Schrumpfende Mittelschicht:Arbeite hart, aber besser geht es dir nicht

File picture of a worker walking through finished steel bars

Stahl-Arbeiter in Meitingen in der Nähe von Augsburg.

(Foto: REUTERS)

In Deutschland herrscht Boom statt Krise - aber der Erfolg ist immer ungleichmäßiger verteilt. Der Staat könnte das ändern.

Kommentar von Alexander Hagelüken

Die deutsche Volkswirtschaft läuft seit Langem prächtig. Wer noch die Debatten der Jahrtausendwende im Ohr hat, die das Land zum kranken Mann des Kontinents stempelten, staunt stets aufs Neue. Erst gelang es mit schmerzhaften Reformen, die Zahl der Arbeitslosen zu halbieren. Dann navigierte die Bundesrepublik ohne Massenentlassungen durch die schwerste Weltwirtschaftskrise seit acht Dekaden. Und selbst in den Euro-Stürmen blieb das Land auf Boomkurs. Das muss man erst mal schaffen. Doch selbst ein solcher Erfolg sollte nicht ausblenden, was weniger funktioniert. So misslingt es, die Früchte dieses Erfolgs gleichmäßig zu verteilen. Neue Daten zeigen, dass die Mittelschicht offenbar dauerhaft schrumpft.

Ausgerechnet die Mittelschicht. Wenig anderes steht für das deutsche Wirtschaftsmodell wie dieser Begriff. Es ist ein Versprechen an alle Bürger: Wenn sich einer richtig anstrengt in der Ausbildung und danach im Beruf, kann er sich mehr leisten. Urlaub ohne Supersparpreise, ein Haus mit Garten, Rentenjahre mit dem gewohnten Konsumstandard, kurz: ein Leben, in dem er nicht auf jeden Euro schauen muss. Während der ersten Jahrzehnte nach 1945 wurde dieses Versprechen meist eingelöst. Die außergewöhnlichen Anstrengungen zahlten sich für viele Bürger aus. Es entstand eine breitere Mittelschicht als in anderen westlichen Staaten. Der Aufstieg in eine höhere Einkommensgruppe erschien für jeden zumindest möglich. An der sozialen Marktwirtschaft war nicht nur sozial, dass sie den Schwächeren half, sondern auch, dass sie zwar nicht allen Bürgern zu Wohlstand verhalf, aber doch einer großen Mehrzahl.

Gekürzte Sozialleistungen drängen zum Arbeiten

In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat sich grundsätzlich etwas verändert. Dieser Wandel bedroht den Kern des deutschen Modells. Es geht um das Versprechen, dass der bierernste Leistungswillen, über den andere Nationen manchmal lächeln, sich auch wirklich auszahlt - und nicht nur so, dass es zum Leben reicht.

Die Globalisierung mischt die Karten seit Mitte der Neunzigerjahre neu. Vom Ertrag der zunehmend grenzenlosen Geschäfte profitieren vor allem die Besitzer der Firmen, und das sind wenige. Arbeiter dagegen können nicht mehr auf automatische Lohnerhöhungen hoffen, wenn die Firma auch in Tschechien oder China produzieren kann. Deutschland hat sich auf diese neuen Zeiten eingestellt. Gekürzte Sozialleistungen drängen zum Arbeiten, selbst wenn nur ein schlecht bezahlter Job winkt. Die Löhne wurden niedrig gehalten, um Produkte auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig zu machen. Und junge Akademiker erleben, dass ihnen die Firma nur eine befristete Stelle anbietet, weil sie dann billiger sind.

Deutschland blieb wenig anderes übrig, als so rabiat auf die Globalisierung zu reagieren: Unflexiblere Länder wie Frankreich oder Italien haben nun hohe Arbeitslosigkeit. Die Bundesrepublik bezahlt ihren Kurs aber mit wachsender Ungleichheit. Erst schrumpfte die Mittelschicht bis Mitte der Nullerjahre. Nun nimmt sie nicht zu, obwohl seit einer Dekade immer neue Jobs entstehen, was nach den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft den Wohlstand verbreitern müsste.

Arbeitnehmer sollten zu Aktionären werden

Was lässt sich tun? Ein Weg ist mehr Umverteilung. Natürlich hat das Grenzen in einem Land, in dem Gutverdiener schon hoch besteuert werden. Aber es gibt noch Spielraum, etwa bei Firmenerben, denen der Millionenbetrieb oft kostenlos in die Hände fällt. Solche Mehreinnahmen darf die Bundesregierung dann aber nicht einfach ausgeben. Sie sollte die Mechanik der Globalisierung beachten.

Zum einen muss sie noch mehr Geld für Bildung ausgeben in einem Land, das viele Jugendliche ohne gute Ausbildung in ein Leben entlässt, in dem sie dann nur schlecht bezahlte Jobs finden. Mit geringen Qualifikationen ist in der weltweiten Konkurrenz viel weniger zu erreichen als in den nationalen Volkswirtschaften früherer Zeit. Das ist die eine Aufgabe. Zum anderen sollte die Regierung mit einem großen Programm fördern, dass sich breite Massen an den Unternehmen beteiligen. Wenn in Zukunft mehr Arbeitnehmer Aktionäre werden, ergänzen sie ihren Lohn mit Kapitaleinkommen - und die nehmen in der digitalen Epoche eher noch zu. Das verspricht eine größere Chance auf Wohlstand, auf einen Platz in der Mittelschicht, als der reine Lohn. Für viele Menschen erscheint das unrealistisch: Sie verdienen zu schlecht, als dass sie investieren könnten. Die Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt ließen viele prekäre Jobs entstehen. Aber nicht jede diese Konstruktionen muss eine Regierung in der Globalisierung erlauben. Dass die Bundesregierung endlich einen Mindestlohn eingeführt hat, kann nur der Anfang fairerer Bezahlung sein.

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