Debatte über Flüchtlingspolitik:Der SPD-Chef hat sein Thema gefunden

Bundeswirtschaftsminister Gabriel auf Sommerreise

Vizekanzler Sigmar Gabriel bei seinem Besuch in Heidenau. Neben ihm steht Bürgermeister Jürgen Opitz.

(Foto: dpa)

Sigmar Gabriel wirkt zum Ende der Sommerpause wieder frisch. Der Vizekanzler hat schnell verstanden: Die Diskussion über den richtigen Umgang mit Flüchtlingen wird das große politische Thema bleiben.

Kommentar von Christoph Hickmann

In gewisser Weise passt der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel perfekt zu seiner Partei. Was die emotionalen Ausschläge angeht, verkörpert er sie geradezu idealtypisch. Genau wie die gesamte Sozialdemokratie, jedenfalls ihr öffentlich wahrnehmbarer Teil, kann sich Gabriel im einen Augenblick an sich selbst berauschen und im nächsten an sich, der Welt und deren Widrigkeiten verzweifeln. Dieser Tage ist mal wieder zu beobachten, wie schnell das gehen kann.

In die Sommerpause gingen die Partei und ihr Vorsitzender im Zustand tief sitzender wechselseitiger Vergrätzung. Ein Gutteil der Funktionäre, bis ganz hoch an die Spitze, hatte genug von einem Chef, der im ersten Halbjahr den Kontakt zu Pegida gesucht, den Justizminister am Nasenring Richtung Vorratsdatenspeicherung geschleift sowie einen Euro ohne Griechenland zumindest intern zur Option erklärt hatte. Der Chef wiederum hatte genug von Funktionären, die ihm nach seiner Wahrnehmung ständig Kontakt-, Rede-, und Denkverbote erteilen wollten. Dann kam die Sommerpause. Und die Juso-Vorsitzende zettelte eine Urwahl-Debatte an, also letztlich eine über den Chef.

Mit Entschlossenheit stellt er sich dem braunen Mob entgegen

Und nun, am Ende der Sommerpause? Wirkt zumindest Gabriel bestens regeneriert. Er stellte sich in Heidenau dem braunen Mob respektive "Pack" mit einer Entschlossenheit entgegen, die so manchen seiner innerparteilichen Kritiker sinnieren lassen dürfte, ob da nicht vielleicht doch ein ganz passabler Vorsitzender am Werk ist. Auch über die politische Disziplin des Ortsbesuchs hinaus wirkt Gabriel in der Debatte über den Umgang mit Hunderttausenden Flüchtlingen recht gut auf der Höhe. Er hat gefunden, was der Politiker Gabriel braucht wie Applaus und Adrenalin: ein Thema.

Aber Moment mal - darf der das denn überhaupt? Mit dem sensiblen Flüchtlingsthema herumpolitisieren? Ja, das darf er, weil der nun so gern formulierte Aufruf, die Causa dürfe keinesfalls zum Thema parteipolitischer Auseinandersetzungen werden, ziemlicher Unsinn ist.

Keine politische Frage, sondern eine der Humanität

Zwar mag das für die Ob-Frage gelten, also die Frage, ob ein Land wie Deutschland so viele Flüchtlinge aufnehmen soll. Das ist letztlich keine politische Frage, sondern eine der Humanität. Alle anschließenden Wie-Fragen aber sind hochpolitisch: Wie stellt man die Gesundheitsversorgung sicher, wie kommuniziert man mit der Bevölkerung, und wie verhindert man, dass sich ein Großteil der hier Angekommenen zu einem abgehängten Prekariat entwickelt? Hier muss es einen Wettbewerb darum geben, wer die besseren Konzepte hat. Und wer hätte mehr Erfahrung damit, Menschen den Aufstieg durch Bildung zu ermöglichen, als die SPD? Ihr Kernanliegen wird auf der Tagesordnung ganz nach oben rücken.

Gabriel hat all das in der ihm eigenen Geschwindigkeit verstanden. Wenn die Kanzlerin noch abwägt, ist er meist schon losgelaufen. Sein Problem ist eher die Strecke, und die Strecke vor ihm ist lang. Über das Flüchtlingsthema hinaus kann allein bis zum Parteitag im Dezember so viel passieren. Wenig von dem, was vor der Sommerpause die Stimmung belastete, ist ausgeräumt - und Gabriels härteste Gegner lassen sich nicht von ein, zwei gelungenen Auftritten bekehren. Aber wenigstens hat der Chef zur Abwechslung mal gute Laune. In der SPD ist das mittlerweile fast ein Wert an sich.

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