Griechenland-Abstimmung im Bundestag:Union aufgemischt - Demokratie erfrischt

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Die Nein-Stimmen aus den eigenen Reihen zum Griechenland-Paket sind ein Warnsignal für die Kanzlerin. Aber der parlamentarischen Demokratie tun sie gut.

Kommentar von Heribert Prantl

Die Abweichler sind keine Abweichler; sie sind auch keine Helden. Sie sind Abgeordnete, also "Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen". So steht es im Grundgesetz.

Gewiss: Es ist nicht gerade üblich, dass so viele Abgeordnete anders stimmen, als ihre Partei- und Fraktionsoberen es vorgegeben haben. Es ist daher nicht falsch, wenn Überlegungen angestellt werden, wie weit die Strahl- und Bindekraft von Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel noch reicht, wenn 63 Unions-Abgeordnete bei der Abstimmung über das dritte Griechenland-Paket nicht hinter ihr stehen. Das ist machtpolitisch für die Union ein Warnsignal; für die parlamentarische Demokratie ist das höchst erfrischend.

Guter Tag für die Demokratie

Warum? Das Parlament darf nicht Fassade sein, hinter der Statisten agieren. Die Gewissensfreiheit, auf die sich die dissentierenden Unions-Abgeordneten berufen haben, ist eine Medizin gegen parteienstaatliche Exzesse. Der heutige Mittwoch mag daher ein relativ schlechter Tag für die Kanzlerin und ihre angeblich so stabile Machtposition gewesen sein. Für die parlamentarische Demokratie war der Mittwoch ein relativ guter Tag.

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Unions-Fraktionschef Kauder ist ein treuer Gefolgsmann der Kanzlerin. Bei der Abstimmung über das dritte Griechenland-Paket hat er wenig zu gewinnen.

Von Nico Fried

Es ist üblich geworden, dass die Partei- und Fraktionsoberen die Abgeordneten schurigeln, die der ausgegebenen Linie nicht folgen wollen. Jüngst war Unionsfraktionschef Volker Kauder der Schurigler; er hat seinen Leuten schlimme Folgen angedroht, wenn sie nicht zustimmen. Er hat zuletzt noch kapiert, dass er sich und der von ihm vertretenen Linie damit nur geschadet hat; deshalb mutierte er noch kurz vor der Abstimmung zum Sanso-Schäfchen.

Den Kauder-Fehler haben in früheren Legislaturperioden auch schon andere gemacht. Franz Müntefering, damals SPD-Fraktionschef, erklärte seinerzeit bei der Abstimmung über die Schröder'schen Hartz-IV-Gesetze kategorisch, es gehe hier nicht um eine Gewissensentscheidung, sondern um einen Ausgleich zwischen verschiedenen Interessen.

Natürlich ist so ein Fraktionschef ein mächtiger Mann; aber so mächtig, dass er dekretieren könnte, was eine Gewissensentscheidung ist und was nicht, ist er auch wieder nicht. Gewissen ist nichts Generalisierbares, sondern etwas höchst Individuelles.

Zwei wichtige Prinzipien

Eine Gewissensentscheidung verlangt von dem, der sich darauf beruft, dass er gewissenhaft mit denen umgeht, denen er damit auch einiges zumutet, also der Mehrheit in seiner Fraktion. Und hier ist zu bemerken, dass Abgeordnete auch Exponenten ihrer Partei sind, der sie ihr Mandat verdanken. Sie werden nicht nur ihrer Tüchtigkeit wegen gewählt. Sie werden auch deswegen gewählt, weil sie von ihrer Partei nominiert worden sind. Politik ist eine Gruppenveranstaltung. Auch das wird vom Grundgesetz anerkannt: Parteien haben, so steht es dort, eine wichtige Rolle bei der politischen Willensbildung.

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Beide Prinzipien sind wichtig - die Freiheit des Abgeordneten und die organisierende Kraft der Parteien und Fraktionen. Wenn beide Prinzipien beachtet und geachtet werden, geht es der parlamentarischen Demokratie gut. Die Partei ist alles, der Abgeordnete ist nichts? Der Satz ist falsch. Aber auch das Gegenteil ist nicht richtig: Der Abgeordnete ist nicht alles, und die Partei und die Fraktion sind nicht nichts.

Ein Lob also für die Zustimmer zum Griechenland-Paket. Ein noch größeres für die, die dagegen gestimmt haben. Sie müssen nämlich Anfechtungen ertragen. Ein guter Abgeordneter hält sie aus.

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