Überwachung von Autofahrern:Hängt die Freiheit am Gaspedal?

Studie: Köln löst Stuttgart als Stauhauptstadt ab

Straßenszene aus Köln.

(Foto: dpa)

Autovermieter könnten bald Zugriff auf die Flensburger Verkehrssünderkartei bekommen. Das kann man beruhigend finden - oder nicht. Ein Pro und Contra.

Von Stephan Radomsky und Jan Willmroth

Die Liebe der Deutschen zum Auto ist ein gut gepflegtes Klischee. Aber irgendetwas muss dran sein, sonst würde nicht seit Jahren über ein generelles Tempolimit auf Autobahnen oder eine Pkw-Maut diskutiert, ohne dass daraus etwas geworden wäre. Allerdings verändert sich da auch etwas: Das Smartphone hat das Auto als Fetisch-Gegenstand der Jugend abgelöst, behaupten Meinungsforscher. An der Faszination für die Geschwindigkeit hat sich bei vielen aber nichts geändert.

Also ist der Unwille groß, wenn nun Versicherer und Carsharing-Firmen immer genauer wissen wollen, wer ihre Kunden sind - und vor allem, wie sie sich hinter dem Steuer benehmen. Zu Unrecht, denn dieses Interesse ist legitim. Und es nutzt nebenher auch allen anderen, die auf der Straße unterwegs sind.

Sicherer Straßenverkehr

Aggressive Fahrer verursachen hohe Schäden. Für die müssen bisher alle draufzahlen, weil Risikoprämien nur sehr grob verteilt werden, zum Beispiel nach Alter. Vor allem gefährden diese aggressiven Autofahrer aber nicht nur sich selbst, sondern auch Unbeteiligte. Raserei teurer zu machen, könnte deshalb einen erzieherischen Effekt haben. Der Straßenverkehr könnte so sicherer werden.

Um eines klarzustellen: Datenschutz ist wichtig. Den gläsernen Menschen darf es nicht geben, weder für den Staat noch für Konzerne. Datenschutz kann aber kein Selbstzweck sein. Er muss abgewogen werden gegen die vernünftigen Interessen der anderen Beteiligten. Deshalb braucht es klare Regeln für die Verwendung und Speicherung persönlicher Daten. Dann ist es aber sinnvoll, wenn Versicherer die Fahrt per Blackbox im Auto nachvollziehen wollen. Oder wenn Carsharing-Anbieter bei der Anmeldung abfragen, ob da ein polizeibekannter Verkehrsrowdy ihre Autos nutzen möchte.

Was viele Skeptiker bei diesen Plänen besonders ängstigt, ist die Möglichkeit, dass da jemand all ihre Bewegungen verfolgen könnte. Zu Recht, diese Vorstellung ist wirklich unangenehm. Das Problem ist nur: Es passiert längst. Nur eben nicht durch das Auto, sondern, noch umfassender, über das Handy. Und dahinter stehen Unternehmen, die mit dem deutschen Datenschutz wenig bis gar nichts am Hut haben.

Woher sonst wüsste beispielsweise Google Maps so genau, auf welcher Straße gerade Stau ist? Das geht nur, weil der Konzern dank GPS-Ortung erkennt, wo sich Handys befinden und wie schnell sie sich bewegen - oder eben nicht. Weil die allermeisten Nutzer von Telefonen mit dem Android-Betriebssystem (in Deutschland sind das mehr als zwei Drittel aller Smartphone-Besitzer) auch einen Google-Account haben, könnte der Konzern damit höchst präzise nachvollziehen, welcher seiner Kunden wann wo ist, und zwar nicht nur wenn er fährt. Und Google ist beileibe nicht der einzige Anbieter, der Smartphones ortet. Apple, Facebook und viele andere interessiert ebenfalls, wo man gerade ist.

Über diese Datensammelei regt sich allerdings, abgesehen von ein paar Aktivisten und Datenschutzbeauftragten, keiner so richtig auf. Warum? Weil Apps nicht in die gefühlte Freiheit eingreifen. Sie bestrafen niemanden, weil er mal so richtig aufs Gas tritt. Im Gegenteil: Dienste wie Google Maps sind komfortabel. Sie erleichtern das Leben und das Reisen. Und vor allem: Sie kosten den Nutzer - vermeintlich - nichts. Dabei verdienen viele Anbieter, Großkonzerne genauso wie Start-ups, mit persönlichen Informationen viele Milliarden. Entweder indem sie ihnen die gerade passende Werbung einblenden oder einfach, indem sie die gesammelten Rohdaten meistbietend weiterverkaufen. Sicherere Straßen fallen bei keinem dieser Geschäftsmodelle als Nebeneffekt ab.

Wer sich also ernsthaft schützen möchte, sollte lieber sein Smartphone ausschalten, als "Freie fahrt für freie Bürger!" zu rufen. Das könnte dann aber den persönlichen Komfort einschränken.

Das Contra: Runter vom Beifahrersitz

Zwei Meldungen sind es in diesen Tagen, die jeden Autofahrer aufhorchen lassen sollten. Beide wirken harmlos - und bieten doch Anlass, einmal grundsätzlich über einen Entwicklung nachzudenken, an deren Ende eine konsequente Überwachung jedes einzelnen Fahrers im Straßenverkehr stehen könnte.

Google, der mächtige Internetkonzern, der für seine Dienstleistungen schon heute Verkehrsdaten auswertet, will künftig nicht mehr nur Staus, sondern auch Schlaglöcher erfassen. Dazu sollen Smartphones während der Fahrt Erschütterungen messen. In der Masse soll das eine Landkarte der Straßenschäden ermöglichen; dem einzelnen Nutzer zeigt es einmal mehr, wie präzise sich inzwischen das Fahrverhalten messen lässt. Die zweite Meldung ist die Idee, Carsharing-Anbietern Zugriff auf die Flensburger Verkehrssünder-Datenbank zu ermöglichen. So würden die Anbieter frühzeitig Nutzer identifizieren, die ihre geliehenen BMW überdrehen könnten. Alles dem Argument untergeordnet, den Straßenverkehr sicherer zu machen.

Jede ungewöhnliche Route wird verdächtig

Nun ist es nicht diese eine Idee, die bedenklich stimmen sollte - es ist der zeitgeschichtliche Zusammenhang, in dem sie öffentlich diskutiert wird. Um in Flensburg registriert zu werden, muss man heute noch zu schnell an Radarkontrollen vorbeifahren, der Polizei auffallen oder Unfälle verschulden. Die Behörden reagieren nur auf Ereignisse, von denen sie erfahren. Und sie erfahren immer mehr. Bald wird es möglich, einfach das Auto mit der Verkehrssünder-Datenbank zu vernetzen und bei ausreichend häufig missachteten Geschwindigkeitsbegrenzungen automatisch Punkte zu verteilen. Dann bliebe nur noch die Frage zu klären, wie verlässlich die dazu benötigte Technologie aus juristischer Sicht wäre.

Diese Frage wird wohl in Kürze beantwortet sein. Auch Versicherungen reagieren heute auf Ereignisse, deren Wahrscheinlichkeit sie zuvor berechnet haben. Schon bald aber werden sie viel öfter die Höhe ihrer Beiträge nach dem Fahrverhalten der Kunden ausrichten. Wer riskant fährt, zahlt mehr. Während diese sogenannten Telematik-Tarife im Ausland schon erfolgreich verkauft werden, kommen sie von 2016 im großen Stil nach Deutschland - zunächst nur als Option, mit der Kunden geringere Beiträge zahlen. Schon bald könnte sich das Blatt wenden: Dann wird jeder Fahrzeughalter, der sich den kleinen Boxen im Auto verweigert, die das Fahrverhalten an den Versicherer funken, exorbitant höhere Beiträge zahlen müssen.

Für die Versicherer ist das eine Strategie, im digitalen Zeitalter ihr Geschäft in der Kfz-Versicherung zu retten. Man muss privaten Unternehmen nicht vorwerfen, im Rahmen der Gesetze ihr Geschäftsmodell an die technischen Möglichkeiten anzupassen. Die angebrachte Skepsis sollte vielmehr dem staatlichen Interesse am Fahrverhalten seiner Bürger gelten. Wo mit den kleinen Kästen und vernetzten Autos die Infrastruktur geschaffen ist zur minutiösen Überwachung durch Behörden, wird sie irgendwann auch genutzt. So unvernünftig es klingt ob der Gefahr, die von Rasern und Betrunkenen auf der Straße ausgeht: Es gehört zur Verteidigung der Freiheit, vor einer staatlichen Kontrolle des Fahrverhaltens zu warnen. Eine Welt, in der jeder Regelverstoß vermerkt wird und jede ungewöhnliche Route verdächtig macht, ist keine Dystopie mehr.

Das ist nicht deshalb schlimm, weil dann Geschwindigkeits-Junkies selbst auf verlassenen Landstraßen beim Rasen erwischt würden. Es ist schlimm, weil es ein weiteres Symptom des Umgangs staatlicher Stellen mit technischen Innovationen ist: Während Bürgern bei Konzernen mulmig wird, die mit ihren Daten Geschäfte machen, hält sich die Wut auf Geheimdienst-Überwachung und Gesetze wie die Vorratsdatenspeicherung in Grenzen. Und so ist nicht ausgeschlossen, dass der Staat bald auch Beifahrer sein wird.

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