Berichte von Helferkreisen:Wenn Hausärzte Flüchtlinge abweisen

Bundespolizei überprüft Flüchtlinge

Ein Arzt untersucht im Notquartier der Bundespolizei in Passau einen Flüchtling.

(Foto: Armin Weigel/dpa)

Mit einem Behandlungsschein haben Asylbewerber Anspruch auf medizinische Hilfe. Zumindest in der Theorie.

Von Mathias Weber, Erding

  • Asylbewerber haben nach dem Gesetz Anspruch auf eine medizinische Betreuung bei "akuter Erkrankungen und Schmerzzuständen".
  • Aber nicht jeder Arzt kann und will helfen: Manchmal sind die Wartezimmer zu voll, manchen Ärzten ist es einfach zu beschwerlich.
  • Rechtlich gesehen müssen sie nicht behandlen, solange kein akuter Notfall vorliegt.

Die Mutter hatte praktisch aufgegeben: Ihr Kind hatte Probleme mit der Nase, bekam nicht richtig Luft, die Eltern - aus Afghanistan geflohen und in einer Unterkunft in Erding untergekommen - machten sich große Sorgen. Die ganze Familie schlief schlecht, dem Kind hätte nur durch eine Operation geholfen werden können. Aber die bewilligte das Landratsamt den Asylbewerbern erst einmal nicht: Es handelte sich ja um eine chronische Erkrankung, keinen akuten Notfall. Die Familie hat das so hingenommen. Das Leiden des Kindes blieb - und die Angst der Eltern.

Doch die Geschichte hat ein Happy End: Von freiwilligen Helfern wurde Widerspruch beim Landratsamt eingelegt, und die OP wurde schließlich bewilligt, die Familie schläft heute gut. Aber die Geschichte zeigt auch, wie schwierig es bisweilen für Asylsuchende ist, adäquate ärztliche Hilfe zu bekommen.

Und das liegt nicht nur an der Bürokratie und der Gesetzeslage - die, so heißt es aus Helferkreisen, selbst für Freiwillige praktisch undurchschaubar ist. Auch die Ärzte selbst sind das Problem: Der Erdinger SZ liegen Berichte über mehrere Hausärzte vor, die - aus ganz unterschiedlichen Gründen - Asylsuchende abgewiesen haben oder grundsätzlich nicht behandeln.

Im Notfall müssen Ärzte helfen - aber eben nur im Notfall

Der Schlüssel, um als Asylsuchender eine Behandlung zu bekommen, ist ein Behandlungsschein. Dieser Schein berechtigt zu einer Behandlung "akuter Erkrankungen und Schmerzzustände", so heißt es im Asylbewerberleistungsgesetz. Mittlerweile bekommt jeder Schutzsuchende automatisch einen Schein pro Quartal am Landratsamt - der zuständigen Behörde - ausgehändigt, der dann im Notfall einzusetzen ist.

Medizinische Hilfe für Flüchtlinge

Vor einer medizinischen Behandlung müssen Asylbewerber einen Behandlungsschein vorzeigen, er ersetzt sozusagen die normale Versichertenkarte. Die Behandlung bezahlt nach dem Asylbewerberleistungsgesetz der Staat, den Behandlungsschein bekommt man daher bei der zuständigen Behörde, meistens im Landratsamt. Die Asylsuchenden haben dann freie Arztwahl. In manchen Landkreisen ist die medizinische Versorgung aber auch anders geregelt: In der Erstaufnahmeeinrichtung in der Bayernkaserne in München zum Beispiel ist sie auf freiwilliger Basis organisiert. Hier kümmert sich der Verein Refudocs um die Menschen.

Früher war das anders, sagt Maria Brand von der Aktionsgruppe Asyl, die sich im Landkreis mit viel Einsatz um Hilfesuchende kümmert. Damals wurden nur dann Scheine ausgegeben, wenn eine Notfall eingetreten war. Aber Fälle, in denen Asylsuchende keine oder nur sehr spät Hilfe bekommen hätten, gingen durch die Medien; Verantwortliche landeten sogar vor Gericht. Scheine würden daher mittlerweile unproblematischer ausgestellt, sagt Brand.

In absoluten Notfällen werden Asylsuchende auch ohne Schein behandelt; mit der Notaufnahme am Erdinger Krankenhaus etwa funktioniere die Zusammenarbeit sehr gut, sagt Brand. Etwas anderes bleibt den Ärzten auch gar nicht übrig: Die ärztliche Berufsverordnung zwingt sie dazu, im Notfall zu helfen. Aber sonst eben auch nicht: Niemand kann von einem Arzt verlangen, einen Patienten zu behandeln, solange es sich nicht um einen Notfall handelt, heißt es bei der Bayerische Landesärztekammer in München. Ganz normal Krankenversicherte können daher genauso weiter geschickt werden wie auch Asylsuchende.

Rechtlich mag die Lage eindeutig sein, moralisch kann man diskutieren: Denn die Gründe, die Ärzte vorbringen, wenn sie Asylsuchende nicht behandeln, sind nicht dramatisch; oft seien die Wartezimmer eh schon zu voll, sagen sie. Und dass es eben sehr zeitaufwendig sei, jemanden zu behandeln, der kaum oder gar kein Deutsch spricht. Liege kein Berechtigungsschein vor, zierten sich manche Ärzte gleich doppelt, eine Behandlung durchzuführen, so Brand.

Die Versichertenkarte macht den Unterschied

Nach 15 Monaten in Deutschland ändert sich der Status von Asylsuchenden. Ihnen werden dann Leistungen entsprechend der Sozialhilfe gewährt, so genannte Analogleistungen. Nach diesen 15 Monaten können sie sich eine Krankenversicherung suchen und bekommen eine Versichertenkarte - müssen aber, wie Arbeitslose beispielsweise auch, Zuzahlungen leisten.

Die Karte macht den Unterschied: Dann ist keine Ausgabe von Scheinen durch das Sozialamt mehr nötig, und keine Prüfung weitergehender Behandlungen durch die Ärzte am Gesundheitsamt. Doch auch die seien nötig, sagt Brand: Gerade viele Syrer kommen mit Kriegsverletzungen nach Deutschland, und ebenso viele bräuchten eigentlich einen Psychiater; sie sind durch Krieg und Flucht traumatisiert.

Trotz aller Probleme und Hürden bei der Behandlung von Asylsuchenden betonen die freiwilligen Helfer doch auch, dass viel Hilfsbereitschaft bei den Ärzten im Landkreis Erding zu finden ist. Maria Brand berichtet auch von einigen Ärzten, die sich von sich aus bei ihrem Helferkreis gemeldet hätten. Einer von ihnen, ein Zahnarzt, habe auch gleich behandelt - ohne Schein, auf eigene Kosten.

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