Darmstadt ertrotzt Remis:"Wir sind alle Kampfschweine"

Schon das dritte Unentschieden für den Aufsteiger: Beim 0:0 gegen Hoffenheim bleibt Darmstadt seinem rustikalen Stil treu. Eine gute Grätsche wird dort bejubelt wie anderswo das Siegtor.

Von Frank Hellmann, Darmstadt

Warum sich mit tumben Schmähungen aufhalten, wenn es auch mit einem ironischen Ansatz geht? Das hatten offenbar jene Anhänger des SV Darmstadt 98 gedacht, die vor dem Fanblock auf der Gegengeraden ein großes Plakat mit der Aufschrift spannten: "Hopp hat etwas geschaffen, wir haben etwas geschafft." Der spendable Gönner der TSG Hoffenheim ist tatsächlich schon viel unfreundlicher empfangen worden, aber das war nicht der Grund, warum der Gast hinterher ziemlich viele Komplimente verteilte. Denn was in der südhessischen Nische in zwei wundersamen Spielzeiten förmlich aus dem Nichts erschaffen wurde, hat auch Markus Gisdol nach dem 0:0 am Samstagnachmittag beeindruckt.

"Dirk Schuster weiß genau, was seine Mannschaft kann. Das ist ein anderer Fußballstil, der hier gepflegt wird. Wer das nicht annimmt, hat verloren. Hier werden sich noch viele Gegner die Zähne ausbeißen", erklärte der TSG-Trainer und ergänzte: "Es ist eine eigenartige, abartige Atmosphäre und Spielweise." Im kleinen Presseraum neben der Gäste-Kabine schauten sich die Journalisten zunächst verwundert an, doch schnell war klar, dass Gisdol mit dem Adjektiv "abartig" den Aufsteiger nicht beleidigen wollte. Im Gegenteil.

Das Ensemble der Verkannten und Verstoßenen

Der 46-Jährige beschrieb eben sehr plakativ das fürwahr ungewöhnliche Ambiente an einem Standort, an dem das Erscheinen der Ersatzspieler zum Warmlaufen nach der Halbzeitpause genügt, um die Haupttribüne zu einer Klatschparade zu animieren. Und eine gelungene Grätsche wird im veralteten Liebhaber-Stadion am Böllenfalltor halt bejubelt wie andernorts ein spektakuläres Siegtor in letzter Minute. "Wir haben 90 Minuten unser Leben gegeben", bemerkte der tüchtige Torwart Christian Mathenia, dem auch noch nach Schlusspfiff der Schweiß in Rinnsalen über die Stirn lief. "Meine Kollegen liegen alle mausetot in der Kabine."

SV Darmstadt 98 v 1899 Hoffenheim - Bundesliga

Einsatz ja, Tore nein: Darmstadt und Hoffenheim trennen sich 0:0.

(Foto: Jürgen Schwarz/Getty Images)

Abermals war die Kraftanstrengung des Neulings am Ende von Erfolg gekrönt. Die Nullnummer gegen Hoffenheim nach dem Auftakt gegen Hannover (2:2) und dem Kraftakt auf Schalke (1:1) passt prima ins Konzept von Gisdol-Kollege Schuster, der genau das herausstellen konnte, was er selbst immer predigt: "Wille, Einsatz, Kampfkraft, Zweikampfverhalten." Dass es fast nie ansehnlich ist, was sein Ensemble an Verkannten und Verstoßenen anbietet - daran stört sich in Darmstadt niemand. Das Anspruchsdenken ist so gering wie nirgendwo in der Liga. Das Stilmittel der Spielverzögerung - zuletzt in Gelsenkirchen über Gebühr strapaziert - war auch am dritten Spieltag zu besichtigen, allerdings nicht in unerträglichem Maße.

Kuranyis Chance wird auf der Linie vereitelt

Und erst recht nicht grämt sich der 47 Jahre alte Schuster für das Vorgehen. "Hoffenheim ist fußballerisch besser als wir, also sind wir dem Ball hinterher gehechelt. Aber wir haben uns überall reingeworfen", so Schuster, der gestand: "Wir haben wie gegen Schalke einen Schluck aus der Pulle genommen, auf der Glück draufsteht." Nur 80 Minuten schafften es die Hausherren nämlich, Hoffenheim den eigenen Spaßverderber-Stil aufzudrängen, dann ergaben sich große Lücken in den eigenen Reihen. Schuster: "Dann ging es nur noch darum, irgendwie den Punkt mitzunehmen."

Hoffenheims Bundesliga-Rückkehrer Kevin Kuranyi, der zuvor schon zwei Gelegenheiten liegen gelassen hatte (73. und 82.), sollte in der Nachspielzeit für die Szene des Tages sorgen: Mit seinem Schussversuch hatte er Torwart Mathenia bereits überwunden, doch der auf der Linie liegende Luca Caldirola blockierte auf kuriose Art die Kugel: Der von Werder Bremen für einen Spottpreis geliehene Verteidiger schien nach links zu fallen, rettete aber im letzten Moment artistisch mit dem rechten Bein und initiierte damit den nächsten Begeisterungssturm im "Bölle".

Schema & Statistik

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Erst nach Leverkusen, dann kommt der FC Bayern

"Die Aktion war bezeichnend: Wir sind halt alle Kampfschweine", sagte Mathenia, der den Beweis erbracht sieht, "dass wir mithalten können." Die Frage wird sein, wie lange der Sensationsaufsteiger diese Spielweise durchhalten kann. Aber hat dieser Klub eingedenk seines geringen Budgets eine andere Wahl? "Wir haben die ersten drei Spiele alles in die Waagschale geworfen, was uns auszeichnet. Das war brutal anstrengend", meinte der aus Berlin geholte Mittelfeldspieler Peter Niemeyer, "die Länderspielpause können wir gut brauchen, dann geht es weiter."

Danach gibt es ein Duell bei Bayer Leverkusen, dann kommt der FC Bayern zum Gastspiel. "Drei Punkte nach drei Spielen sind für das kleine Darmstadt 98 eine gute Bilanz", meinte Kapitän Aytac Sulu. "Wir gehen jetzt mit einem Lächeln in die Pause und freuen uns dann auf zwei Spiele, in denen wir gar nichts verlieren können."

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