Gesetzentwurf zu Prostitution:Geschenk an Großbordelle

Frau an der Autobahn

Künftig weniger Schutz statt mehr: Prostituierte, hier an der Autobahn. (Foto von 2011)

(Foto: Patrick Pleul/dpa)

Mit ihrem Gesetzentwurf will die Regierung Prostituierte schützen. Doch das Übermaß an Bürokratie wird die Arbeitsbedingungen sogar noch verschlechtern.

Von Ulrike Lembke

Soll man Prostitution legalisieren, so wie dies Amnesty International neuerdings fordert? Ja, unbedingt - wer sich mit der Lebensrealität von Prostituierten beschäftigt, wird hinter diese Antwort kaum mehr zurückfallen können. Die lange, ungute Erfahrung auch in Deutschland hat gezeigt, dass Illegalität zu Recht- und Schutzlosigkeit führt. Begünstigt werden Ausbeutung, Erpressung und Übergriffe.

Es ist deshalb schon einiges passiert hierzulande: Die im Jahr 2002 von der damals rot-grünen Koalition beschlossene Legalisierung sollte die Situation von Prostituierten verbessern. Wenn sie Opfer von Gewalt waren, sollten sie sich leichter an die Behörden wenden können. Wenn sie um ihr Geld betrogen wurden, auch.

Der neue Gesetzentwurf ist enttäuschend

Diese Absicht war gut, so ganz ist das Versprechen des Gesetzgebers allerdings nie eingelöst worden, zu unvollständig blieben die neuen Vorschriften. In dieser Unsicherheit fand jede Kommune zu ihrem ganz eigenen Umgang mit Prostitution. Überfällig ist daher der neue Anlauf der inzwischen schwarz-roten Koalition, die Arbeitsbedingungen von Prostituierten bundesweit klar zu regeln - mit dem sogenannten Prostituiertenschutzgesetz, dessen Entwurf jetzt dem Bundestag vorliegt.

Und umso enttäuschender ist, was dabei herausgekommen ist. Der Gesetzentwurf macht es Sexarbeiterinnen nicht leichter, ihre Rechte durchzusetzen, sondern sogar wieder schwieriger.

Das liegt gar nicht so sehr an einzelnen Vorschriften des Entwurfs, die jeweils von guten Absichten getragen sind. Es liegt aber an der Ballung neuer Pflichten für alle Personen, die mit der Branche zu tun haben. Geplant ist eine Meldepflicht für alle Prostituierten, auch erstmals ein Zwang zu behördlichen und ärztlichen Beratungen, eine Kondompflicht für Freier, Erlaubnispflichten für Bordelle und andere Formen von Prostitutionsgewerben.

Das Arbeitsumfeld für Prostituierte dürfte sich dadurch eher verschlechtern als verbessern, so muss man mit Blick auf internationale Erfahrungen befürchten - und das liegt an den praktischen Auswirkungen, die ein derart erhöhter bürokratischer Druck auf ein Gewerbe hat, das gesellschaftlich traditionell stark stigmatisiert ist.

Laufhäuser werden genauso behandelt wie Selbständige

Welcher Prostituierte outet sich da gerne bei den Behörden mit deren langem Gedächtnis? Welche möchte riskieren, dass Verwandte, Nachbarn, künftige Arbeitgeber von dieser Form des Gelderwerbs erfahren? In Wien, wo bereits eine Anmeldepflicht für Prostituierte eingeführt wurde, hat sich letztlich nur die Hälfte der Prostituierten registrieren lassen. Die übrigen machten weiter wie bisher, nun aber illegal - und das heißt, dass sie es im Notfall schwerer haben dürften als vorher, sich auf staatlichen Schutz zu berufen.

Der Gesetzentwurf der großen Koalition belegt jedes Prostitutionsgewerbe und jeden Verdienst eines Dritten an sexuellen Dienstleistungen mit einer Vielzahl von neuen Auflagen. Dabei wird das Laufhaus-Bordell mit zweihundert Zimmern genauso behandelt wie drei Sexarbeiterinnen, die sich für ihr selbständiges Gewerbe eine Wohnung teilen. Solche Kleingewerbe in Wohnungen machen 62 Prozent aller Bordelle in Deutschland aus. Bislang. Internationale Studien zeigen, dass ein repressiveres Gewerberecht zum Überleben der Großbordelle führt, während kleine Erwerbsstätten kapitulieren oder in die Illegalität gedrängt werden.

Dem erhöhten bürokratischen Druck hält die robustere Struktur stand, nicht unbedingt die Einrichtung mit den besseren Arbeitsbedingungen. Deshalb gelten zum Beispiel in Neuseeland solche verschärfte Erlaubnispflichten nur für Prostitutionsstätten mit mindestens fünf Personen. Im deutschen Gesetzentwurf fehlt ein solcher Schutz für kleine Wohnungsbordelle.

Der Staat prüft jetzt, ob Frauen reif genug für den Job sind

Welche Vorstellung von Prostituierten dem Gesetzentwurf der großen Koalition zugrunde liegt, verrät eine bemerkenswerte Formulierung in der zentralen neuen Vorschrift zur Meldepflicht für Sexarbeiterinnen. Demnach müssen die Kommunen die Anmeldung einer Prostituierten ablehnen, wenn Anhaltspunkte bestehen, dass diese "nicht über die zum eigenen Schutz erforderliche Einsicht" verfügt.

Dies ist eine völlig neue Regelung im deutschen Gewerberecht. Zur Erinnerung: Es geht bei der legalen Prostitution um voll geschäftsfähige, volljährige Menschen. In keinem anderen Gewerbe maßt sich der Staat eine regelhafte Prüfung der Frage an, ob diese Frauen reif genug für den von ihnen gewählten Job sind.

Selbstgefährdendes Verhalten ist in Deutschland weitgehend erlaubt. Das entspricht unserer Vorstellung von Autonomie und Menschenwürde. Indem wir unserem Gegenüber das Recht zugestehen, nach eigenem Dafürhalten vernünftig oder unvernünftig zu handeln, erkennen wir ihn oder sie als rationales und mündiges Wesen an, dem wir Entscheidungen zutrauen. Der Staat muss vor Ausbeutung, Zwang und Gewalt schützen, nicht aber vor schwierigen Entscheidungen.

Für die Freier gibt es keine Pflichten

Obwohl der öffentliche Gesundheitsschutz in Deutschland seit Jahren auf Beratung auf Augenhöhe setzt, nötigt der Gesetzentwurf Sexarbeiterinnen nun auch zu einer medizinischen Zwangsberatung. Die große Koalition traut ihnen nicht zu, dass sie in diesem wesentlichen Bereich eigenverantwortlich handeln. Zugleich wird den Freiern eine trügerische Sicherheit vorgegaukelt. Dabei sind für die öffentliche Gesundheit viele Freier eine weitaus größere Gefahr.

Überhaupt, die Freier. Der Gesetzentwurf tut so, als wären sie völlig irrelevant für die Arbeitsbedingungen und die Selbstbestimmung der Sexarbeiterinnen. Eine faktisch nicht durchsetzbare Kondompflicht ist alles, womit sie behelligt werden sollen. Warum keine Pflichten für Freier, sich zu vergewissern, dass die sexuelle Dienstleistung freiwillig erbracht wird? Oder Pflichten, Mindesttarife zu zahlen? Warum keine Pflichten, mit einer Art Vergnügungssteuer nicht-staatliche Beratungseinrichtungen zu finanzieren?

Um die Situation von Prostituierten wirklich zu verbessern, müsste der Staat investieren: in unabhängige Beratungsstellen, Infrastruktur, Gesundheitsangebote, Sicherheit, funktionierende Ausstiegsprogramme. Das alles kostet Geld. Zur Bekämpfung von Menschenhandel und kommerzieller Vergewaltigung (sogenannter Zwangsprostitution) bräuchte es zudem besseren Opferschutz, das heißt vor allem mehr Ressourcen für Strafverfolgung und Beratungsstellen und mehr Möglichkeiten legaler Zuwanderung, um Menschenhändlern das Wasser abzugraben. Neuer bürokratischer Druck auf die Branche hingegen bewirkt etwas anderes: Diejenigen, die staatlichen Schutz am dringendsten brauchen, werden ihn noch weniger erhalten.

Ulrike Lembke ist Professorin für öffentliches Recht und Legal Gender Studies an der Universität Hamburg. Sie ist Herausgeberin eines im Herbst erscheinenden Sammelbandes zu Sexualität und Recht.

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