Streit um Einwanderungspolitik:Trump treibt die Republikaner vor sich her

Donald Trump

Donald Trump bei einem Wahlkampfauftritt in South Carolina.

(Foto: AP)
  • Seit Abraham Lincoln gilt in den USA das Geburtsortprinzip. Wer auf US-Territorium geboren wird, ist auch Staatsbürger.
  • Der republikansiche Präsidentschaftsanwärter Donald Trump will das Prinzip abschaffen, weil es der "größte Magnet für illegale Einwanderung" sei.
  • Viele Parteifreunde folgen Trumps spalterischer Rhetorik - obwohl das bei der Präsidentschaftswahl zum Problem für die Partei werden könnte.

Von Nicolas Richter, Washington

Man wüsste jetzt gern, was Abraham Lincoln zu sagen hätte. Lincoln war einer der größten US-Präsidenten, er gewann den Bürgerkrieg und setzte doch auf Versöhnung, er befreite die Schwarzen nicht nur aus der Sklaverei, sondern sah sie auch als Bürger. Nach seinem Tod änderte seine Republikanische Partei 1868 die Verfassung und schrieb darin fest, dass Amerikaner ist, wer in den USA geboren wird, auch alle schwarzen Menschen. Dieses Geburtsortprinzip, im Lateinischen ius soli genannt, weil der Boden die Staatsbürgerschaft bestimmt, nicht das Blut, ist ein definierendes Merkmal des Einwanderungslandes USA und eine der größten Errungenschaften der Republikanischen Partei, anscheinend so unverrückbar wie Lincolns monumentale Statue, die in Washington still und ernst über die Mall blickt.

Aber nun herrscht Vorwahlkampf, es ist die Zeit der Vereinfachung und der Polemik, und in Lincolns Partei rütteln die Kandidaten an eben jenem 14. Verfassungszusatz, den ihre Parteifreunde einst in das Grundgesetz geschrieben haben: Wer hier geboren wird, soll nicht mehr automatisch Amerikaner sein. Der meistbeachtete Vorstoß stammt, wie immer, vom Präsidentschaftskandidaten Donald Trump; er will das Geburtsortprinzip abschaffen, weil es der "größte Magnet für illegale Einwanderung" sei. Trump nennt als Beispiel eine Mexikanerin, die sich ins Land schleiche und ein Kind zur Welt bringe. "Dann müssen wir uns 80 Jahre lang um diesen Menschen kümmern", sagt Trump.

Verfassungsänderung ist so gut wie unmöglich

Der Baulöwe Trump hat illegale Einwanderung zum Leitthema seiner Kandidatur erklärt, in seiner ersten Bewerbungsrede behauptete er, Mexikos Regierung schicke Vergewaltiger und Schmuggler über die Grenze. (Er hat Beweise angekündigt, ist sie aber schuldig geblieben.) Trump verheißt nun eine unüberwindbare Mauer an der US-Südgrenze, obwohl dieses Projekt so teuer wäre, dass schon die Regierung von George W. Bush daran gescheitert ist. Doch auf Fakten kommt es derzeit nicht an. Allen Umfragen zufolge ist Trump der beliebteste Kandidat seiner Partei, und er treibt seine Rivalen vor sich her: Viele von ihnen fordern nun ebenfalls, die "birthright citizenship" abzuschaffen - unter ihnen Gouverneure wie Scott Walker und Chris Christie, Senatoren wie Lindsey Graham und Rand Paul; und selbst jene, die selbst von Einwanderern abstammen, wie Ted Cruz oder Bobby Jindal.

Mit ihrer fremdenfeindlichen Kampagne drohen sich die Republikaner, die sich sonst als Hüter der Verfassung aufspielen, wieder einmal selbst eine Falle zu stellen. Nicht nur, weil schon die Zahlen gegen die Notwendigkeit einer Blut-und Boden-Debatte sprechen. Eine Verfassungsänderung wäre auch so gut wie unmöglich, denn man bräuchte Zweitdrittelmehrheiten in beiden Kammern des US-Kongresses und ein Ja von drei Vierteln aller US-Staaten. Das ist kaum zu erreichen.

Vor allem aber widerspricht die Großreform, die Trump ankündigt, schlicht dem Interesse seiner Partei. Bei der letzten Präsidentschaftswahl 2012 hat der Kandidat Mitt Romney so miserabel abgeschnitten, dass die Parteispitze eine völlig neue Strategie verlangte. Die Republikaner müssten damit aufhören, hieß es in einem Grundsatzpapier, die Partei der alten weißen Spalter zu sein, die jede Minderheit im Land brüskierten, vor allem die stark wachsende Minderheit der Latinos. Romney hatte die Latinos wenig beachtet und Einwanderern ohne Aufenthaltserlaubnis geraten, "sich selbst abzuschieben".

Nicht alle Republikaner aber möchten die Lehren von 2012 beherzigen, vielmehr haben sich in der heutigen Bewerberschar zwei Lager gebildet: Zum einen Lager gehört Trump mit seiner Dauerpolemik gegen "Illegale", zum anderen Lager gehören gemäßigte Kandidaten wie Jeb Bush, der Präsidentensohn und -bruder, der kubanischstämmige Senator Marco Rubio, oder John Kasich, der Gouverneur von Ohio. Wer Präsident werden will, glauben sie, darf sich nicht bloß bei der rechten Basis anbiedern, sondern muss auch die Hauptwahl im Blick haben, wo ein bunteres, weltoffeneres Wahlvolk das Sagen hat.

Gemäßigte Kandidaten übernehmen Trumps Rhetorik

Das Blut-statt-Boden-Prinzip löst auch nicht Amerikas wirkliche Probleme. Zwar gibt es tatsächlich eine Art gewerblichen "Geburts-Tourismus", der die US-Rechtslage gezielt ausnutzt. Ermittlungen der US-Bundesbehörden in Kalifornien haben offenbart, dass dieser Tourismus ein organisiertes Geschäft ist, das besonders auf chinesische Frauen zielt, die sich ein Kind mit US-Pass wünschen. Schätzungen zufolge wächst die Zahl der US-Bürger auf diese Weise um 8000 bis 30 000 pro Jahr. Auch stimmt es, dass in der Vorstellung armer Menschen in Mittelamerika die Kinder eine Art Schlüssel für Amerika sind: So schickten Tausende ihre Kinder allein über die Grenze, in der Hoffnung, dass sie dort irgendwie bleiben dürften.

Streit um Einwanderungspolitik: Der Grenzwall zwischen Mexiko und den USA bei Nogales.

Der Grenzwall zwischen Mexiko und den USA bei Nogales.

(Foto: Alfredo Estrella/AFP)

Aber die relevantere Frage ist, wie man mit jenen elf Millionen Menschen umgeht, die längst ohne Papiere in den USA leben. Sie sind ganz überwiegend gekommen, um hier zu arbeiten und zu leben. Sie arbeiten hart und oft unter widrigen Bedingungen, und nach den meisten seriösen Statistiken bringen sie der Gesellschaft mehr, als sie kosten. Diese Menschen bekommen freilich Kinder, etwa 300 000 pro Jahr. Aber das ist nicht der Grund dafür, dass sie bleiben. Sie bleiben schlicht deshalb, weil es den Staat völlig überfordern würde, sie alle zu finden und abzuschieben.

11,3 Millionen

Einwanderer ohne Papiere lebten 2014 in den USA, das entspricht 3,5 Prozent der Gesamtbevölkerung. Die Zahl hat sich in den letzten fünf Jahren kaum verändert. 2007 hatte sie den Höchststand von 12,2 Millionen erreicht. 52 Prozent der Migranten ohne Aufenthaltserlaubnis sind Mexikaner, wobei deren Zahl zuletzt zurückging.

Um das Chaos dauerhaft zu ordnen, haben Senatoren beider Parteien im Jahr 2013 eine Großreform ausgehandelt. Einerseits sollte die Grenze im Süden weiter verstärkt werden, andererseits sollten die bereits in Amerika lebenden, ansonsten rechtstreuen "Illegalen" ein Bleiberecht erhalten. Die Reform scheiterte an den Republikanern: Aus Sicht ihrer konservativen Mitglieder soll man nicht jene belohnen, die Gesetze missachtet haben.

Die Vorwahlen sind nun Richtungswahlen: Folgt die Partei Jeb Bush, der für ein Bleiberecht plädiert und eine Verfassungsänderung ablehnt, und der in einer Hauptwahl gut bei Amerikas Latino-Wählern abschneiden könnte? Oder folgen sie Trump, der sich schon jetzt bei den meisten Latinos so unbeliebt gemacht hat, dass er deren Stimmen in einer Hauptwahl an die mutmaßliche demokratische Gegenkandidatin Hillary Clinton verlieren würde?

Die Gefahr für die Partei liegt darin, dass selbst gemäßigte Kandidaten wie Bush die spalterische Rhetorik Trumps übernehmen - aus Angst, zu viel Rückhalt an der rechten Basis zu verlieren. Es ist das alte Dilemma republikanischer Kandidaten: In den Vorwahlen müssen sie ein anderes Gesicht zeigen als in der Hauptwahl. Bush fürchtet offensichtlich, dass er aus Sicht der Parteifreunde zu weit links steht. Wie Trump verwendet er nun also den umstrittenen Begriff "anchor babies", der "Anker-Säuglinge", einen abwertenden Begriff für die Kinder von Ausländern, die in den USA geboren werden und deren Staatsbürgerschaft die Familie sozusagen in Amerika verankert. Neulich haben Latinos in Texas Bush zur Rede gestellt wegen seiner Wortwahl, da sagte er, er habe nicht Latinos gemeint, sondern Asiaten, woraufhin wiederum asienstämmige Amerikaner empört waren.

Jene Republikaner, die an Lincoln erinnern und an seine Botschaft der Einheit und Versöhnung, müssen offensichtlich warten, bis die Vorwahlen vorbei sind. Vielleicht auch länger.

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