Flüchtlingsdebatte:Til Schweiger, Enthüller der Scheinheiligkeit

Flüchtlingsdebatte: Schluss mit lustig: Til Schweiger bei "Menschen bei Maischberger"

Schluss mit lustig: Til Schweiger bei "Menschen bei Maischberger"

(Foto: Screenshot)

Im schimpfwortreichen Duell mit CSU-Generalsekretär Scheuer entlarvt der Schauspieler die hinterhältige Professionalität deutscher Politiker in der Flüchtlingsdebatte.

Von Paul Katzenberger

Wenn er in Rage gerät, dann verliert Til Schweiger auch gegenüber Damen die Contenance: "Verpiss dich" donnerte er kürzlich auf Facebook einer Kommentatorin eines seiner vielen Postings zur Flüchtlingsfrage entgegen. Um sie dann aufzufordern: "Jetzt fang an zu heulen... weil dein Leben so scheisse ist...."

Der Schauspieler schreibt auch schon mal vom "Kacken" und von Menschen, die ihre Schnürsenkel nicht selber gebunden haben können, weil sie sich in einer Weise geäußert haben, die er missbilligt.

Die weltmännische Diktion ist Til Schweigers Sache nicht, und das ist zunächst einmal befremdlich. Der Mann ist ein erfolgreicher Schauspieler, Regisseur, Drehbuchautor und Produzent. Er müsste allein schon deswegen im öffentlichen Auftritt geübt sein. Über die Jahre hinweg lernen Prominente schließlich in aller Regel, ihre Positionen zu vertreten, ohne dabei Verbalinjurien und Ehrverletzungen aneinanderzureihen.

Einer der Anständigen

Trotzdem bekommt Schweiger im Augenblick ungewöhnlich viel Zuspruch. Er gehört gerade zu jenen Anständigen, die sich die NDR-Moderatorin Anja Reschke bei ihrem Auftritt in der Tagesschau in noch viel höherer Zahl wünschte.

Man wird das Gefühl nicht los, dass Schweiger gerade wegen seiner proletenhaften Art beliebt ist. Schweigers Niveaulosigkeit ist sexy, weil er mit ihr etwas entlarvt: Er demaskiert die Scheinheiligkeit, die sich im öffentlichen Diskurs ausgebreitet hat. Sehr schlagend kam das bei Schweigers Auftritt in der ARD-Talkshow "Menschen bei Maischberger" zum Ausdruck.

Den Ausraster, den der vierfache Familienvater da hinlegte, sieht man in der Tat nicht alle Tage: "Sie gehen mir auf den Sack - echt!", pöbelte er den CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer vor einem Millionenpublikum an. Kurz vorher hatte er dem Christsozialen sogar gedroht: Er, Schweiger, werde den CSU-Politiker persönlich beobachten, ob er sich gegen den Mob stelle, der Flüchtlinge terrorisiere.

So kennt man Schweiger inzwischen, doch in der Konfrontation mit Scheuer vermittelte seine Schmähung plötzlich eine interessante Erkenntnis. Wie reagierte der CSU-Mann, der wohl schon länger nicht mehr dermaßen abgewatscht worden ist? Nur allzu verständlich und völlig legitim wäre es gewesen, wenn sich der CSU-General diese Form der Kritik in aller Deutlichkeit verbeten hätte. Doch davon war Scheuer weit entfernt.

Der Schuss geht nach hinten los

Als sei nichts gewesen, blieb der CSU-Mann seiner einstudierten Gesprächsstrategie verhaftet und versuchte stattdessen Schweiger mit einer hinterhältigen Frage nach dem Baustart für dessen Flüchtlingsheim aufs Glatteis zu führen. Kurz zuvor hatte es Meldungen gegeben, dass der Schauspieler die Unterkunft mit einem windigen Partner verwirklichen wolle.

Doch der Schuss ging nach hinten los. Weniger, weil Schweiger die Frage gut parieren konnte, sondern vielmehr, weil sich der Politiker mit seiner Reaktion als allzu berechnender Diskutant entlarvte.

Und das ist es, wovon die vielen Fans, die Til Schweiger neuerdings hat, die Nase voll haben: All die alerten, rhetorisch gewandten und stets zu 100 Prozent disponierten Taktiker, die in den Talkshows landauf und landab ihre Sache ohne jedes Herzblut vertreten.

"Und wenn sie das nicht begreifen wollen, dann müssen sie damit rechnen, dass wir ihnen an die Wäsche gehen"

Das Wichtigste liefern diese politischen Profis trotz ihrer vermeintlichen Seriosität ja oft nicht: einen pragmatischen und nachvollziehbaren Lösungsvorschlag für das diskutierte Problem. Um bei Scheuer zu bleiben: Der wurde bei Maischberger mit dem Satz zitiert: "Wir können nicht die ganze Welt retten."

Stimmt, möchte man sagen. Bei längerem Nachdenken gewinnt die Aussage sogar an Gewicht. Tatsächlich kann Deutschland den vielen unterdrückten Minderheiten dieser Welt nur wenig helfen - den Tibetern und Uiguren in China ebenso wenig wie den zwangsrekrutierten Kindersoldaten im kolumbianischen Bürgerkrieg oder den Menschen vom verfolgten Volk der Rohingya in Myanmar.

Nur: Hat das in der gegenwärtigen Flüchtlingsdebatte irgendjemand ernsthaft gefordert? Nein, Scheuers Aussage leuchtet zwar jedem sofort ein, doch zur Diskussion leistet sie keinerlei sinnvollen Beitrag. Und ob die von ihm und seiner Partei vertretene Abschottungspolitik eine nachhaltige Lösung darstellen kann, bezweifelte just heute ganz ungefragt der österreichische Fernseh-Journalist Armin Wolf. Und der Musiker Herbert Grönemeyer wünschte sich auf einer Pressekonferenz in Hamburg, dass "wir klar Haltung zeigen und denen, die die Flüchtlinge bedrohen oder angreifen, deutlich machen, dass sie gegen eine Wand laufen. Und wenn sie das nicht begreifen wollen, dann müssen sie damit rechnen, dass wir ihnen an die Wäsche gehen."

Wie die Wortmeldungen zeigen, scheinen Journalisten und Künstler den Staatenlenkern bei dieser Problematik einen Schritt voraus zu sein. Die deutsche Politik ist stattdessen durchdrungen von einer omnipräsenten Scheinheiligkeit im seriösen Gewand. Da tut ein verbales Raubein wie Til Schweiger zur Abwechslung ganz gut.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: