Klimaschutz:Gelddrucken im Treibhaus

Klimaschutz: Der Emissionshandel soll Kraftwerke wie dieses in Moskau effizienter machen. Doch Geschäftemacher nutzen ihn zur wundersamen Geldvermehrung.

Der Emissionshandel soll Kraftwerke wie dieses in Moskau effizienter machen. Doch Geschäftemacher nutzen ihn zur wundersamen Geldvermehrung.

(Foto: Misha Japaridze/AP)
  • Erst Treibhausgase absichtlich erzeugen - und sie dann wieder einsparen: Ein russische Firma verdiente damit Millionen.
  • Höchste politische Kreise deckten die schmutzigen Geschäfte offenbar.

Von Michael Bauchmüller und Andreas Spinrath

Ginge alles mit rechten Dingen zu, dann wäre die Fabrik am Stadtrand von Perm eine wahre Wunderwaffe im Kampf gegen den Klimawandel. Binnen eines Jahres versiebenfachte der Kunststoffhersteller Halo Polymer zu Füßen des Uralgebirges seine Einsparungen an klimaschädlichen Emissionen. Gäbe es nicht einen Haken. Die Treibhausgase, die Halo Polymer einsparte, hatte die Fabrik zuvor selbst erzeugt, und zwar absichtlich: Mit dieser Art Klimaschutz verdiente die Firma Millionen. Moskauer Behörden, so ergeben Recherchen von WDR und Süddeutscher Zeitung, schauten offenbar wohlwollend zu.

Ans Licht gebracht hat die Klimatricksereien ein Report für das Wissenschaftsmagazin Nature Climate Change, der an diesem Dienstag erscheint. Danach haben Firmen in Russland und der Ukraine jahrelang systematisch am Klimaschutz verdient - und das in vielen Fällen, ohne nur ein Gramm Treibhausgas einzusparen. "Es ging darum, Profite zu machen, und das auf Kosten des Klimas", sagt Lambert Schneider vom Stockholm Environment Institute, einer der Autoren der Studie.

Hinter dem Geschäftsmodell stehen Vorgaben aus dem Kyoto-Protokoll zum Klimaschutz. Danach lassen sich eingesparte Emissionen international handeln, in Form spezieller Zertifikate. Dem Klima ist es schließlich egal, wo die Treibhausgase eingespart werden; Hauptsache, sie werden eingespart - das war die Philosophie des 1997 verabredeten Kyoto-Protokolls. So schuf das Protokoll etwa die "Joint Implementation" etwa, kurz: JI. Die Idee: Wer viel für das Klima tut, kann sich dafür Zertifikate gutschreiben lassen. Die wiederum lassen sich gewinnbringend an andere Firmen verkaufen - die damit Klimaauflagen etwa der EU erfüllen. Doch wie unverfroren vor allem Industriestaaten Osteuropas diesen Mechanismus ausbeuteten, das wird erst jetzt richtig klar.

In Russland etwa, wo ein Drittel aller JI-Projekte beheimatet sind, legten die Kunststoff-Fabriken im Jahr 2011 erst richtig los. Binnen eines Jahres schraubten sie die Produktion der klimaschädlichen Gase SF6 und HFC 23, eigentlich Abfallprodukte der Kunststoffherstellung, massiv hoch. Aber nicht, weil sie mehr Kunststoff erzeugten. "Wir gehen davon aus, dass die Anlagen bewusst ineffizient betrieben wurden, damit viele Treibhausgase entstehen", sagt Studien-Autor Schneider - Treibhausgase, die sich anschließend "vermeiden" ließen. Die entsprechenden Zertifikate ließen sich vor allem in der EU mit Gewinn verkaufen - etwa an Kraftwerke in Deutschland, die so ihren Ausstoß klimaschädlicher Gase "kompensieren" konnten.

Höchste politische Kreise in Moskau deckten die schmutzigen Geschäfte offenbar

Einen Hehl machte Halo Polymer nicht aus dem Geschäft. Im September 2012 berichtete die Firma stolz über das Vorjahr. Um 73 Prozent seien die Umsätze gewachsen, auch wegen "der Umsetzung von Vorgaben des Kyoto-Protokolls". Wohl wahr: 40 Prozent des Umsatzes kamen nicht aus der Herstellung von Kunststoffen, sondern vom Abfallprodukt - fast 200 Millionen Dollar. Im Geschäftsbericht ist das transparent dargelegt. "Im Grunde", sagt auch Schneider, "ist das wie Gelddrucken."

Höchste politische Kreise deckten die schmutzigen Geschäfte offenbar. Ein Dekret von Präsident Wladimir Putin betraute die Sberbank, Russlands größtes Bankinstitut, mit der Vorauswahl und der Abwicklung der Klimaprojekte. Offiziell hatte das Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Handel das letzte Wort - doch dessen Chef, der Putin-Intimus German Gref, wechselte 2007 an die Spitze der halbstaatlichen Sberbank. Nach Aussagen von Insidern entwickelte die Bank sich zur Spinne im Netz: "Die Sberbank hat diese Projekte ausgewählt", sagt ein Informant, der anonym bleiben möchte. "Diejenigen, die weiterkamen, wurden ins Ministerium eingereicht. Und dort wurden sie ohne weitere Prüfung per Befehl genehmigt." Halo Polymer etwa sei eine jener Firmen gewesen, "die das Sicherheitssystem des Kohlenstoffmarktes geknackt haben".

Die Kriterien für die Auswahl waren undurchsichtig, es gärten schon damals Gerüchte. Etwa, dass die Bank die eigene Kundschaft bei der Verteilung der wertvollen Projekte bevorzugte. Die Sberbank selbst will sich zu all dem nicht äußern. Erst 2013 endete das Spiel, als Russland aus dem Kyoto-Protokoll ausstieg. Schon vorher hatte die EU den Handel mit HFC-23-Zertifikaten unterbunden.

Anders in der Ukraine. Sie ist auch in der zweiten Kyoto-Phase dabei, die 2013 begann - und generierte bisher 60 Prozent aller JI-Zertifikate. Besonders beliebt ist der Klimaschutz auf der Abraumhalde. Im Abraum ostukrainischer Kohleminen findet sich schließlich stets das eine oder andere Körnchen ungenutzter Kohle. Diese Kohle könnte, rein theoretisch, in Brand geraten und dann den Treibhauseffekt mit zusätzlichem CO₂ anheizen. 68 solcher Projekte gibt es in der Ukraine, sie "sparen" 219 Millionen Tonnen Kohlendioxid ein - mehr als genug, um alle deutschen Braunkohlekraftwerke für ein Jahr mit Klimazertifikaten zu versorgen. Doch addiert man die Annahmen aller 68 ukrainischen Abraumprojekte, dann müsste knapp ein Drittel aller Kohle dort aus solchen Halden stammen. "Ein höchst unrealistisches Szenario", folgert eine Studie des Stockholmer Instituts, die dem Nature-Bericht zugrunde liegt.

Die Forscher hatten 60 solcher "Joint Implementation"-Projekte geprüft. Das Ergebnis ist ernüchternd. Bei knapp drei Viertel aller Fälle stießen sie entweder auf Mauscheleien oder auf Vorhaben, die sich auch ganz ohne den Zertifikate-Deal gelohnt hätten. Rechnet man das auf alle 872 Millionen Tonnen hoch, die auf diesem Weg vor allem in Staaten Osteuropas eingespart wurden, dann wären Zertifikate über 600 Millionen Tonnen CO₂-Emissionen zusätzlich auf den Markt gekommen, ohne dass damit ein Extranutzen fürs Klima verbunden wäre. Stattdessen drückten die billigen Zertifikate auch den Preis im europäischen Emissionshandel - und machten die klimaschädlichen Emissionen für hiesige Kraftwerke und Fabriken günstiger.

Experten hoffen nun auf strengere Regeln im neuen Klimaabkommen, das im Dezember in Paris beschlossen werden soll. Nicht länger dürften Staaten ohne internationale Kontrolle festlegen, welche Projekte taugen. "Es ist extrem wichtig für ein neues Abkommen, dass man diese Fehler nicht wiederholt", sagt Schneider. Das Bundesumweltministerium sieht das genauso. Eine Reform samt strenger Kontrolle sei überfällig, heißt es dort. Schon der "ökologischen Integrität" wegen.

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