Sprachlabor:Befremden

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(Foto: Luis Murschetz (Illustration))

Kürzlich fand sich in der SZ das Wort "befremdet". Thema war, ob man sich in seiner Umgebung wohl oder "befremdet fühlt", eine Formulierung, die ein Leser "reichlich befremdlich" fand.

Von Hermann Unterstöger

IM ERSTEN PETRUSBRIEF heißt es: "Ihr Lieben, lasset euch die Hitze, so euch begegnet, nicht befremden." Dass das nicht auf eine Hitze zielt, wie wir sie in letzter Zeit hatten, ist klar. Nicht so klar ist die Bedeutung des Verbs befremden, und noch weniger klärt sich die Sache, wenn man Sepp Hells "Bibl auf Bairisch" heranzieht: "Liebe Brüeder, laasstß enk nit drausbringen durch dö Feuersbrunst, mit derer woß ietz prüefft werdtß!" In einem banaleren Kontext fand sich bei uns kürzlich das Wort "befremdet". Thema war der Puls als Maß dessen, "ob man sich in seiner Umgebung wohl und behaglich oder befremdet fühlt", eine Formulierung, die Leser Dr. M. "doch reichlich befremdlich" fand. Befremdet wird üblicherweise als eigenartig und zugleich unangenehm berührt verstanden. Herrn M. wäre die Befremdung erspart geblieben, hätte unser Autor den Puls ganz einfach anzeigen lassen, ob man sich behaglich oder unbehaglich fühlt.

UNVERHOFFT KOMMT OFT, und auch das Wort unverhofft kommt öfter, als es manchen Lesern lieb ist. Völlig unlieb ist ihnen das bei Todesfällen wie dem des Schauspielers Horst Mendroch, der bei uns und in anderen Medien so übereinstimmend als "unverhofft" gemeldet wurde, dass man eine stillschweigend übernommene amtliche Verlautbarung dahinter vermuten möchte. Wie auch immer, unser Feuilleton bedauert es, unverhofft nicht durch unerwartet ersetzt zu haben, wobei ja auch das Wort unerwartet den unguten Beigeschmack hat, es könnte jemand auf Mendrochs Tod gewartet haben. Beide Vokabeln werden bei Todesanzeigen routiniert, fast rituell verwendet, was seinen Grund darin hat, dass sie im Alltag als unverfängliche Synonyme für plötzlich aufgefasst werden. Diese Kolumne wurde schon oft ermahnt, mit Dichterworten vorsichtig zu sein, da auch Dichter Fehler machten. Ungeachtet dessen sei Leonie Ossowski zitiert, in deren Roman "Die große Flatter" es heißt: "Ihre Hand knallt unverhofft in sein Gesicht."

© SZ vom 22.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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