Relaunch von "Geo":Quietschgrün und gut abgehangen

Relaunch von "Geo": Wundertüte für sieben Euro: die generalüberholte Septemberausgabe.

Wundertüte für sieben Euro: die generalüberholte Septemberausgabe.

(Foto: Geo)

Neuer Chef, gewohntes Selbstbewusstsein: "Geo" wird runderneuert und leistet sich dabei einen "gewissen Mut zur Schizophrenie".

Von David Denk

Christoph Kucklick kann sich allenfalls dunkel daran erinnern, wie er mal in der Business Class für Geo auf Recherche geflogen ist. In den frühen Neunzigern müsse das gewesen sein, sagt der heutige Chefredakteur vage und fügt hinzu: "Die Erinnerung daran ist längst verblasst."

Für Nostalgie ist der 52-Jährige nicht zu haben. Dabei hätte er durchaus Anlass, den goldenen Zeiten nachzutrauern: Um Geld zu sparen, mussten bei Geo und den Schwestertiteln Geo Special und Geo Saison 14 Mitarbeiter kurz nach seinem Amtsantritt im Juli 2014 gehen.

Auch die Erinnerung daran scheint verblasst zu sein, gibt Kucklick sich doch unbeeindruckt zuversichtlich: "Ich glaube, Geo ist ein gutes Beispiel dafür, dass Print nach wie vor das beste Geschäftsmodell im Journalismus ist."

Gruner + Jahr jedenfalls hat erneut in Geo investiert: An diesem Freitag erscheint die generalüberholte Septemberausgabe. Nur knapp zwei Jahre nach der letzten Überarbeitung durch Kucklicks langjährigen Vorgänger Peter-Matthias Gaede, dessen Stellvertreter er auch schon mal zwei Jahre war, wird die Heftstruktur wieder verändert: Geo-typisch lange und in ihrer Bedeutung aufgewertete kurze Texte sollen sich stärker abwechseln - Kucklick spricht von "mehr Leben im Heft, auch mehr schnell aufzupickendem Wissen".

Auch das Layout ist neu, verspielter (Illustrationen!), weniger konservativ. Kucklick beschreibt es als "zugleich extrem elegant und sehr modern". In Zeiten, in denen Hipster ihre Wohnungen wie die der eigenen Großeltern einrichten, ist es kein Widerspruch, dass das neue Cover mit dem breiten grünen Rahmen an früher erinnert.

Vom Hamburger Selbstbewusstsein ist noch genug da

Die Zeiten, in denen Geo eine halbe Million Exemplare verkaufte, sind hingegen unwiderruflich vorbei. Das Magazin setzt zwar immer noch 242 561 Hefte pro Monat ab (IVW 2/2015), mehr als 300 000 wurden zuletzt 2012 verkauft.

Sorge bereitet Kucklick dieser Rückgang wenigstens öffentlich nicht: "Im Gegensatz zu anderen Marktteilnehmern können wir bei Geo aus einer enormen Lässigkeit und Stärke heraus gegen diesen Trend angehen." Geo mag an Auflage verloren haben - vom Hamburger Selbstbewusstsein ist noch genug da.

Für die geschäftsführende Redakteurin Johanna Wieland, die seit 20 Jahren bei dem 1976 gegründeten Reportagemagazin arbeitet, ist der Relaunch die bislang einschneidendste Veränderung - neben den Entlassungen voriges Jahr. "Das war nicht leicht", sagt sie. "Wir mussten uns aneinander festhalten und gegenseitig stützen. Zum Glück konnten wir das." Das ist der Moment, in dem die PR-Frau, die sich bei den Gesprächen zumeist stumm Notizen macht, nervös darauf hinweist, dass es doch bitte um den Relaunch gehen möge.

Wachsender Pool freier Autoren - die allerbesten davon zum heraussuchen

Neben Wieland sitzt Kucklicks Nachfolger als Geo-Vize, Jens Schröder, der dem Wunsch der PR-Frau gemäß davon schwärmt, wie viel Spaß es gemacht habe, das Heft von Grund auf zu überarbeiten: "Wir haben vorbehaltlos gedacht", sagt er. Auch sich von einzelnen Themengebieten ganz zu verabschieden - Natur? Psychologie? Geschichte? -, habe zur Debatte gestanden, letztlich sei man dem "Konzept der verlässlichen Vielfalt" aber treu geblieben: "Als Muttermarke der Geo-Familie brauchen wir dieses Wundertütige."

"Die Welt mit anderen Augen sehen" - das ist der im Untertitel formulierte Anspruch von Geo. Um mit der Lektüre zufrieden zu sein, sagt Kucklick, brauche der Leser das Gefühl, eine Veränderung durchlebt zu haben. Wenn Geo in der neuen Ausgabe nach Iran reist, dann porträtiert man nicht mehr das Land - da waren einige Leser inzwischen selbst -, sondern die dortige Theaterszene. "Man muss heute journalistisch viel stärker fokussieren", sagt Vize Schröder. Überraschen ist verdammt schwer geworden - aber unverändert Ziel aller Bemühungen in der Geo-Redaktion.

Auf eine als Graphic Novel erzählte Geschichte sei die Resonanz kürzlich "ganz überwiegend freundlich" ausgefallen, sagt Chefredakteur Kucklick. Die Leserschaft - zwei Drittel Abonnenten und damit die Lebensversicherung von Geo - sei also "eher konservativ, aber dennoch offen für Veränderungen".

Eine "krampfige Verjüngung" schließt Kucklick dagegen aus - auch in der Redaktion: "Eine gewisse Reife, eine gewisse Abgehangenheit und Lust auf ausgeruhten, sorgfältigen Journalismus ist essenziell, um hier zu arbeiten." Er wolle das Vertriebs- und Vermarktungsproblem der Branche nicht kleinreden. An guten Geschichten und Autoren mangele es aber nicht.

Geo ist in der luxuriösen Position, sich aus dem wachsenden Pool freier Journalisten die besten aussuchen zu können. Das üppige Honorar nimmt jeder gern.

Schwieriger, aber auch spannender

Unterm Strich profitiert Geo also mehr von der Krise der Branche, als dass das Produkt darunter leidet. Christoph Kucklick kann sich - den Eindruck einer gewissen Abgehobenheit in Kauf nehmend - mehr Optimismus leisten als viele Chefredakteurskollegen.

Kucklick, früher selbst Onlinechef von Geo, kündigt eine Überarbeitung der Webseite und der aufwendigen eMags an. Auch weitere Printableger wie zuletzt das Outdoor-Heft Walden, laut Untertitel "Ein Freund von Geo", seien vorstellbar. Geo sei eine "unheimlich große, starke und vor allem breite Marke".

Kucklick plädiert für einen "gewissen Mut zur Schizophrenie": "Geo kann auf sehr vielen verschiedenen Kanälen sehr unterschiedlich auftreten und immer noch Geo sein." Das Digitale ist für ihn mehr als ein notwendiges Übel: "Klar, das Geschäft ist schwieriger geworden, aber auch spannender, die Möglichkeiten sind viel größer."

Christoph Kucklick ist ein Digitalisierungsversteher und letztlich auch -umarmer und damit in seiner Position ein Exot. "Auch wenn ich für unsere Branche hin und wieder ein Tränchen vergieße", sagt er, "sollten wir global darüber frohlocken, wie die Menschheit von den Möglichkeiten des Internets profitiert." Noch so eine Aussage, die einen gewissen Mut zur Schizophrenie erfordert.

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