Die Kunst des Vorspanns von TV-Serien:Aller Anfang ist mehr

Lesezeit: 4 min

Als die Kult-Serie "Bonanza" ins Fernsehen kam, zeigte der Vorspann nur Namen. Heute sind die ersten Minuten einer Serie kleine Kunstwerke. Wie der Vorspann wichtig wurde.

Von Bernd Graff

Mit dem Fernsehen kam die Fernsehserie. Doch fällt es den Medienwissenschaften immer noch nicht leicht, zu erklären, was eine Fernsehserie eigentlich ausmacht. Die Regelmäßigkeit der Ausstrahlung ist ein Faktor, aber regelmäßig ausgestrahlt werden auch Sportschau und Tagesschau. Serien haben meist fiktionalen Inhalt, und wenn nicht, wie etwa Band of Brothers aus dem Jahr 2001, in der die Geschichte einer US-Kompanie während des 2. Weltkriegs nacherzählt wird, dann agieren Schauspieler in der Rolle der historischen Figuren.

So kann man sagen, dass eine Serie sich, wenn nicht durch ihr Personal, dann durch ihre Erzählperspektive, ihr filmisches Konzept und Sujet auszeichnet. Aber auch durch eine charakteristische Stimmung und ästhetische Anmutung.

Jede Serie hat einen Anfang, sie beginnen alle mit sogenannten opening credits - und deren Bedeutung für die Serien der Gegenwart kann gar nicht überschätzt werden. In ihnen wird die Tonalität und Färbung der ganzen Produktion beschrieben: ob sie heiter oder spannend sein will, dramatisch oder historisch. Das geschieht in Andeutungen, nie explizit, aber nie zufällig. Manchmal entstehen sogar filmisch experimentelle Werke. Der Vorspann der großen amerikanischen Serien ist längst eine eigene Kunstform geworden.

Das war nicht immer so. Am Anfang stand die Einblendung von Tafeln mit den Namen der Schauspieler und ihrer Rollen. Beflissen arbeiteten die frühen Serien, untermalt von blechschmetternden Klängen, diese Vorstellungspflicht ab. Und, als hätte man sich erst daran erinnern müssen, dass nicht Schrift, sondern Bewegtbild gezeigt wird, blendete man erst nach und nach Darstellerbilder im Rollenkostüm zu den Tafeln ein.

Im Jahr 1990 wurde alles anders. Damals kam "Twin Peaks" ins Fernsehen

Wer sich heute die credits der Western-Serie Bonanza (1959-1973) anschaut, sieht, dass man zur Vorstellung dieser Serie lediglich stumme Porträtköpfe zu Pferde hintereinander schneiden musste. Das Spektakulärste daran war eine Landkarte, die so sinnfrei wie unvermittelt Feuer fing. Langatmig dagegen die Waltons (1972-1981), die damit anfingen, dass Papa Walton mit dem Auto vor der Ranch vorfährt und die Familienmitglieder (die männlichen nutzen alle Hosenträger) erwartungsvoll hervortreten. Denn im Walton-Wagen befindet sich ein Radio, dessen froh machender Einzug ins Heim die Familie zu einem pittoresken Schluss-Gruppenbild mit Hund zusammenkommen lässt.

Star Trek (1966-69) ließ ein Plastik-Raumschiff von links und von rechts an fremden, auch rot glühenden Planeten vorbei durch den Weltraum schießen, den eine Stimme zur letzten Grenze für die Menschheit erklärte. Heiter dagegen die Eröffnungssequenz von The Odd Couple mit Tony Randall und Jack Klugman, einer Serie um zwei sehr unterschiedliche Männer, die nach ihren Scheidungen irgendwie zusammenleben müssen. Hier wird von 1970 bis 1975 in jeder Woche erzählt, was das Setting ist. So auch noch bei Magnum, der Tom-Selleck-Serie, die typische Lebemann-Szenen aus dem bewegten Privatdetektivleben zeigte - typisch, wenn man auf Hawaii ermittelt.

Gegen diese abgefilmte Erklär-Langeweile mit lauten Fanfaren arbeitete man von den Siebzigerjahren an dann öfter mit mehr optischem Pepp. Neue Fernsehtechniken machten filmische Effekte möglich. Kojak zeigte zwar auch nichts anderes als den Charakterglatzkopf von Telly Savalas, der von 1973 an einen New Yorker Polizisten spielt. Aber man zeigte ihn nun anders.

Hier wird das Fernsehbild von geometrischen Feldern durchzogen, die nach und nach Ansichten der Metropole freilegen. Dallas (1978-1991), versuchte mit einer Dreiteilung des Bildschirms die Bereiche: Öl, weites Land und die Cowboyhaftigkeit moderner Tycoons zu thematisieren.

Man kann sagen: Opening Credits hatten in der Frühzeit von Fernsehserien entweder die Aufgabe, die Darsteller im Kostüm zu zeigen (Bonanza), die Generallinie zu erklären (Odd Couple) oder die Grundzüge der Charaktere in typischen Szenen darzulegen: Für die Sitcom Friends (1994-2004) sprangen die sechs Darsteller in jeder Folge zum nächtlichen Bad in einen New Yorker Brunnen - diese Schlingel.

YouTube

Die SZ-Redaktion hat diesen Artikel mit einem Inhalt von YouTube angereichert

Um Ihre Daten zu schützen, wurde er nicht ohne Ihre Zustimmung geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir Inhalte von YouTube angezeigt werden. Damit werden personenbezogene Daten an den Betreiber des Portals zur Nutzungsanalyse übermittelt. Mehr Informationen und eine Widerrufsmöglichkeit finden Sie untersz.de/datenschutz.

Dann aber kam im Jahr 1990 Twin Peaks, und alles wurde grundlegend anders. Hatten die credits bis dahin die Aufgabe, die Zuschauer mit Musik und Mätzchen am Wegzappen zu hindern, öffnet Regisseur David Lynch mit der Serie über die fiktionale Stadt und ihre "51201" Einwohner nun den freien Assoziationskunstraum. Er produziert Kunst.

Da gibt es kein Portfolio an Darstellern mehr, tatsächlich zeigt er keinen einzigen, sondern er findet Bilder für eine unerklärliche Stimmung. So zeigt er gräulichen Vorfrühling, das Funken stiebende Schleifen einer Kreissäge, rauchende Schlote, einen Wasserfall, dann gemächlich fließendes Wasser, über das die Darstellernamen in grellstem Neongrün geblendet werden.

Heute sind es bedeutungsschwere Assoziationsräume

Ein offenbar zufrieden verdauender Zaunkönig gleich zu Anfang ist das einzige Lebewesen dieses Vorspanns aus Eis, Wasser, Eisen und Feuer. Dazu läuft eine getragene Musik, welche die Spannung von unergründlichem Treiben und krasser Härte untermalt. Lynch hatte damit den Rubikon für opening credits überschritten. Denn von nun an - befeuert von zunehmend digitaler Technik - haben sich Verrätselung und Experiment, Abstraktion und diffuse Stimmung, schemenhafte Andeutung, kurz: die Atmosphäre, die eine ganze Serie schaffen will, als oberstes Gebot für deren Intros durchgesetzt. Es sind Verdichtungen ihrer Inhalte. Es ist kein Zufall, dass mit der zunehmenden Bedeutung und Großartigkeit des modernen Serienfernsehens die Ästhetisierung des Intros zusammenfällt.

Von "Brainstorm Battles", also wüsten Assoziationen, sprechen denn auch die Macher des Intros von Mad Men (2007), jener grafisch prägnanten Serieneinleitung mit suizidalem Grundton, die Fernsehgeschichte geschrieben hat. Man habe, so die Vertreter von "Imaginary Forces", der damit beauftragten Agentur nur die Idee des vom Hochhaus springenden Mannes erhalten und den Auftrag: traumhaft-schlafwandlerische Ereignisketten, "irgendwas Bedeutungsvolles", um diesen Sprung herum zu erfinden, das nur vage mit dem Serien-Inhalt zu tun haben muss - ihn aber perfekt umschreiben soll. Das ist zur Losung für fast alle neuen Serien geworden: Man öffnet bedeutungsschwere Assoziationsräume, die sich nicht die Mühe machen, so wie in den James Bond-Vorspännen die folgende Handlung als Miniplot zu erzählen.

YouTube

Die SZ-Redaktion hat diesen Artikel mit einem Inhalt von YouTube angereichert

Um Ihre Daten zu schützen, wurde er nicht ohne Ihre Zustimmung geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir Inhalte von YouTube angezeigt werden. Damit werden personenbezogene Daten an den Betreiber des Portals zur Nutzungsanalyse übermittelt. Mehr Informationen und eine Widerrufsmöglichkeit finden Sie untersz.de/datenschutz.

Stattdessen zeigt man nun: Die avanciertesten Visuals, die Computer hergeben. True Detective (2014) etwa füllt Darstellersilhouetten mit kruden Schemen religiöser Verzückung, Prostitution und der verschandelten Industrielandschaft der Südstaaten. Dazu läuft die sonore Musik von T Bone Burnetts Coverversion von "Far from any Road". Es passt scheinbar alles nicht zusammen. Die Serie wird es dann aber auflösen.

"House of Cards" erhebt den Zeitraffer zum Stilmittel: Alles rast und flüchtet

Six Feet Under (2001), die Serie um ein Bestattungsinstitut, spielt mit Bildern von Verlust und klinischer Obduktion: die ganze abendländische Vanitas-Ikonografie von Trauer und Dahinscheiden wird aufgerufen. Die Titelsequenz von Homeland (2011) pflanzt die Angst vor Terror und Krieg optisch in ein schlafendes Mädchen und lässt dieses dann unter Gefährdungsansprachen mehrerer amerikanischer Präsidenten optisch groß werden.

Das Ganze ist ein schlechter Trip - oder eine Geisteskrankheit in Bildern. Auch hier ist das Leitmotiv der Serie getroffen. Game of Thrones (2011) schickt die Zuschauer im Geisterflug über fiktive Digital-Kontinente, die Cyberpunks entworfen haben müssen. Überall sprießen die Bauten, fast so mechanisch korrekt, wie die Kreissäge von Twin Peaks geschliffen wird. House of Cards (2013) erhebt den Zeitraffer zum Stilmittel: Alles rast und flüchtet, nur die Monumente Washingtons nicht.

All diese Intros haben nur eine Botschaft: Das, was folgt, wird so cool sein, dass man serienlang dranbleiben wird.

YouTube

Die SZ-Redaktion hat diesen Artikel mit einem Inhalt von YouTube angereichert

Um Ihre Daten zu schützen, wurde er nicht ohne Ihre Zustimmung geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir Inhalte von YouTube angezeigt werden. Damit werden personenbezogene Daten an den Betreiber des Portals zur Nutzungsanalyse übermittelt. Mehr Informationen und eine Widerrufsmöglichkeit finden Sie untersz.de/datenschutz.

© SZ vom 29.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: