Hockey-Finale der Männer:Ohne Zugriff

Aktuell Feldhockey EM 2015 Deutschland verliert Finale gegen die Niederlande 29 08 2015 London En

Schlusspunkt: Mirco Pruijser beim sechsten Treffer für die Niederländer im Finale der EM in London gegen das überforderte deutsche Team.

(Foto: Action Plus/imago)

Sechs Gegentore in einem Spiel: Deutschland erlebt gegen die Niederlande im EM-Finale eine Demütigung.

Von Volker Kreisl, London/München

Acht Jahre hat die niederländische Hockey-Nationalmannschaft gewartet. Viel länger schon zählt sie zu den großen Nationen in diesem Sport, aber seit 2007 hatte sie keinen großen Titel mehr geholt, nicht einmal bei der WM in Den Haag 2014. Oft waren die Deutschen im Weg, besonders schmerzlich war deren 2:1-Finalsieg bei den Olympischen Spielen 2012 auf dem blauen Rasen in London West Ham. Nun fand dort die Europameisterschaft statt, und auf demselben blauen Untergrund trafen beide Teams wieder im Finale aufeinander. Die ideale Chance für eine Revanche also, konnte man meinen, aber es wurde viel mehr, es wurde eine Demütigung für die Auswahl von Bundestrainer Markus Weise. 1:6 (0:5) stand es am Ende, kurz nach sechs Uhr Ortszeit in London.

Um zu ermessen, was hier passierte, musste man nur in die Gesichter der niederländischen Spieler schauen, die kurz vor Spielende an der Bande standen, und auf die Schlusssirene warteten. Die neuen Europameister waren selber fassungslos, manche weinten vor Glück, besonders der niederländische Top-Torschütze Jeroen Hertzberger, der natürlich auch in diesem Spiel einen Treffer erzielt hatte. Es war wohl viel Erleichterung dabei, aber auch das Bewusstsein darüber, gerade in die Geschichte seines Sports einzugehen. In der Mixed-Zone erklärte wenig später Mittelfeldmann Robbert Kemperman: "Mir fehlen die Worte, wir haben sehr viel trainiert, wir haben es verdient." Bundestrainer Weise sagte: "Man hat gemerkt, dass die Niederländer im siebten EM-Finale gegen Deutschland endlich mal gewinnen wollten. Das war bei uns in dem Maße nicht der Fall."

Es war die höchste Niederlage in 45 Jahren EM-Geschichte

In 45 Jahren Hockey-EM-Geschichte hat es keine derart hohe Final-Niederlage gegeben, und bei allem Ärger, den Trainer und Spieler nun verarbeiten müssen, wirken diese 60 einseitigen Spielminuten auch für die gesamte Hockey-Gemeinschaft nicht gerade ruhmreich. Der Sport bangt seit einiger Zeit auch ein bisschen um seinen Platz bei den olympischen Programm-Gestaltern. Da ist es nicht förderlich, wenn in einem Groß-Finale zwischen den weltweit führenden Nationen nach wenigen Minuten alle Spannung gewichen ist, weil der Titelverteidiger und Olympiasieger keinen Zugang zum Spiel findet.

Die deutsche Mannschaft war mit diesem Gegner überfordert. Schon wenige Minuten nach dem Anpfiff prallte der Ball vom Innenpfosten von Torwart Nicolas Jacobi quer zur Linie weg. Schon da hatten die Deutschen sehr, sehr viel Glück. Dann waren einige Ungenauigkeiten zu sehen, Abspielfehler, dann verwechselte Tobias Hauke den eigenen Mann mit dem (ähnlich gekleideten) Balljungen und servierte den Ball ins Aus. Und weil es Weises Team nicht gelang, sich zu sortieren, weil es kurz darauf sogar nach einer abgewehrten Strafecke kollektiv zu langsam reagierte, stand es schon nach sechs Minuten 0:1. Billy Bakker hatte beim Rebound genügend Zeit, mit der Rückhand ins kurze Eck zu schlenzen.

So ging es weiter, jedes Tor, das nun fiel, war mitnichten ein Weckruf für die Deutschen und ihre jungen Stürmer, sondern immer nur ein Stück weitere Verunsicherung. "Wir haben nie den Zugriff gefunden", sagte Florian Fuchs. Dabei wiederholten sich die beiden Grundmuster der niederländischen Treffer. Sie entstanden entweder aus den gefährlichen, von der Seitenauslinie hereingegebenen Strafecken, weil Weises Hintermannschaft zu ungenau verteidigte, den Fuß im Spiel hatte oder gefährlich spielte. Oder, irgendwann logisch, aus Kontern: Hoch hinaus gepasst auf die Kelle der niederländischen Angreifer, die mit dem sicheren Gefühl eines Vorsprungs sichtlich Spaß am Vollenden hatten: Mink van der Weerden (14. und 22.), Hertzberger (21.), Rogier Hofman und Mirco Trujser verewigten sich vergnügt. Der Schütze des deutschen Tores, das Top-Talent Christopher Rühr von Rot-Weiß Köln, hatte zwischendurch mal nach einer misslungenen Aktion mit der Kelle ins Netz gehauen, nach seinem Treffer zum 1:6 drehte er mit bitterernster Miene ab.

Eigentlich hätte dieses Championat nach dem Endspiel vorbei sein sollen, doch nun geht die Arbeit wohl erst einmal weiter. Es gibt Erklärungen dafür, dass das Team des Deutschen Hockey-Bundes sich überrumpeln ließ - die Unerfahrenheit, die Beanspruchung aus dem Halbfinale gegen England mit Penalty-Schießen, und wohl auch das sichere Gefühl, dass man ja bereits für Olympia qualifiziert ist, dass das Hauptziel dieses Jahres erreicht ist. Doch sechs Gegentreffer in einem Finale, fünf davon vor der Hälfte der Zeit, zudem 0:5 Strafecken erklärt dies nicht. Die deutschen Hockey-Nationalspieler treffen sich regelmäßig, sie sind alle paar Wochen auf Lehrgängen, und sie spielen im November/Dezember schon wieder in einem großen Turnier, dem World-League-Finale in Indien. Bis dahin haben sie diese Partie vom 29. August 2015 in London West Ham vielleicht verstanden.

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