Tennisspieler Nick Kyrgios:Dennis Rodmans kleiner Bruder

Rogers Cup Montreal - Day 4

Mischt derzeit die ATP-Tour auf - jedoch nur verbal: Nick Kyrgios

(Foto: AFP)
  • Nick Kyrgios geriert sich als böser Bube der Tenniswelt. Nach diversen Entgleisungen steht er unter Beobachtung.
  • Bei den US Open droht sein Aufenthalt kurz zu werden - er trifft zum Auftakt auf Andy Murray.
  • Zu den Ergebnissen in New York geht es hier.

Von Jürgen Schmieder, New York

Ein kleines Rätsel für alle Sport-Freunde: Was haben Dennis Rodman, George Best, John Daly, Mike Tyson und Nick Kyrgios gemeinsam? Natürlich lautet die richtige Antwort, es ist schließlich die Einstiegsfrage, dass sie alle als berüchtigte böse Buben ihrer jeweiligen Sportart gelten. Der Basketballspieler Rodman hat vor 19 Jahren gar das Buch "Bad As I Wanna Be" veröffentlicht, eine als Autobiografie getarnte Anleitung für so genannte Bad Boys. Kyrgios hat dieses Kleinod der Selbststilisierung offenbar gelesen, schließlich stolziert er in diesen Tagen mit Tattoos, Piercings und gefärbten Haaren über die Tennisanlage in Queens, als wäre er Rodmans kleiner Bruder.

Faszinierende Figuren bereichern jede Disziplin, weil sie einen durch ihre Wunderlichkeiten auf und neben dem Spielfeld daran erinnern, dass es sich beim Profisport letztlich auch nur um eine Sparte der Unterhaltungsindustrie handelt. Das Tennis hat eine ganze Reihe erlesener Entertainer hervorgebracht, auf Youtube gibt es Sammlungen mit den herrlichsten Ausrastern zu bestaunen. Ilie Nastase kommt darin vor, Pancho Gonzáles, Jimmy Connors, Goran Ivanisevic, John McEnroe - sogar Roger Federer, der in jungen Jahren für Ausraster bekannt war.

Kyrgios, 20, ist der aktuelle böse Bube im Tennis, er untermauerte seine auch davor nie angezweifelte Ausnahmestellung beim Turnier in Montréal vor zwei Wochen. Während der Partie gegen Stanislas Wawrinka murmelte er, dass sich dessen Freundin zum Liebesspiel mit einem Kumpel von Kyrgios getroffen habe. Wawrinka nahm sich, als er danach von dieser über Mikrofone eingefangenen Botschaft erfuhr, den Kontrahenten in der Kabine zur Brust - doch hatte Kyrgios mit seiner Feststellung auch die kroatische Tennisspielerin Donna Vekic und den australischen Profi Thanasi Kokkinakis bloßgestellt.

"Ich habe ihm gesagt, dass es so nicht geht", sagte Kokkinakis: "Wenn er ein Problem hat, dann soll er es privat klären." Allzu böse jedoch scheint Kokkinakis seinem Landsmann auch nicht zu sein ob dieser pikanten Enthüllung - die beiden überlegten gar, bei den US Open gemeinsam im Doppel anzutreten. Sie sagten kurzfristig ab, Kyrgios will nun immerhin mit Eugenie Bouchard die Mixed-Konkurrenz bereichern. "Ich würde jetzt nicht sagen, dass ich mich blamiert habe", sagte Kyrgios und ergänzte, dass Vekic keine persönliche Entschuldigung verdient habe: "Aber ich werde mich von nun an besser benehmen." Lleyton Hewitt, einst ein Flegel fast wie Kyrgios, soll sich bei den US Open um das Tennis und die Manieren seines 14 Jahre jüngeren Landsmannes kümmern, während der Vorbereitung auf den Bahamas soll er ihn zum Boxen mitgenommen und ihm dabei auch mal auf die Nase gehauen haben.

Eine groteske Nicht-Bestrafung

Es ist durchaus verwunderlich, dass Kyrgios überhaupt in New York antreten darf nach seiner Entgleisung, die sich auf der Skandalskala irgendwo zwischen der Rangelei von Jimmy Connors und John McEnroe im Jahr 1982 und Hewitts Disput mit einem Linienrichter während der US Open 2001 einreiht. Die groteske Nicht-Bestrafung indes zeigt, wie sehr die ATP diesen Proll mit einer Vorliebe fürs Schiedsrichter-Beleidigen, Fan-Bepöbeln und auch Ballwechsel-Verweigern braucht: Er wird für 28 Tage suspendiert und muss 25 000 Dollar bezahlen - aber nur dann, wenn er sich in den kommenden sechs Monaten Ausraster im Wert von 5000 Dollar leistet. Ansonsten liegt die Strafe bei 12 500 Dollar.

"Das ist doch lächerlich", sagte Vekic zum Strafmaß für Kyrgios. Der hat gewiss keinen Aufbaukurs in guten Manieren belegt - er hatte keine Zeit, weil er sich gerade um eine doppelte Portion Ballgefühl bemühte. Das attestieren ihm alle, Boris Becker genauso wie Roger Federer oder Andy Murray: dass er mit seltenem Talent gesegnet sei und viele Titel gewinnen könne. "Wir alle machen Fehler, wenn wir jung sind. Er ist kein böser Bube, wirklich nicht", sagt Murray, der am Dienstag in der ersten Runde gegen Kyrgios antreten wird: "Er wird bereit sein für diese große Bühne, dort zeigte er bislang seine besten Leistungen, diese Momente liebt er. Ich muss darauf vorbereitet sein, dass jederzeit unerwartete Dinge passieren können."

Jenseits der Grand Slams zeigte Nick Kyrgios in diesem Jahr eher mäßige Leistungen

Kyrgios ist zweifelsohne eine Attraktion im Männerfeld, das so gut besetzt ist wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Genau da jedoch liegt das Problem von Kyrgios, es beantwortet zudem die Frage, warum der hochbegabte Australier gleich in der ersten Runde gegen den an Rang drei gesetzten Murray spielen muss - obwohl er in Melbourne das Viertelfinale und in Wimbledon das Achtelfinale erreicht hat. Wegen mäßiger Leistungen bei anderen Turnieren wird die selbsternannte "Zukunft dieses Sports" (Kyrgios über Kyrgios) nur auf Platz 37 der Weltrangliste geführt - das reicht nicht für die Aufnahme in die Setzliste der US Open. Es ist eine unglückliche Auslosung, gewiss, aber Kyrgios hätte sie vermeiden können, wenn er in diesem Jahr jenseits der Grand Slams nicht nur die Hälfte seiner Partien gewonnen hätte.

Aus gegebenem Anlass sei deshalb noch ein zweites, noch immer nicht allzu schweres Rätsel erlaubt: Worin liegt der Unterschied zwischen Kyrgios und den anderen bösen Buben wie Rodman, Best, Tyson und Daly? Alle anderen haben in ihrer Karriere bedeutsame Titel gewonnen. Rodman schrieb dazu gar drei Kapitel, wie das funktioniert mit dem Erfolg als Bad Boy - und wie sich das mit dem Image vereinbaren lässt. Bis dahin ist Kyrgios offensichtlich noch nicht vorgedrungen. Er war wohl wieder mit anderen Dingen beschäftigt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: