Dachau:Die Zuhörerin

Lesezeit: 3 min

Maria Stimper engagiert sich für den Besuchsdienst im Dachauer Klinikum. Die "grüne Dame" setzt sich zu den Patienten ans Krankenbett, vertreibt ihnen die Zeit und ermutigt sie.

Von Julian Erbersdobler, Dachau

Maria Stimpers Berufsleben drehte sich um Taschenrechner, Konten, Kostenstellen und Bilanzen; es drehte sich um Zahlen. Sie war viele Jahre in der Finanzbuchhaltung tätig. "Das war sehr trocken", sagt sie, "aber es hat mir großen Spaß gemacht."

Seit die 69-Jährige im Ruhestand ist, hat sie eine neue Aufgabe gesucht und im Dachauer Klinikum gefunden: Sie wurde zu einer grünen Dame, einer Ehrenamtlichen, die Patienten im Krankenbett besucht, mit ihnen Zeit verbringt, redet, Mut macht und manchmal einfach nur zuhört.

Am türkis-grünen Kittel erkennt man Maria Stimper, genau wie die anderen grünen Damen und Herren, schon aus der Ferne. Sie ist skeptisch. Ein Artikel über mich? Muss das sein? Warum geht es nicht um die anderen?

Die Arbeit eines Psychologen

Ein Patient auf Station 6 kann sie dann doch überzeugen. Während seine beiden Zimmernachbarn zu Mittag essen, liegt er noch im Bett. "Sie schaffen es, die Arbeit eines Psychologen zu ersetzen", sagt der gebürtige Oberpfälzer in ihre Richtung. Ein Kompliment, das Maria Stimper rot werden lässt. Später, in der Cafeteria, erzählt sie, wie sehr sie sich darüber gefreut hat.

Im direkten Kontakt mit dem Patienten fühlt sich Maria Stimper deutlich wohler. In ihrer Nähe darf auch mal Dampf abgelassen oder gelästert werden. (Foto: Toni Heigl)

Mit dem Patienten auf Station 6 hatte sie am Vormittag mehr als eine halbe Stunde gesprochen. Über seine Beschwerden, die Finanzbranche, Politik. So offen sind nicht alle Patienten. "Wenn jemand seine Ruhe haben will, ist das überhaupt kein Problem", sagt die 69-Jährige. Der Besuchsdienst sei lediglich ein Angebot. Manchmal würden sich im Laufe eines Gesprächs sogar gerade diejenigen einschalten, die vorher noch darauf verzichtet hätten, so Stimper. "Darüber freue ich mich am meisten."

Der Gesellschaft etwas zurückgeben

Was die Ehrenamtliche dagegen nicht versteht, sind andere Menschen, die fragen, warum sie das macht: sich die Geschichten und Schicksale Fremder anhört. Was sie dann sagt? "Es ist nicht selbstverständlich, dass es uns in Deutschland so gut geht." Stimper geht es um Dankbarkeit und das Gefühl, der Gesellschaft und dem Staat "etwas zurückzugeben".

Katharina Stark, die Leiterin des Besuchsdiensts, kann mittlerweile auf 32 Ehrenamtliche setzen, 30 Frauen, zwei Männer. Neben dem Dachauer Klinikum gibt es die grünen Damen und Herren auch in Indersdorf. Die Jüngste ist eine 24-jährige Studentin. "Die wird gerne in der Unfallchirurgie gesehen, vor allem von den jungen Männern", sagt Stark mit einem Augenzwinkern.

Alle Altersstufen sind vertreten

Sie selbst freue sich besonders darüber, dass sich ihr Team aus den unterschiedlichsten Altersstufen und Berufsgruppen zusammensetzt: Hausfrauen und Rentner, aber auch Juristen und Studenten. Einmal im Monat kommen alle bei einer Sitzung zusammen. "Sollten während der Arbeit Probleme oder Sorgen auftauchen, gibt es auch einen psychologischen Ansprechpartner", erzählt Stark, beispielsweise bei Krebsdiagnosen.

Maria Stimper hat ihren ganz eigenen Weg gefunden, um mit schweren Schicksalen und ernsten Gesprächen umzugehen. "Ich kann danach nicht sofort in das nächste Zimmer gehen und gute Laune verbreiten", sagt sie. "In diesen Momenten brauche ich auch ein wenig Zeit, bis ich die nächste Tür öffne." Die geistige aber auch die körperliche Belastbarkeit spielt deshalb auch bei der Auswahl neuer Kollegen eine große Rolle. Leiterin Stark erwartet von den neuen grünen Damen und Herren ebenso Empathie, Offenheit und Zuverlässigkeit. Damit ist nicht zuletzt die Schweigepflicht gemeint, der die Ehrenamtlichen unterliegen.

Erst kürzlich hat sich eine junge Ungarin als grüne Dame vorgestellt. "Sie hat alle genannten Voraussetzungen erfüllt - aber leider haperte es noch an der Sprache", sagt Stark. Daran arbeite die Ungarin jetzt mit Deutschstunden. Die Leiterin des Besuchsdiensts ist davon überzeugt, sie in ein paar Monaten in ihr Team aufnehmen zu können. Eine brasilianischstämmige Ehrenamtliche gibt es bereits. "Gerade bei internationalen Patienten sind wir auf vielfältige Sprachkenntnisse angewiesen", sagt sie.

Eine amerikanische Erfindung

Die Wurzeln des Besuchs- und Begleitdiensts liegen in Amerika. Brigitte Schröder, Frau des früheren deutschen Außenministers brachte das Konzept aus den Vereinigten Staaten nach Deutschland. Sie startete die erste Krankenhaushilfe 1969 in Düsseldorf. Im Dachauer Klinikum entwickelte sich das ehrenamtliche Engagement aus einer Beschwerde. "Eine Dame hat nicht auf ihre Station gefunden", erinnert sich Katharina Stark. Mehr als vier Jahre ist das jetzt her. Heute ist der Besuchsdienst nicht mehr wegzudenken.

Im Eingangsbereich des Klinikums hängt eine große Hochglanz-Tafel mit allen Namen und Gesichtern. Darunter auch die lächelnde Maria Stimper. "Wir gehören dazu, deshalb vertrauen uns die Patienten auch ihre Geschichten an", sagt sie und zeigt mit einem ebenso breiten Hochglanz-Lächeln auf ihr Namensschild.

© SZ vom 26.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: