Hockey-Frauen:Zickerei war gestern

Die deutschen Hockey-Frauen sind bei der EM gegen den Favoriten Niederlande knapp auf dem Weg ins Finale gescheitert. Die Entwicklung des Teams schreitet dennoch voran.

Von Sven Haist, London

Bevor Bundestrainer Jamilon Mülders über den Hockey-Alltag seiner Spielerinnen spricht, gerät er über etwas ganz anderes ins Schwärmen. "Spannende Geschichten können unsere Mädels erzählen", erklärt er, und ehe diese Geschichten im Trubel der EM in London, die für die Deutschen am Sonntag mit dem Spiel um Platz drei zu Ende geht, ungehört bleiben, erzählt er sie lieber gleich.

"Gucken Sie sich Luisa Steindor an. Sie befindet sich im Praktischen Jahr ihres Medizinstudiums, schiebt Nacht- und Wochenenddienste, um an den Lehrgängen teilnehmen zu können." Oder Kristina Reynolds, die Ersatztorhüterin, die ihre Stelle in einem Klinikum aufgegeben habe, um trainieren zu können. Oder Nina Hasselmann: Ein Unternehmen werde sie bald mitleiten, neben dem Hockeysport. Bloß höre sich fast keiner die vielen Geschichten aus der Mannschaft an, sagt Mülders, denn Medien und Zuschauer suchen eine Hauptdarstellerin. Und auf die stürzen sich dann alle. "Aber ganz ehrlich", sagt Mülders, "die kennen sie ja irgendwann auswendig."

Die Kapitänsaufgabe ruht auf fünf Paar Schultern

Dem sozialen Spürsinn von Jamilon Mülders, 39, ist es nicht entgangen, dass bei der Berichterstattung über das deutsche Frauenhockey zuletzt nicht so fleißig zwischen seinen Spielerinnen hin und her rotiert wurde, wie er das mit der Kapitänsbinde macht. Im Blickpunkt stand früher die Rekordnationalspielerin Natascha Keller, heute ist es die Kapitänin Janne Müller-Wieland vom Uhlenhorster HC. Dabei ist sie eine von mehreren Spielführerinnen, die Verantwortung ist auf fünf Frauen verteilt, es geht um Wertschätzung und dann Wertschöpfung, in dieser Reihenfolge. Führen heiße ja nicht, die Erste im Bus oder beim Essen zu sein, führen könne man auch aus der dritten Reihe heraus, sagt Mülders. Zudem: Diese flache Hierachie ist Teil der Entwicklung des Teams, und die Entwicklung ist ein Jahr vor den Spielen von Rio wichtig, sogar wichtiger als die nackten Resultate bei dieser EM.

Für die Öffentlichkeit ist das Wort Chef also wichtig, innerhalb von Mülders' Team nicht mehr. Müller-Wieland strahlt eine natürliche Autorität aus, auf dem Platz ist sie nicht zu übersehen, schon gar nicht zu überhören. Als zentrale Abwehrspielerin trifft sie die Entscheidungen. Der Kommunikationsweg von der hintersten Linie bis nach vorne ist lang, der Stimme von Müller-Wieland merkt man das an. "Es ist nicht immer so schlimm wie jetzt", krächzt sie. Aber gerade hatte der Titelverteidiger Deutschland mit 0:1 im Halbfinale gegen Weltmeister Niederlande verloren. Müller-Wieland sagt: "Super, super, super nah" seien sie am Favoriten dran gewesen.

Die 28-Jährige organisiert also das Spiel, aber sie versucht auch zu loben und anzufeuern, sie sagt: "Draufhauen tun ja andere schon genug." Zumindest mit dem Trainer muss sie während der Partie nicht sprechen, das laufe über Blickkontakt ab. "Ich möchte nicht von Zeichensprache reden, aber vieles ist schon sehr nonverbal", sagt der Coach. Müller-Wieland gehört zu den Spielerinnen, die Mülders als Energiespender fürs Team bezeichnet.

Macht das Training keinen Spaß, ist das Team selbst schuld

Die Führungsfigur kennt die Doppelbelastung aus Spielen und Reden sehr gut. In der Bundesliga hat sie schon immer als Zentralverteidigerin agiert, in der Nationalmannschaft erreicht Müller-Wieland bald die Marke von 200 Länderspielen. Mülders schätzt ihre offensive Art: In schlechten Momenten verkrieche sie sich nicht in ein Mauseloch. Sie sagt: "Ich ziehe mich zurück, wenn es ein einfaches, langweiliges Spiel ist." Und langweilige Spiele mag sie nicht. Bei Olympia 2012 spielte sie einmal im rechten Mittelfeld, das war nichts für sie, weil die entscheidenden Szenen im Zentrum stattfanden: "Kommt der Ball auf rechts zu dir: schön! Wenn nicht, bist du raus!"

Ähnlich aktiv ist sie hinter der Kabinentür. Müller-Wieland kann Training und Spiel analysieren, aber das ist nur ein Teil. Viele arbeiten in so genannten Qualitätssteuerungsgruppen mit, die Mitsprache ist groß. "Wenn das Training keinen Spaß macht und beim nächsten Mal wieder nicht, ist es schon fast unsere Schuld", sagt Müller-Wieland. Wer meckert, meckert also über sich selbst. Sie findet: "Zickerei wird so im Keim erstickt."

Sonntagmittag spielen sie bei der EM in London im Spiel um Platz drei gegen Spanien. "Wenn wir durch das Turnier marschiert wären, hätte uns das weniger geholfen", meint Müller-Wieland. Die Entwicklung des Teams sei deutlich, sagt der Bundestrainer, aber die Frage sei halt: "Möchte man das sehen oder nur die Fakten?"

Die Fakten sagen, dass sich die deutschen Hockeyfrauen bereits für die Olympischen Spiele in Rio qualifiziert haben; bei der EM gab es bislang zwei Siege und zwei Niederlagen. Müller-Wieland sagt: "Wir verlieren nie. Entweder gewinnen wir oder wir lernen." Spätestens beim größten Sportereignis der Welt in einem Jahr sollen aber die anderen Nationen von Deutschland lernen.

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