Karlsfeld:Vor der Auflösung

Der Verein "Jugendkultur & Arbeit" kümmert sich um junge Leute ohne Perspektive, doch seine Zukunft ist ungewiss

Von Gregor Schiegl, Karlsfeld

Kein Schulabschluss, kein Ausbildungsplatz, keine Perspektive. Was fängt man an mit seinem jungen Leben, wenn einen schon alle aufgegeben haben? 2007 standen in Karlsfeld viele Jugendliche quasi auf der Straße, vom Bildungssystem aussortiert und ohne Aussicht, im Berufsleben Fuß zu fassen. Der 2007 von der damaligen Karlsfelder Streetworkerin Martina Kirchpfening ins Leben gerufene Verein "Jugendkultur & Arbeit" holte diese Jugendlichen ins Jugendhaus. Dort brachte Beate Hartmann, Sozialpädagogin und Hotelfachfrau, ihnen Kochen bei, gab ihnen Mut zurück und Selbstvertrauen. Gleichzeitig bekam Karlsfeld ein Café, das mit Jugendkulturangeboten Publikum anlockte, das die Nachwuchsköche verköstigten. Nach einem halben Jahr durchbrach der Verein bereits die Umsatzsteuerbemessungsgrenze von 17 500 Euro. "Da hat man erst gesehen, wie tragfähig die Idee war", sagt Beate Hartmann.

Die Vergangenheitsform ist nicht zufällig gewählt. Der preisgekrönte Verein mit seinem beispielhaften Modell, schwer vermittelbare Jugendliche in Lohn und Brot zu bringen, steht vor einer ungewissen Zukunft. Schon vor einem Jahr hat er faktisch aufgehört zu existieren. Aus gesundheitlichen Gründen fiel Beate Hartmann vor einem Jahr aus. In ihrer Doppelrolle als gastronomische Fachfrau und einfühlsame Sozialpädagogin ist sie unersetzlich. Zwei Köche haben versucht, ihre Rolle zu übernehmen. Aber das funktionierte nicht so recht. Die Köche waren genervt, dass die Jugendlichen nicht die Leistung bringen, die sie von Lehrlingen gewohnt waren. Und die Jugendlichen waren verprellt, weil sie sich von den Köchen einiges anhören mussten.

Nun steht der Verein "Jugendkultur & Arbeit" am Scheideweg. Im Herbst will der Vorstand, dem auch Gemeinderäte aller drei Rathausfraktionen angehören, beschließen, wie es weitergeht. Und ob es weitergeht. Der Vorsitzende Max Haberl, Jugendbereichsleiter der Gemeinde, sieht mehrere Optionen: von der Auflösung des Vereins bis zu einer neuen Zweckbestimmung. Dann könnte aus dem Trägerverein für Qualifizierungsmaßnahmen zum Beispiel ein Förderverein für die Jugendarbeit im Jugendhaus werden.

Das einzige, was feststeht: In der alten Form wird der Verein "Jugendkultur & Arbeit" nicht fortbestehen. Das liegt vor allem - aber nicht nur - an der Personalie Hartmann. In Zeiten des Fachkräftemangels können es sich die Unternehmen nicht mehr leisten, nur den Besten eine Chance zu geben. Inzwischen bemühen sie sich auch selbst verstärkt darum, Nachzügler für Ausbildung und Beruf fit zu machen. Bis zu einem gewissen Grad hat sich das Problem also von selbst gelöst.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass auch die schönsten Erfolgsgeschichten Schwächen haben, Fehler und Konstruktionsmängel. Das fängt schon mit dem Geld an. Zwar hat sich das Projekt "Jugendkultur & Arbeit" manchmal fast selbst getragen. Aber eben nur fast. "Ich kenne auch kein Modell in diesem Bereich, das nicht Zuschussprojekt wäre", sagt Jugendbereichsleiter Haberl.

Der relative wirtschaftliche Erfolg gründet sich auf das Catering-Angebot des Vereins. Bis zu 200 Leute haben die Jugendlichen schon an einem Abend verköstigt, das ist eine tolle Leistung. Was aber, wenn es einen Großauftrag gibt und die Jungköche haben gerade mal etwas anderes vor? So was passiert. Oder sie haben an diesem Tag einfach keinen Bock? Auch das kommt vor. Man kann Ein-Euro-Jobber schlecht zu etwas zwingen, und wer glaubt, eine Drohung mit Rauswurf würde etwas bewirken, macht sich falsche Vorstellungen. Liefern müssen die Caterer trotzdem, sonst sind sie den Kunden los, ein für allemal. Das führt auch schon mal dazu, dass ausgebildete Sozialpädagogen den ganzen Abend in der Küche verbringen, kochen, braten und Speisen hübsch arrangieren. Eigentlich ist das nicht ihr Job.

Die Bilanz des Projekts fällt sehr positiv aus. In den vergangenen Jahren ist es dem Verein gelungen, etwa 15 Jugendliche in eine Anstellung zu bringen. "Es hat wahnssinnig Spaß gemacht, auch wenn es manchmal tierisch stressig war", sagt Hartmann. Stolz ist sie vor allem auf ihre Jungs, die die Qualifizierungsmaßnahme nach ihrer Krankschreibung alleine durchgezogen haben. "Ich habe ja immer nur Anstoß gegeben, dass die Dinge ins Rollen kommen." Beate Hartmann lächelt verschmitzt und nimmt einen Schluck aus ihrer Tasse. Automatenkaffee.

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