksten WM-Paare des vergangenen Jahres fehlten in Aachen. Bella Rose von Isabell Werth erholt sich von einer Verletzung, man hofft auf Rio 2016. Damon Hill steht seiner Reiterin Helena Langehanenberg nicht mehr zur Verfügung. Nicht mal die Dressur-Großmacht Deutschland verkraftet ohne weiteres den Ausfall zweier solcher Spitzenpaare.

Der Blick von Bundestrainerin Monica Theodorescu kann sich jetzt ohne großen Erwartungsdruck auf die Zukunft richten. Sie muss nicht mehr abwägen zwischen der eigenen Vernunft - gespeist aus der jahrzehntelangen Erfahrung als Spitzen- reiterin - und anderen Interessen, die vor allem Gold und Geld heißen. Das könnte ein Vorteil sein. Ihre Schülerin Kristina Bröring-Sprehe rüttelte am Sonntag in Aachen schon am Thron der Multi-Titel- trägerin Charlotte Dujardin.

Deren Wallach Valegro unterliefen in der Musikkür Fehler in den Fliegenden Galoppwechseln, Bröring-Sprehes Hengst Desperados hingegen blieb ohne Fehler, bekam allerdings in den doppelt bewerteten Piaffen noch nicht die Noten der Britin. "Ich habe Kristinas heißen Atem im Nacken gespürt", sagte Dujardin nach ihrem Ritt. Desperados ist wie Totilas ein imponierender Rapphengst. Aber mit seiner eleganten, feinfühligen Reiterin strahlt er Harmonie und Leichtigkeit aus, während der testosteron-strotzende Totilas durch seine geballte Kraft faszinierte.

Zwischen sportlichem Geltungsdrang und PR-Interessen

Auch Jessica von Bredow-Werndl zeigte auf dem Totilas-Halbbruder Unée in Aachen eine gute Championats-Premiere. Annabel Balkenhol und Dablino, die in Aachen das Ersatzpaar gaben und nicht zum Einsatz kamen, müssen sich ebenfalls nicht verstecken. Der hannoversche Fuchs hätte das Gold wohl nicht retten können, aber er hätte alle drei Prüfungen durchgestanden und der Verbandsführung den Vorwurf erspart, sehenden Auges ein angeschlagenes Pferd für ihre Ambitionen geopfert zu haben. Darüber wird noch gesprochen werden. Auch über die Ansicht des Dressurausschuss-Vorsitzenden Klaus Roeser: "Ich kenne kein Pferd, das nicht irgendwo ein Problem hat." Dressur als Wettbewerb der besten Pferde-Ärzte?

Totilas brachte der elitären Dressur eine bis dahin nie gekannte Aufmerksamkeit. Die Mischung aus sportlichem Geltungsdrang der Besitzer und kommerziellen Interessen cleverer PR-Strippenzieher erwies sich aber als Bumerang. Totilas als "Trademark" eintragen zu lassen, war eine Schnapsidee, die jetzt mit Häme quittiert wird. Die Geschichte zeigt auch, dass man mit Pferden nicht wie mit Formel-1-Autos umgehen kann. Der Reiter ist nicht so problemlos auszutauschen wie der Fahrer im Cockpit. Aus gutem Grund bauen Erfolgsreiterinnen wie Isabell Werth und Charlotte Dujardin auf ihre eigenen Fähigkeiten als Pferdausbilderinnen und setzen sich nicht in bereits warme Sättel.

Unter Matthias Rath ging es mit Totilas bergab

Desperados hatte zwar auch schon viel von Falk Rosenbauer gelernt, als er zu Kristina Bröring-Sprehe wechselte, aber da war diese eine junge Reiterin am Anfang ihrer Karriere. Sie schaffte es, sich selbst und den Hengst weiter zu verbessern. Mit Totilas hingegen ging es unter Matthias Rath trotz einiger Highlights bergab. Unter dem Niederländer Edward Gal hatte Totilas bis auf Olympia-Gold alles gewonnen. Seine exaltierten Bewegungen vor allem im Trab wurden allerdings von Fachleuten von Anfang an mit Sorge betrachtet - weil sie Sehnen und Gelenke stark beanspruchen.

Das wusste auch Paul Schockemöhle, als er Totilas 2009 zum ersten Mal bei der EM sah. "Ich würde dem Reiter raten, nicht zu oft zu starten", sagte Schockemöhle damals. Dennoch bezahlte er ein Jahr später angeblich zehn Millionen Euro für Totilas, der auch als Zuchthengst einen hohen Wert hat. Einen nicht genannten Teil holte sich Schockemöhle von Ann-Kathrin Linsenhoff zurück, die damit ihrem Stiefsohn Rath den Weg nach London 2012 ebnen wollte. Am Ende ging diese Rechnung nicht auf. Der Erfolg im Pferdesport ist doch nicht so leicht käuflich.

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