Gesundheit:Fit und trotzdem dement

Nebel in der Karlsaue

Eine Studie legt nahe: Auch regelmäßiger Sport schützt wohl vor Demenz im Alter nicht.

(Foto: Uwe Zucchi/dpa)
  • Forscher haben in zwei großen Untersuchungen an 1600 und 3000 Teilnehmern mögliche Einflüsse auf Demenz untersucht.
  • Weder Bewegung noch Ernährung hatten einen positiven Effekt auf die kognitiven Fähigkeiten.
  • Ärzte sollten ihre Patienten dennoch zu einer gesunden Lebensführung ermutigen.

Von Werner Bartens

Lange gab es zumindest diesen Hoffnungsschimmer: Wenn sich gegen die Ursachen von Alzheimer und anderen Demenz-Formen nichts ausrichten lässt, kann immerhin eine gesunde Lebensführung den geistigen Verfall verlangsamen oder gar aufhalten. Ausreichende Bewegung, gemischte Kost mit frischen Produkten und geistige Regsamkeit bewahren die Erinnerung und tragen dazu bei, auch im Alter möglichst lange klar denken und angemessen reagieren zu können - so lautete der unter Wissenschaftlern wie Laien verbreitete Konsens. Zumindest was den Einfluss von Bewegung und Ernährung angeht, hat dieser Glaube nun einen herben Dämpfer hinnehmen müssen.

Im Fachmagazin Journal of the American Medical Association vom heutigen Mittwoch zeigen zwei große Studien, dass es mit der Schutzwirkung von Sport und Nahrungsergänzungsmitteln auf das Gehirn nicht so weit her ist (Bd. 314, S. 781 & S. 791, 2015). In einer Untersuchung hatten Forscher aus den USA mehr als 1600 Senioren im Alter zwischen 70 und 89 Jahren in zwei Gruppen eingeteilt und die Hälfte von ihnen 24 Monate lang ein strukturiertes Bewegungsprogramm absolvieren lassen. Dazu besuchten sie zweimal in der Woche Kurse und wurden animiert, mindestens dreimal in der Woche längere Strecken zu gehen, mit leichten Gewichten ihre Muskulatur zu kräftigen und durch spezielle Übungen ihre motorische Flexibilität zu schulen.

Im Vergleich zur Gruppe gleichaltriger Teilnehmer, die während der zwei Jahre an einem Fortbildungsprogramm über erfolgreiches Altern teilnahm, gab es nach Abschluss der Studie keine Unterschiede in der kognitiven Leistungsfähigkeit. Weder in allgemeinen noch in spezifischen Tests zu Erinnerung, Wortfindung und mentalem Reaktionsvermögen schnitten die Probanden, die sich mehr bewegt hatten, besser ab. Die Autoren um Kaycee Sink von der Wake Forest School of Medicine wirken einigermaßen irritiert von den Ergebnissen und kommen zu dem fast hilflos klingenden Schluss, wonach "möglicherweise beide Interventionen erfolgreich waren, um kognitive Einbußen zu verhindern".

Die Wissenschaftler wirken irritiert über ihre eigenen Ergebnisse

Ähnlich bescheiden fielen die Ergebnisse einer Studie aus, in der mehr als 3000 Senioren über einen Zeitraum von fünf Jahren entweder diverse Nahrungsergänzungsmittel bekamen oder nicht. Die regelmäßige Einnahme von mehrfach ungesättigten Fettsäuren, Vitaminpräparaten und Antioxidantien trug nicht dazu bei, dass sich der altersbedingte kognitive Leistungsabfall verlangsamen oder gar aufhalten ließ. Die ohne Nahrungspräparate lebende Vergleichsgruppe schnitt in Gedächtnistests und anderen Untersuchungen zur Demenzentwicklung ähnlich ab.

Studienleiterin Emily Chew von den Nationalen Gesundheitsinstituten der USA hat trotz der Studiendauer von fünf Jahren eine nur mäßig befriedigende Erklärung für die fehlende Wirkung der Nahrungsergänzungsmittel. "Bis sich kognitive Einschränkungen entwickeln, dauert es wahrscheinlich Jahrzehnte", so die Epidemiologin. "Vermutlich hat die kurzzeitige Gabe der Supplemente daher zu spät eingesetzt, um effektiv gegen die Krankheit wirksam zu sein." Dass die Ergebnisse so enttäuschend ausfielen, während frühere Studien deutliche Hinweise dafür erbracht haben, dass eine vielseitige Ernährung mit viel Obst, Fisch und Gemüse durchaus den geistigen Verfall hinauszögern kann, könnte allerdings auch noch andere Gründe haben. "Vielleicht haben gesunde Lebensmittel die erhoffte Wirkung, aber nicht einzelne Ergänzungsstoffe." Schon oft hat sich gezeigt, dass natürlich gewachsene Produkte aber nicht isolierte Substanzen - ob Multivitaminpräparate, Antioxidantien oder andere Supplemente - günstig für die Gesundheit sind.

Wissenschaftliche Studien aus den USA enden selten mit einem derart negativen Fazit. Deshalb werden in einem begleitenden Kommentar Ärzte wie Laien dazu aufgefordert, trotz der ernüchternden Studienergebnisse eine gesunde Lebensführung anzustreben (Bd. 314, S.774, 2015). "Kein Grund zu Nihilismus", schreiben Sudeep Gill und Dallas Seitz von der Queen's University im kanadischen Kingston. "Es ist immer noch wahrscheinlich, dass Lifestyle-Faktoren wie Ernährung und Bewegung eine wichtige Rolle spielen, um Demenz und kognitive Einbußen zu verhindern und den Alltag lange allein bewältigen zu können." Ärzte sollten daher ihre Patienten zeitlebens ermutigen, aktiv zu sein. Früh damit anzufangen sei effektiver als sich erst nach dem Auftreten leichter kognitiver Defizite mehr zu bewegen.

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