Kulturreport:Geschichte, lebensnah

Kulturreport: Anne Funck begleitet Buchproduktionen, bietet Museumsführungen für Kinder an und schreibt selbst.

Anne Funck begleitet Buchproduktionen, bietet Museumsführungen für Kinder an und schreibt selbst.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Das Erfolgsrezept der Kinderbuch-Autorin und Kunsthistorikerin Anne Funck

Von Barbara Hordych

Bizarr, farbenfroh und überdimensional - die Kostüme von Oskar Schlemmers legendärem "Triadischen Ballett" faszinierten die Kunsthistorikerin Anne Funck auf Anhieb, als sie in den Neunzigerjahren eine Arte-Produktion zur "Revolution des Tanzes" im Fernsehen sah - "so eng und steif waren diese eigenartigen Kreationen, dass sie den Tänzern und Tänzerinnen nur ein starres Bewegungsspiel auf der Bühne erlaubten", erinnert sich Funck bei einem Treffen in einem Haidhauser Café. Vor ihr liegt das Kinderkunstbuch "Tribal tanzt - in der Welt von Oskar Schlemmer", in dem ihre damalige Faszination erzählerische und bildnerische Gestalt angenommen hat.

Bis es dazu kommen konnte, mussten allerdings die langwierigen Rechtsstreitigkeiten beigelegt sein, die über Jahre hinweg jegliche umfassende Ausstellung zum Werk des Bauhaus-Künstlers verhinderten. Als die Staatsgalerie Stuttgart dann im vergangenen Jahr eine Schlemmer-Retrospektive zeigen konnte, entschied sie sich erstmals auch für das Experiment eines Kinderkunstbuchs, das jungen Lesern die Person und das Schaffen Oskar Schlemmers nahe bringen sollte.

Über Empfehlungen kam man auf Anne Funck, die Kinderführungen in diversen Museen leitet und für den Prestel- und den Knesebeck-Verlag bereits mehrere Kindersachbücher lektoriert und geschrieben hat. "Das Verlagskarussell ist ja klein, da kennt jeder jeden", sagt Funck. In "Tribal tanzt" wählte sie einen Kunstgriff, um Kindern den Kosmos von Schlemmers Kunstwelt zu erschließen: Mit den Augen eines neuen Tänzers der Truppe, Tribal, betrachtet sie leicht verwirrt vom Zuschauerraum aus die seltsamen Ringelmänner und Kreiselballerinen in ihren aus sperrigen Materialien zu geometrischen Figuren gefertigten Kostümen.

Kurz darauf steckt Tribal selbst in einer Art Astronautenanzug, "eng fühlt sich das Korsett an, schwierig anzuziehen", stellt er fest. "Stoßdämpfer kann ich mir sparen, ich stecke in einem perfekten Aufprallanzug fürs Pingpong-Spiel." Immer tiefer gerät Tribal in Schlemmers Welt, mischt sich unter die Studenten der Bauhausschule zu Dessau, feiert mit ihnen das Drachenfest und lernt auch das berühmte Gemälde "Bauhaustreppe" kennen.

Das typografisch ansprechend gestaltete Buch, dessen Texte mit Fotos von Aufführungen, Programmheften, von Schlemmer selbst und seinen Gemälden und Zeichnungen ergänzt werden, gibt daneben auch Anregungen, selbst kreativ zu werden. Da ist es wenig verwunderlich, dass der Band auf die Shortlist der Stiftung Buchkunst für "Die Schönsten deutschen Bücher 2015" gelangte und diesen Herbst von der Oldenburger Kinderbuchmesse eingeladen wurde, in diesem Herbst mit auf Reisen zu gehen.

Das "Übersetzen von Geschichte in die Gefühlswelt und Sprache der Kinder" sieht Anne Funck als ihre zentrale Aufgabe an - wobei sie gerne zu leicht provokanten Fragen greift. "Hatten denn die Griechen gar nichts anzuziehen?" fragt sie direkt, wenn sie mit einer kichernden Menge pubertierender Schüler in der Glyptothek unterwegs ist, wo nackte Athleten in marmorner Schönheit erstarrt sind. "Ich bin eben dafür, das Kind beim Namen zu nennen, zudem bei den Statuen auch oft noch die Geschlechtsteile abgebrochen sind", sagt Funck. "So bin ich schnell beim heutigen und damaligen Schönheitsideal: Bei den Griechen galt der, der schön ist, auch als gut." In der Regel verstummt durch solche Überlegungen das verschämte Gekicher ganz schnell und die Kinder schauen stattdessen genauer hin. Eine Erfahrung, die Anne Funck ihren jugendlichen Zuhörern nicht nur in der Glyptothek und in den Antikensammlungen, sondern auch im Buchheim-Museum vermittelt.

Die Mutter zweier Jungen im Alter von elf und 15 Jahren wurde nicht nur in Kunstgeschichte promoviert, sondern hat auch Klassische Archäologie im Nebenfach studiert, ein Fundus, aus dem sie beispielsweise schöpfen konnte bei der Neuauflage des Bandes "Altes Rom" in der populären Was-ist-Was-Wissensreihe des Tessloff-Verlags (2014). Für den Mittelalter-Band war sie noch als Lektorin tätig, "dann wurde ich gefragt, ob ich das neue Rom-Buch als Autorin schreiben wolle, zusammen mit Sabine Heger, der Leiterin des Museumspädagogischen Zentrums". Was ist bei dem neuen Band anders? Der Stoff dürfte ja gleich geblieben sein. Anne Funck überlegt. "Grundsätzlich geht man heute viel mehr auf die Wenigleser ein", sagt sie.

So gebe es in dem neuen Band keinen durchgehenden Fließtext mehr, sondern kürzere, peppigere, reportageartige Texte mit Zwischentiteln. Jedes Thema bekomme eine eigene Doppelseite, auf denen beispielsweise die wichtigsten antiken Götter unter dem Titel "Patchwork im Olymp" vorgestellt werden - mit allerhand amüsanten Details zum Liebes-und Intrigenspiel. Aufgelockert werde das Ganze durch kleinteilige Elemente wie "Funny Facts", die davon berichten, wie die Kaiser ihren Haarausfall bekämpft haben. "Charakteristisch für mich ist wohl, dass ich meinen Fokus auf das Geschichtenerzählen lege, und da insbesondere auf den Alltag, weil ich immer vom normalen Menschen ausgehe", erklärt Anne Funck ihre Vorgehensweise - ganz gleich, ob es sich nun um Schulklassenführungen in Museen oder um Texte in ihren Kunstbüchern handelt.

Wie das konkret ausschauen kann, zeigen die Informationen zu den Essgewohnheiten und der Kleidung der alten Römer im neuen Was-ist-Was-Band. Zu der Frage "Wie zieht man eine Toga an?" ist ein blonder Junge in ebendiesem Kleidungsstück zu sehen, "in das netterweise mein jüngerer Sohn geschlüpft ist. Ich erinnere mich noch gut an den Kampf mit der Wolltoga, die ich für die Aufnahmen stundenlang bügeln musste", erzählt Funck und lacht. Freilich war die kein Original, sondern eine Leihgabe aus dem Fundus des Museumspädagogischen Zentrums der Antikensammlungen. Unter dem Motto "Frisuren zum Nachmachen" sitzt eine Kindergartenfreundin ihres Sohnes Modell für "Livias Style", einer kompliziert geflochtenen Haartracht nach dem Vorbild einer Büste der Ehefrau von Kaiser Augustus.

Womit die Brücke geschlagen wäre zu ihrem Anliegen, den Kindern die Historie lebensnah zu vermitteln. "Das Fach ,Kultur' vermisse ich in der Schule, mir fehlt da das Übergreifende, Vernetzende", klagt sie. Einen Plan, wie so ein vernetzendes Kulturfach aussehen könnte, hat sie auch schon: "Ich bin mit einer Lehrerin der Maria-Probst-Schule in Sendling in Kontakt, die ihre Klassenlehrerstunden für ein Pilotprojekt zur Verfügung stellen würde." Denn gerade Sendling eigne sich hervorragend für eine Art "Puzzle zur Geschichte", meint Funck. Anhand von Großmarkthalle, Südbad, Asam Schlössl, Flaucher, Tierpark- und Brudermühlbrücke ließe sich sehr anschaulich erklären, wie eine Stadt entsteht. Einen Brückenrestaurator hat sie bereits für das Projekt gewinnen können. Was noch fehlt, sind Sponsoren. Aber da ist sie optimistisch. Schließlich kann sie nicht nur Kindern, sondern auch Erwachsenen sehr anschaulich vermitteln, warum die Vergangenheit spannend ist.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: