Heidenau:Störung und Empörung sind Teil der Demokratie

Wenn in Heidenau eine Demonstration wegen "polizeilichen Notstands" verboten wird, dann ist das ein Missbrauch des Worts Notstand.

Kommentar von Heribert Prantl

Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit ist kein Larifari-Grundrecht, eine Demonstration ist keine Larifari-Veranstaltung; sie gehört zum Kern der Demokratie. Das ist die Lehre des Wochenendes, das ist die Lehre von Heidenau, das hat das Bundesverfassungsgericht den Behörden und Gerichten in Sachsen ins Stammbuch geschrieben.

Demonstrationen enthalten das Stück ursprünglich-ungebändigte Politik, die eine Demokratie lebendig sein und bleiben lässt; Demos sind das direkt-demokratische Minimum. Der Rang des Grundrechts fordert Anstrengungen bei Sicherheitsbehörden und Polizei; und man kann sich diese Anstrengungen nicht dadurch ersparen, dass man den "polizeilichen Notstand" ausruft. Das ist ein Missbrauch des Worts Notstand. Notstand meint nicht, dass man gerade keine Zeit und anderes, vermeintlich Besseres, zu tun hat.

Könnten die Sicherheitsbehörden künftig einen Notstand ausrufen, weil sie einige Not damit haben, eine Versammlung zu sichern: dann gäbe es bald keine Demonstrationen mehr - jedenfalls nicht zu besonders umstrittenen Themen und in aufgeheizter Stimmung; dann wäre die Demokratie in Not.

Demonstrationsfreiheit ist auch die Freiheit, gegen Flüchtlinge zu demonstrieren

Das Hin und Her um die Versammlungsverbote von Heidenau zeigt, dass es um das Bewusstsein des Werts der Versammlungsfreiheit nicht so weit her ist. Um eine Demonstration zu verbieten, genügt es nicht, allgemein von Gefahren zu reden; die Gefahren müssen schon sehr konkret sein; und diese Gefahren müssen durch Auflagen wie die Verlegung der Demo an einen anderen Ort nicht beseitigt werden können. Vor dreißig Jahren, im Brokdorf-Beschluss, hat das Bundesverfassungsgericht das Demonstrationsgrundrecht als "Zeichen der Freiheit, Unabhängigkeit und Mündigkeit des selbstbewussten Bürgers" beschrieben. Das ist eine anspruchsvolle Definition. Die Behörden sollten an diesem Anspruch nicht scheitern.

Gewiss ist es so, dass Demonstrationen bisweilen den geschäftigen Alltag oder die politische Routine stören; manchmal stören sie auch die Bequemlichkeit der Verwaltung; oft fordern sie von der Polizei große, manchmal allergrößte Anstrengungen, weil Demonstrationen ja auch gesichert werden müssen. Des Öfteren stoßen Demonstranten auf Empörung; es kommt dann zu Gegendemonstrationen. Aber: Die Demokratie nimmt diese Störung, sie nimmt diese Empörung und sie nimmt die mit Demonstration und Gegendemonstration verbundenen Anstrengungen der Sicherheitsbehörden nicht nur in Kauf. Diese Störung, Empörung und Anstrengungen sind Teil der Demokratie.

Der Artikel acht der Verfassung, der Versammlung und Demonstration schützt, kann einen also schon quälen - zumal dann, wenn er verlangt, auch die Freiheit von Neonazis zu respektieren. Demonstrationsfreiheit: Das ist also auch die Freiheit, gegen Flüchtlinge zu demonstrieren. Geschützt sind allerdings nur friedliche Demonstrationen. Demonstrationen, die zum Hass aufrufen, sind nicht friedlich.

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