NSU-Ausschuss in Nordrhein-Westfalen:Tief im braunen Westen

NSU-Prozess: Opfer von Sprengstoffanschlag sagt als Zeugin aus

Bei einem Bombenanschlag auf ein Lebensmittelgeschäft am 19.01.2001 in der Probsteigasse in Köln wurde eine 19-Jährige schwer verletzt.

(Foto: dpa)

In einem eigenen Untersuchungsausschuss arbeitet Nordrhein-Westfalen seine Rolle in der NSU-Mordserie auf. Hatten die rechten Terroristen dort lokale Unterstützer?

Von Jannis Brühl, Düsseldorf

Selbst wenn ein Ermittler die Spur zu den Nazis gerochen hätte, er wäre bei Hans-Bernhard Jansen wohl an der falschen Adresse gewesen: "Ich bin von Grund auf ein unpolitischer Mensch. Da lege ich auch Wert drauf", sagt der ehemalige Leiter der Abteilung Kapitalverbrechen bei der Staatsanwaltschaft Köln. Da schweigen die Abgeordneten, allesamt selbstverständlich hochpolitische Menschen, erst einmal irritiert. Nun ist Jansen 76 Jahre alt, seit 12 Jahren im Ruhestand, sitzt vor dem NSU-Untersuchungsausschuss im Landtag in Düsseldorf und kann sich nicht mehr erinnern.

Es geht um den Anschlag in der Kölner Probsteigasse. Die Tochter eines deutsch-iranischen Ladenbesitzers hatte am 19. Januar 2001 in dem Geschäft eine Christstollendose geöffnet, die ein vermeintlicher Kunde Wochen zuvor im Geschäft zurückgelassen hatte. Die darin versteckte Bombe explodierte und verletzte die 19-Jährige schwer.

Jansen sagt, der Anschlag in der Probsteigasse sei aus seiner Sicht "nichts wirklich Besonderes" gewesen. Bis er in den Untersuchungsausschuss eingeladen worden sei, habe ihm der Fall "überhaupt nix" gesagt. Dass dem Leiter der ermittelnden Abteilung der Fall offensichtlich relativ egal war, ist der erste Eindruck an diesem Tag in Düsseldorf.

Hatte der NSU lokale Unterstützer in NRW?

Es ist, nach einigen einführenden Sitzungen, die erste Zeugenvernehmung im NSU-Ausschuss, in dem der Landtag von Nordrhein-Westfalen die Verbindungen des Bundeslandes aufarbeitet, das auf den ersten Blick so weit weg von der Thüringer Zelle zu sein scheint. Der Ausschuss soll tief in die braune Geschichte des Westens eintauchen.

Für Nordrhein-Westfalen bedeutet die Untersuchung, sich einem Teil seiner politischen Landschaft zu stellen, der im Multikulti-Bundesland, in dem Politiker gern das friedliche Zusammenleben aller Kulturen beschwören, manchmal ignoriert wird: Dass es eine aktive Neonazi-Szene gab, die immer wieder zu Gewalt griff - und greift. Und dass der Verdacht im Raum steht, dass lokale Unterstützer dem NSU bei seinen Morden geholfen haben.

Die entscheidenden Fragen, die der Ausschuss in den kommenden Monaten beantworten soll:

  • Welchen Zusammenhang gibt es zwischen der Bombe in der Probsteigasse und dem Nagelbombenanschlag in der Kölner Keupstraße 2004, der 22 Menschen verletzte?
  • Welche Rolle spielte der Neonazi Johann H., der als V-Mann für den Verfassungsschutz arbeitete? Einem Vermerk der damaligen Präsidentin des NRW-Verfassungsschutzes zufolge gab es eine Ähnlichkeit zwischen dem Phantombild des Verdächtigen und H. Die Präsidentin soll kommende Woche im Ausschuss aussagen.
  • Hatte der NSU bei seinem Mord an dem türkischstämmigen Kioskbesitzer Mehmet Kubasik in Dortmund und den Bomben in Köln Hilfe aus der lokalen rechtsextremen Szene? Sie war und ist in beiden Städten stark.

Die Bomben-Überreste wurden vernichtet

Jansen gibt sich nur kritisch, wenn es um den Mann geht, der den Fall in seiner Abteilung direkt betraute: Staatsanwalt Karl-Heinz Schlotterbeck, der nach ihm aussagen wird. Der sei als "Verlegenheitslösung" für einen plötzlich verstorbenen Kollegen gekommen und habe wenig Erfahrung in Kapitalverbrechen mitgebracht. Zwar sei es ein "grober Fehler" gewesen, dass dieser die Asservate habe vernichten lassen: "Aber im Nachhinein ist man schlauer."

Schlotterbeck ist nach Jansen dran. Er erklärt ebenfalls, für einen politischen Hintergrund habe es keinerlei Anhaltspunkte gegeben. Er wies 2006 an, die Asservate zu vernichten. Das sind jene Überreste der Bombe aus der Probsteigasse, die heute zur Aufklärung eines weiteren NSU-Puzzlesteins inklusive der möglichen Rolle des V-Mannes beitragen könnte. Der ehemalige Staatsanwalt sagt zur Entsorgung: "Ich halte die Entscheidung auch heute noch für angemessen, konsequent und richtig."

"Es gab keinen politischen Hintergrund", sagt Schlotterbeck

Der Anschlag auf das iranische Geschäft erinnert an drei bis heute ungeklärte Sprengstoffanschläge in den Neunzigern, deren Opfer aus der Türkei stammten. Von denen hatten die Ermittler aber offenbar keine Ahnung, und auch nach dem Anschlag in der Keupstraße habe er keine Verbindung zu seinem Fall gesehen, sagt Schlotterbeck. Monika Düker von den Grünen sagt dazu in verwundertem Tonfall: "Selbst in einer Großstadt wie Köln sind doch Sprengstoffanschläge nicht an der Tagesordnung." Immerhin räumte Schlotterbeck im Gegenteil zu Jansen ein, ein Anschlag wie der mit der Stollendose sei durchaus "ungewöhnlich" gewesen.

In dem unspektakulären holzgetäfelten Fraktionssaal voller Anzug- und Kostümträgerinnen ist der einzige Farbtupfer ein knallrotes, glänzendes Kopftuch. Eine Besucherin trägt es, sie und andere Gäste von der Initiative "Keupstraße ist überall" erinnern die Abgeordneten an die Opfer des Anschlags.

Die Probsteigasse sei "keine Einkaufsstraße für Leute mit Migrationshintergrund" wie die Keupstraße gewesen, sagt Schlotterbeck, die Wahl des Opfers zufällig. Keine zufriedenstellende Antwort hat er auf die Frage, wie man allein anhand des Tatorts einen rassistischen Tathintergrund ausschließen könne.

Trotz des Eingeständnisses, dass es in seiner Abteilung einen Fehler gegeben habe: Als Jansen auf einem Monitor der Vermerk zur Einstellung des Verfahrens gezeigt wird, sagt er, dieser sei "nicht zu beanstanden". Die Zeugenaussagen seien dürftig gewesen, der Zeuge, dem der Attentäter den Geschenkkorb überreicht hatte, habe niemanden wiedererkannt.

Schlotterbeck sagt: "Es gab keine Anzeichen für eine Anschlagsserie. Es gab keinen politischen Hintergrund." Das klingt wie ein Freudscher Versprecher. Er meint wohl: keine Anhaltspunkte für einen solchen Hintergrund. Denn dass es einen solchen Hintergrund gab, ist wegen des NSU-Videos wahrscheinlich. Es gibt also noch viele Fragen zu stellen in Nordrhein-Westfalen.

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