Umstrittener Airbag-Lieferant:Warum Japans Autohersteller Takata noch treu bleiben

Takata Corp Chief Executive Shigehisa Takada

Hat sich öffentlich entschuldigt - wenn auch mit Einschränkungen: Takata-Chef Shigehisa Takada.

(Foto: REUTERS)
  • Fehlerhafte Airbags von Takata haben in den vergangenen Monaten zum größten Rückruf der Automobilgeschichte geführt.
  • Trotzdem bleiben die Kunden, vornehmlich japanische Hersteller, dem Marktführer weitgehend treu.
  • Doch derzeit ändert sich die Stimmung - auch weil sich Takata in den USA Strafuntersuchungen stellen muss.

Von Thomas Fromm und Christoph Neidhart, München/Tokio

Die Beziehung der japanischen Autohersteller zu Takata, sagen sie in Tokio, sei im Grunde wie das Verhältnis von Männern und Frauen in einer schlechten Ehe. Eigentlich klappt es nicht, aber man ist trotzdem zusammen. Warum auch immer.

Takata ist ein Hersteller von Airbags, die zuletzt große Probleme hatten. Und die Abnehmer, die Autohersteller? Sie sind alles andere als zufrieden. Aber sie trauen sich nicht, aus der Beziehung auszubrechen. Bis jetzt jedenfalls nicht. Nun zerbricht gerade etwas in dieser Ehe, die nicht mehr läuft. Branchenführer wie Toyota und Honda gehen fremd - sie wenden sich von Takata ab. In Japan, dem Land der großen Loyalität, ist das etwas Unerhörtes.

Als Honda in Japan ein neues Modell vorstellte, lautete das Verkaufsargument: Der Airbag stammt übrigens nicht von Takata.

Und Toyota kauft, wie vorige Woche bekannt wurde, 13 Millionen Airbags von Nippon Kayaku, einem Konkurrenten von Takata. Szenen einer Ehe, die keine mehr ist. Dabei ist der 82 Jahre alte Familienkonzern Takata ein Pionier der Verkehrssicherheit. Er hat die ersten Sicherheitsgurte und Airbags entwickelt. Mit 20 Prozent Marktanteil haben seine Airbags Zehntausende Leben gerettet.

Der größte Rückruf der Automobil-Geschichte

Doch zumindest in einem Werk versagte die Qualitätskontrolle des Branchenführers. Die Fabrik im mexikanischen Monclova lieferte Treibkapseln für Airbags aus, die im Falle einer Kollision heftiger explodierten als geplant. Das brachte ihre Stahlpatronen zum Bersten, Metallsplitter schossen in die Fahrgastkabine.

Statt Leben zu retten, haben diese Takata-Airbags mindestens acht Menschen getötet und mehr als hundert verletzt. Die eigentliche Ursache ist noch nicht geklärt. Klar ist: Wegen solch gefährlicher Airbags musste die Automobilindustrie bisher weltweit fast 40 Millionen Fahrzeuge von etwa 15 Marken zurückrufen - Honda, Takatas größter Kunde, in den USA allein 6,5 Millionen. Es ist der größte Rückruf der Automobil-Geschichte.

Takata hoffte, dass sich der Sturm legen würde

Staatsanwälte in Detroit und Washington haben Strafuntersuchungen gegen Takata eingeleitet, auch wegen Betrugs. Die Firma wusste seit elf Jahren um die defekten Airbags, sie führte bald nach dem ersten tödlichen Unfall im Bundesstaat Alabama 2002 geheime Tests durch, unterließ es aber, die Behörden zu informieren. Stattdessen vertuschte man die Probleme, bis die NHTSA, das amerikanische Amt für Verkehrssicherheit, sie unter enormen Druck setzte. Auch dann brauchte Firmenchef Shigehisa Takada immerhin ein Jahr, bis er sich öffentlich zu einer abgelesenen Entschuldigung bequemte, um dann hinzuzufügen: "Im Prinzip" seien die Takata-Produkte sicher. Zuvor war er im Glauben abgetaucht, der Sturm werde sich schon irgendwann legen. Da aber täuschte er sich.

Takatas Kunden sind nicht Verbraucher, die sich von heute auf morgen abwenden können, sondern Automobilkonzerne. Es geht also um langfristige Lieferbeziehungen, um Verträge.

Unternehmen drücken sich um ihre Verantwortung

Verschiedene Komponenten eines Takata-Airbags

Teile eines Takata-Airbagsystems: Fehlerhafte Treibkapseln explodierten beim Auslösen heftiger als geplant.

(Foto: Gary Cameron/Reuters)

Zum Beispiel VW. Neulich gaben die Wolfsburger bekannt, dass sie in den USA einen Zwischenfall mit japanischen Airbags untersuchen. Es ging um einen Tiguan, bei dem ein Seitenairbag Metallteile durch das Fahrzeug geschleudert hatte. Verletzt wurde zwar niemand, aber die Sache interessierte nicht nur VW: Wenn viele Autohersteller den gleichen Zulieferer haben und der Zulieferer ein Problem hat, dann haben vielleicht alle ein Problem.

Dann kann aus einem defekten Airbag eine Airbag-Epidemie werden.

Im Mai wurde bekannt, dass BMW 420 000 Fahrzeuge aus den Modelljahren 2002 bis 2006 zurückrufen lässt. Der italo-amerikanische Rivale Fiat Chrysler: fünf Millionen Autos aus den Jahren 2004 bis 2011. Ford: 1,5 Millionen.

Treue, auch wenn es Probleme gibt

Dass aus einem defekten Airbag eine Epidemie wird, kann vieles bedeuten. Erstens: Immer mehr Hersteller verbauen die gleichen Teile und Komponenten. Zweitens: Viele Autokonzerne peitschen in diesen Zeiten strenge Sparprogramme durch ihre Abteilungen, das betrifft vor allem auch den Einkauf. Der steigende Preisdruck in der Industrie sorgt dafür, dass viele Zulieferer billiger produzieren müssen. So kommt es immer öfter zu technischen Problemen. Einige meinen sogar: halbgaren Lösungen.

Wie geht man damit um als Autohersteller? Die Japaner sehen sich, anders als ihre Kollegen in den USA oder Europa, nicht ständig auf dem Markt nach neuen Angeboten um, sondern binden sich an ihre Unterlieferanten und bleiben denen auch dann noch treu, wenn sie teurer sind als die Konkurrenz oder Schwierigkeiten haben.

"Keiretsu" heißen diese festen Zulieferketten. Keiretsu-Firmen verbandeln sich oft auch über gegenseitigen Aktienbesitz. In Japan wäre es Takata vielleicht gelungen, die Krise auszusitzen, wie es der Chef wollte. Doch die NHTSA ließ nicht locker. Die Behörde behielt Takata in den Schlagzeilen und zwang die Autobauer damit, immer mehr Fahrzeuge zurückzurufen.

Die Entschuldigung ist nur eine Formalität

Dass japanische Firmen Informationen über Pannen unterschlagen, kommt immer wieder vor. Zwar ist der Kunde hier König, Service wird großgeschrieben. Im Falle von Fehlern und Versäumnissen jedoch drücken sich die Unternehmen oft um ihre Verantwortung.

Das bekannteste Beispiel ist Tepco, die Betreiberin von Fukushima. Um den vermeintlich guten Ruf zu wahren, ist vielen Firmen fast jedes Mittel recht. Das Entschuldigungsritual vor laufender Kamera ist bloß eine Formalität, es hat selten personelle Folgen. Auch Shigehisa Takada sagt, er denke nicht an Rücktritt, um die Verantwortung zu übernehmen. Vielleicht entscheidet er gar nicht selber. Die starke Hand im Unternehmen ist seine 74-jährige Mutter Akiko. Aus der Mutter-Sohn-Beziehung auszubrechen dürfte noch schwieriger sein als aus einer schlechten Ehe.

Inzwischen hat Toyota klargestellt, man wolle Takata nicht fallen lassen, sondern sich einfach nur breiter aufstellen.

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