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Media Player: Verloren in Belfast: Das Drama "'71" von Yann Demange.

Verloren in Belfast: Das Drama "'71" von Yann Demange.

(Foto: Ascot Elite)

Das Nordirland-Drama "'71 - Hinter feindlichen Linien" versucht gar nicht erst, die Motive der Gewalt zu analysieren. Das macht den Film umso eindrücklicher.

Von David Denk

Es gibt Filme, da steigt das Vergnügen des Zuschauers mit dem Grad des Schlamassels, in dem sich der Held wiederfindet, die "Stirb langsam"-Reihe etwa. Und es gibt Filme wie "'71 - Hinter feindlichen Linien".

In dem Thrillerdrama von Yann Demange nach dem Buch von Gregory Burke, das im vergangenen Jahr im Berlinale-Wettbewerb lief, gerät der junge britische Rekrut Gary Hook (Jack O'Connell), als ein Routineeinsatz eskaliert und er von seinen Kameraden getrennt wird, zwischen die Fronten des Nordirlandkonflikts. Zwischen die Fronten geraten - was so lapidar klingt, macht der Film, dem ein deutscher Kinostart leider nicht vergönnt war, aufs Ungemütlichste erlebbar. Das kleinbürgerliche Belfast, durch das Hook vor seinen Verfolgern flieht - IRA, MRF -, wimmelt vor Mauern, Türen, Sackgassen. Ein Labyrinth des Schreckens, düster, feucht und kalt. Doch Hook hat keine Wahl: Er muss da durch.

Die räumliche Unübersichtlichkeit korrespondiert mit Hooks Verwirrtheit. Als ihn eine katholische Familie schwer verletzt von der Straße aufliest und er gefragt wird, ob er Katholik oder Protestant sei, antwortet er nur: "Keine Ahnung." Weder Religion noch Politik haben in Hooks Leben bislang eine Rolle gespielt. Er ist einfach ein Junge aus Derbyshire, der zur falschen Zeit am falschen Ort war und den Hass nicht versteht, der Belfast beherrscht. Er registriert ihn lediglich - wie die in ihrer dokumentarischen Nüchternheit durchschüttelnde Handkamera von Anthony Radcliffe. Sie ergreift keine Partei, sondern folgt Hook teilnahmslos durch diesen Realität gewordenen Albtraum, auf seiner Odyssee durch eine verrohte Gesellschaft.

"'71" ist keine analytische Ergründung des Nordirlandkonflikts und seiner Ursachen und damit als Antikriegs-Parabel umso eindrücklicher. Der Film relativiert die Gewalt nicht, indem er Verständnis für die Motive aufbrächte, er bricht Krieg auf den Kern herunter: töten, um zu überleben. Heil zurück nach Hause zu kommen, wie er es seinem kleinen Bruder versprochen hat, das ist Hooks einziges Ziel. Und das Ziel aller anderen. Einigen wird es gelingen, anderen nicht. Es ist ein Tabu, weil es allem widerspricht, was man in Friedenszeiten gelernt hat, aber der Film traut sich zu zeigen, was passiert, nachdem man jemanden getötet hat: Man ist erst einmal erleichtert, weil man selbst weiterleben darf. Der dünne Firnis der Zivilisation - noch so eine Floskel, die "'71" mit Leben füllt. Es ist ein Film, der existenzielle Fragen aufwirft, die der Zuschauer mit sich selbst ausmachen muss.

'71 - Hinter feindlichen Linien ist als DVD und Blu-ray erschienen (ab 12,99 Euro). Der Film ist auch als Video on Demand erhältlich, zum Beispiel bei Amazon oder Google Play (ab 3,99 Euro).

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