Dachau:Tierheim vor der Pleite

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  • Seit 2001 fehlen dem Tierheim zwei Millionen Euro. Spätestens im September droht die Pleite.
  • Das zehnköpfige ehrenamtliche Team leistet im Jahr etwa 60 000 Überstunden.
  • Kommunen verweigern bislang Erhöhung der Fundtierpauschale.

Von Helmut Zeller, Dachau

Die Uhr tickt: Spätestens im September ist das Tierheim Dachau pleite. An Zeit für eine Abwehr der Insolvenz hat es nicht gefehlt - aber die Politik verschließt Augen und Ohren. Vor einem Jahr hat der SPD-Politiker Herbert Woerlein das Tierheim besucht: und sich rot geschämt für die bayerische Tierschutzpolitik, wie der Abgeordnete damals sagte. Jetzt ist der Politiker wieder auf Tour, hat gerade den Augsburger Tierschutzverein besucht, - und sein Gesicht dürfte sich wieder rot gefärbt haben. Laut Deutschem Tierschutzbund steht jedes zweite Heim der insgesamt 81 im Freistaat vor der Insolvenz. "Aber kein Steuercent fließt in die Tierheime", kritisiert der tierschutzpolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion.

Unverändert ist ein Jahr nach seinem Besuch die Situation in Dachau - mit einer Unterdeckung von zwei Millionen Euro seit 2001. Auf die Staatsregierung hofft die Vorsitzende Silvia Gruber nicht mehr: Sie will nicht einmal eine Million Euro in die Tierheime investieren, wie der Abgeordnete Woerlein im August 2014 verlangt hat. "Das ist beschämend, denn selbst einem Land wie Brandenburg, finanziell wahrlich nicht auf Rosen gebettet, sind seine Tierheime immerhin 500 000 Euro Zuschuss pro Jahr wert", sagte Woerlein jetzt.

Die Kommunen kaufen sich frei

Auch sein Appell an die Kommunen im Landkreis Dachau, sie möchten doch ihrer Aufgabe gerecht werden, verhallte weitgehend ungehört. Im Gegenteil: Der Tierschutzverein kämpft weiter um eine Erhöhung der Fundtierpauschale um wenige Cent. Dabei ist die Versorgung von Fundtieren, also ausgesetzten und streunenden Tieren, eine kommunale Pflichtaufgabe, die der Verein für die Gemeinden erfüllt. Ihre Pauschale zwischen 50 Cent und 1,50 Euro ist kein Zuschuss, sondern damit kaufen sich die Kommunen von ihrer Pflichtaufgabe frei.

Allein bei Fundtieren, deren Versorgung etwa 70 Prozent aller Aufwendungen ausmacht, ist das Defizit mehr als doppelt so hoch wie die Fundtierpauschale, die von den Kommunen gezahlt wird. Der Tierschutzverein erhält keinerlei Zuschüsse und muss sich aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden finanzieren. Den monatlichen Ausgaben von gut 43 000 Euro stehen nur 29 000 Euro an Mitgliedsbeiträgen gegenüber.

"Wir wurden wieder mal angelogen"

Die Bayern sind tierlieb und nehmen viel Anteil an Geschichten wie dieser: Eine Frau entdeckte in diesen Tagen drei ausgesetzte Kätzchen in einem bereits uringetränkten Karton auf einem Feldweg bei Tandern. Die Kätzin und zwei Kater waren erst knapp fünf Wochen alt, also viel zu früh der Mutter weggenommen worden, und schon fast verhungert. Die Katzen, die auf die Namen Tiana, Timba und Terence getauft wurden, werden nun mehrfach am Tag mit kleinen Portionen aufgepäppelt - für die erste Zeit übernimmt eine Ehrenamtliche die Nachtfütterung.

Das ist jedoch kein Einzelfall, auch wenn Silvia Gruber sich immer wieder fragt, "wie herzlos muss man sein, so kleine Babykatzen auszusetzen und sich selbst und dem Hungertod zu überlassen?" Allerdings sagte schon Grubers Erfahrung ihr, dass das vielleicht nicht die ganze Geschichte war. "Wir wurden wieder einmal angelogen." Ein Zeuge, der die Katzenbabys erkannte, informierte die Polizei Dachau: Die Besitzerin der Tiere hatte sie los werden wollen, ihre Schwägerin spielte die arglose Finderin der Katzen und brachte sie ins Tierheim. Das ist nur ein Fall von vielen: Tiere werden wie Müll entsorgt oder vor dem Tierheim in Behältnissen hingestellt. Häufig sind die Hunde und Katzen krank - allein die Erstversorgung einer Katze kostet 100 Euro.

Die Zahl der Tiere steigt

Die Zahl der Tiere steigt ungebremst bei steigenden tierärztlichen Kosten, zu denen noch jährlich 50 000 Euro Betriebskosten kommen. Doch immer wieder erheben Kommunalpolitiker den Vorwurf, die Tierschützer würden Hunde und Katzen "horten". Doch Silvia Gruber kann das leicht entkräften: Von 1176 Tieren im Jahr 2013 waren bis Jahresende alle bis auf 84 vermittelt.

Das ehrenamtliche Team leistet im Jahr etwa 60 000 Stunden, inklusive des 24 Stunden langen Notdienstes - ein Service, der in der ganzen Münchner Region kaum zu finden ist. Darüber freut sich besonders Thomas Rauscher, Leiter der Polizeiinspektion Dachau, der immer wieder darauf hinweist, wie viel Arbeit mit ausgesetzten oder entlaufenen Tieren der Tierschutzverein seinen ohnehin ausgelasteten Beamten abnimmt.

"Die Dimension des Problems wird unterschätzt. Das System funktioniert nur, weil Tierschutzvereine und Ehrenamtliche an der Grenze zur Selbstausbeutung arbeiten", so der Tierschutzbund. Der Abgeordnete Woerlein sieht diese ungute Entwicklung auch unter dem ethischen Aspekt: Die Politik trage Verantwortung für die Schöpfung und die Kreatur, sagt er. Aber nicht in Bayern und in Dachau.

© SZ vom 26.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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