Radio:Was auf die Augen

Deutscher Radiopreis - SWR -

Sieh' mal einer an: Dasding-Radiomoderatoren wie Consi (r.) werden jetzt bei ihrer Arbeit auch gefilmt.

(Foto: SWR)

Das Radio der Zukunft wird ohne Bilder nicht auskommen, glaubt man beim SWR. Ein Besuch.

Von Max Hägler

Wer vom Begriff her denkt, dem Begriff "Hör"-Funk, für den mag das vielleicht absurd klingen, vielleicht sogar ein wenig traurig, was der Manager von der Radio-Jugendwelle Dasding da sagt. "Video wird immer wichtiger, auch für uns Hörfunker." Marc Bürkle ist einer der entscheidenden Köpfe bei der Jugendwelle des SWR und beschäftigt sich, wie andere Kollegen der öffentlich-rechtlichen Sender, mit der Zukunft des Radios. Er überlegt, wie junge Leute dabeibleiben.

Ein Weg, vielleicht der wichtigste, ist tatsächlich auch beim Radio: das Bild. Zum Hören kommt dort nun das Sehen. Und am weitesten in Deutschland treibt das derzeit der SWR unter der Leitung von Dasding-Onlinechef Bürkle, einem Menschen, in dessen Büro es andauernd plingt und trötet: Er lebt die digitale Kommunikation und deren Nachrichtensignale.

So wie die Dasding-Zielgruppe. Die 14- bis 29-Jährigen schalten nicht mehr unbedingt zu irgendeiner Hitparade ein Radiogerät ein oder schneiden die Sendung gar mit. Ihre individuelle Medienzentrale ist stattdessen das intelligente Mobiltelefon, diese Multimediaabspielstation: Auf Youtube gibt es Musikvideos, auf Spotify Hunderttausende Musiktitel zum gezielten Suchen und Anhören, währenddessen lenken Posts auf Facebook, Instagram, Whatsapp und Twitter ab. "Für Musik allein haben unsere Hörer mittlerweile Alternativen", sagt Bürkle. Den Unterschied bei diesem medialen Trommelfeuer mache vor allem die Moderation.

Recht genau wissen sie das beim SWR, weil sie aufwendig nachforschen, wer sie hört und wieso. In der Lebensart der fiktiven Modellhörer Jan und Lisa haben die Forscher das schließlich zusammengefasst: Diese beiden interessieren sich wenig für Autos - kurios im Autoland, aber begründet in ihrer finanziellen Situation -, sondern mehr für Mobiliar, Betten insbesondere, und natürlich für Handys, mit denen sie selbst dauernd filmen.

Die Konsequenz: Jan und Lisa bekommen ihre SWR-Jugendwelle nun auch zu sehen. Von früh bis spät sendet Dasding mittlerweile Livebilder aus dem Studio in Baden-Baden, und der weit größere Popmusiksender SWR 3 tut es inzwischen gleich, nachmittags wird auch dieses Radio zum Fernsehsender, zumindest im Internet, auf dem Computer oder Handy. Visual Radio nennen sie das Ganze, eigentlich recht selbsterklärend. "Noch ist das Radiohören weitverbreitet", sagt Stefan Scheurer, Onlinechef bei SWR 3, "aber es ist überlebenswichtig, dass wir den Lebenswelten unserer Hörer folgen, denn sonst werden wir vielleicht irrelevant." Wann genau das klassische Radio irrelevant wird, das weiß keiner. Aber die Angst ist da.

"Das ist der heiße Scheiß", sagt ein niederländischer Radio-DJ, "wir machen echtes Fernsehen!"

Nun ist das Bild allein noch nicht wegweisend; sogenannte Webcams, wie sie jeder daheim am Computer hat, haben sie bei Dasding schon seit 15 Jahren, sie geben kleine Einblicke in das Studio. Und der Radio-Seelsorger Domian ließ sich im WDR auch immer abfilmen bei seinen Psychogesprächen. Doch bisher war das alles eher ein Gimmick, sehr statisch letztlich. Dasding geht nun viel weiter, und wie relevant dieses seit einem Jahr laufende Experiment ist, zeigt die Nominierung zum Deutschen Radiopreis, der kommende Woche in Hamburg verliehen wird.

Fünf Kameras hängen im Dasding-Studio, können das eigens herbeigeschaffte Sofa in den Blick nehmen, wenn Gäste gekommen sind. Es sind keine großen TV-Kameras, eher Überwachungskameras wie in den Kaufhäusern. Die ausgefuchste Technik kann zudem live und automatisch Facebook-Posts einblenden von der Dasding-Seite oder Twitter-Nachrichten der Musiker, die gerade im Radio laufen. Automatisch saugt sich das Visual-Radio-System all das zusammen, führt selbständig Regie (kostensparend ohne menschliches Zutun), schaltet zur Moderatorenkamera, wenn dort das Mikrofon offen ist, wechselt mit den Schnitten, damit der Zuhörer, der so zum Zuseher wird, gut unterhalten ist. Wenn der Moderator gerne einen Skype-Videochat einbinden will - ein Tastendruck. Von ihm, meist nicht von Technikern im Hintergrund. Und beinahe ebenso simpel lassen sich daraus Schnipsel, irgendwelche Gags, aber auch wichtige Infos, in die sozialen Medien stellen, wo Jan und Lisa und die anderen meist herumhängen. Manches davon ist bemüht, manches platt, manches tatsächlich nett: Jan und Lisa sind eher unambitioniert was Musik anbelangt, mögen den Mainstream, das Leichte, Seichte. Die Programmmacher und Moderatoren folgen diesem Geschmack, verunsichern Jan und Lisa nicht durch Überraschendes - und sie folgen ihnen auch zu ihren Aufenthaltsorten. So wie andere Jugendwellen auch: Puls vom BR stellt für den Musikstreamingdienst Spotify, eigentlich eine Konkurrenz, Playlists zusammen: "Verrat" hieß so ein Vorgehen früher bei den Öffentlich-Rechtlichen. Heute weiß man auch dort, dass die Konsumenten eben erreicht werden müssen, wo und auf welchem Weg ist mittlerweile zweitrangig. Ein wenig sieht es bei Dasding nun aus wie Musikfernsehen ohne Musikvideos. Technisch wäre die Vollvariante übrigens möglich, aber die Videos sind viel zu teuer: Statt ein paar Euro pro gespieltem Lied sind es bei der Videovariante schnell einige Hundert Euro. Vidigo heißt das System, das so vieles so einfach möglich macht. "Das ist der heiße Scheiß", berichtet ein DJ des niederländischen Radios 538, bei dem das System im Einsatz ist, "wir machen echtes Fernsehen!"

Da ist man beim SWR zurückhaltender, auch weil sonst die echten TV-Kollegen wohl ganz schnell aufbegehren, wenn sie mitbekommen, dass Maschinen ihre Arbeit zumindest teilweise übernehmen. Zudem gilt das Primat des Hörens: "Auch wenn es Bilder gibt, muss das ganze weiterhin im Radio ebenfalls funktionieren." Wenn Moderator Consi einen Außentermin hat, etwa bei einer lustigen WG, die in einer Kneipe wohnt, dann filmt er mit, ist das Ganze im Stream zu sehen. Aber er und seine Gesprächspartner beschreiben weiterhin auch, lassen ein Kopfkino entstehen. Denn trotz der Handys: Noch hören die Jans und Lisas mehrheitlich nur zu und schauen nicht den Stream.

Vielleicht wird sich das demnächst schon ändern, der Stream soll auch noch "anfassbar" werden, wie sie das im SWR nennen. Die Einblendungen soll man anklicken können, Bildergalerien könnten sich per Fingerwisch auftun und Votings sollen dann direkt innerhalb des Streams möglich sein, ganz bequem ohne SMS-Schreiben oder Wechsel auf die Facebook-Seite. Ist das dann die Zukunft des Radios? "Das wissen wir nicht", sagt Bürkle. "Aber wir probieren es jetzt aus."

Hör-Funk wäre das dann endgültig nicht mehr.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: