Martin Neumeyer:"Eine Chance für Menschen aus dem Balkan"

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Martin Neumeyer ist der Integrationsbeauftragte der Staatsregierung. (Foto: Hartmut Pöstges)

Der Integrationsbeauftragter der Staatsregierung schlägt zeitlich begrenzte Visa für Arbeitsmigranten vor

Interview von Wolfgang Wittl, München

Diesen Mittwoch wird das Kabinett in einer Sondersitzung über das Thema Asyl beraten, am Donnerstag gibt es in der Staatskanzlei einen Flüchtlingsgipfel mit Wohlfahrtsverbänden und Kirchen. Auch Martin Neumeyer (CSU), der Integrationsbeauftragte der Staatsregierung, wird daran teilnehmen - mit einem ungewöhnlichen Vorschlag.

SZ: Haben Sie in den letzten Fraktionssitzungen öfter gefehlt?

Martin Neumeyer: Nein, ich war eigentlich immer da. Warum?

Die CSU beschäftigt sich seit Wochen vor allem damit, wie man Asylbewerber vom Westbalkan schnell loswird oder erst gar nicht ins Land lässt. Sie dagegen wollen "Migration vom Balkan nachhaltig und fair gestalten". Was meinen Sie damit?

Das eine schließt das andere ja nicht aus. Wir werden die prognostizierten Zahlen von 800 000 Asylbewerbern in Deutschland dieses Jahr wohl sogar noch überschreiten. Daher ist es notwendig, dass wir Platz schaffen für Kriegsflüchtlinge. Wir müssen die Verfahren von Menschen, die wirklich keine Chance auf ein Bleiberecht haben, schnell abhandeln. Andererseits muss man diesen Ländern im Westbalkan die Chance geben, über Arbeitsmigration bei uns Fuß zu fassen.

Wie soll das funktionieren?

Wir hatten noch nie so viele freie Stellen. Das ist Voraussetzung für diese Arbeitsmigration. Man muss sich das vorstellen wie in den Sechzigerjahren unter Adenauer. Man hat Anwerbeabkommen mit Jugoslawien geschlossen, mit Italien oder der Türkei. Menschen, die arbeiten wollen, bekommen die Chance für einen bestimmten Zeitraum. Das wäre der richtige Weg: Auf der einen Seite zu sagen, Bleiberecht ist fast aussichtslos, und auf der anderen Fachkräften Arbeit anzubieten.

In der CSU wird gerne das Beispiel von einer fünfköpfigen Familie aus einem Balkanland herangezogen, die in Deutschland monatlich fast 1400 Euro Unterstützung bekommt. Ein Facharbeiter im Balkan verdient höchstens 300 Euro.

Bei meinem Modell würden die Familien in ihren Heimatländern bleiben. Nur derjenige, der den Arbeitsplatz hat, kommt nach Deutschland. Von dort aus kann er seine Familie unterstützen. Das kann für einen Zeitraum von fünf Jahren sein. Das müsste in einem Abkommen geregelt werden.

Und damit würde man die hohen Flüchtlingszahlen in den Griff bekommen?

Es wäre eine Chance für Menschen aus dem Balkan, Geld zu verdienen und damit auch ihre Heimat zu stabilisieren. Es bringt ja nichts, wenn man aus diesen Ländern alles abzieht - alle Familien und damit auch Schüler und damit auch die Zukunft. Damals, in den Sechzigerjahren, haben alle profitiert: Deutschland, Bayern, die Herkunftsländer. Die deutsche Wirtschaft hat damals sogar gefordert, dass man das Abkommen über Gastarbeiter verlängert. Auch jetzt hätten wir eine Win-win-Situation, wir haben ja unbestritten einen Fachkräftemangel. Und klar ist auch: Wir müssen diesen Menschen etwas anbieten, wenn wir das Problem lösen wollen.

Über welche Zahlen reden wir?

Man muss den Bedarf mit der Wirtschaft und der Bundesagentur für Arbeit klären, und dann muss man die Anzahl der Arbeitskräfte begrenzen. Es kann sicher nur ein Teil der Menschen sein, die bisher zu uns gekommen sind. Wir wollen ja keinen Exodus herbeiführen, sondern die Chancen in Ländern wie Kosovo, Albanien oder Montenegro erweitern.

Was passiert, wenn auch weniger gut ausgebildete Menschen am deutschen Wohlstand teilhaben wollen?

Für Hilfskräfte ist dieses Modell sicher schwieriger. Aber wenn ich auf die Landwirtschaft blicke, das läuft ja schon jetzt: Ob Polen, Rumänen, Bulgaren - ohne diese Saisonarbeitskräfte ging es nicht mehr. Nicht bei Spargel, nicht bei Erdbeeren, Gurken, Hopfen und Wein. Es gäbe doch kaum deutschen Spargel auf dem Markt - und schon gar nicht zu diesem Preis.

Vor nicht mal zwei Jahren hat die CSU eine Debatte mit dem Satz "Wer betrügt, fliegt" ausgelöst. Es ging um die angebliche Unterwanderung der Sozialsysteme, als Rumänen und Bulgaren die Arbeitnehmerfreizügigkeit bekamen. Und Sie wollen nun noch Fachkräfte aus dem Westbalkan nach Deutschland lotsen?

Ich glaube, es denken viele wie ich in der CSU. Es gab damals auch Bedenken seitens der Gewerkschaft oder in der SPD. Aber die Wahrheit ist: Keiner hat uns die Arbeitsplätze weggenommen, sondern uns werden unsere Produkte abgenommen. Es ist realpolitisch nötig, dass diese Länder sich aus eigener Kraft entwickeln können. Dazu zählt auch ein gewisser Transfer von Geld aus Deutschland im Bereich der Arbeitsmigration. Horst Seehofer ist einer der größten Realpolitiker, er weiß, dass das Thema mit den Balkanzentren nicht abgetan ist. Und die Kanzlerin weiß das auch.

Sie gelten in der CSU als besonders unkonventionell. Als Integrationsbeauftragter werden Sie demnächst einen syrischen Flüchtling als Praktikanten einstellen.

Über manche Sachen darf man nicht nur reden, man muss auch beweisen, dass etwas funktioniert. Es soll ein Anstoß sein für die Wirtschaft, für Vereine und Institutionen, sich zu öffnen. Nach dem Motto: Hey, probieren wir's halt einfach mal. Man muss auch mit Symbolen arbeiten.

Ihrem Chef wird gerade vorgeworfen, auf Symbole wie den Besuch einer Flüchtlingsunterkunft zu verzichten.

Jeder Politiker muss seinem Typ gerecht werden, auch Horst Seehofer. Wenn ich an die Rede von ihm im Landtag zum Asyl denke: Das war für mich wegweisend. Damit fühle ich mich in der CSU wohl.

© SZ vom 02.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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