Theater:Gestatten, Baye Abdu Wahab, Bürgermeister

Im niederbayerischen Schönau leben 30 Asylbewerber. Auch dort wird das Thema auf der ortseigenen Theaterbühne behandelt. Doch das Projekt hat einen Unterschied: Die Einwohner spielen Asylbewerber, und die wiederum die Schönauer

Von Christiane Lutz, Schönau

"Fremdenzimmer" steht noch auf einem alten Schild vor dem rosa Gebäude, das einmal ein italienisches Restaurant war und "La Posta" hieß. Fremdenzimmer. Dieser Begriff wirkt sowieso antiquiert, aber fast zynisch vor der Tatsache, dass die "Posta" heute rund 30 Flüchtlinge beherbergt, die nicht im Urlaub sind, sondern dort leben. In der Einfahrt eines Nachbargebäudes parkt ein Auto, auf dessen Heckscheibe ein Aufkleber der Band Freiwild prangt. Das sind Musiker, die wegen ihrer Texte als recht rechts gelten, sich selbst aber stets als lediglich heimatverbunden beschreiben. Es ist wahrscheinlich Zufall, aber es wirkt ein bisschen wie eine Provokation. Dabei gibt es hier eigentlich keinen Grund zur Sorge. Denn Schönau bei Pfarrkirchen im Rottal gibt sich große Mühe eine "Willkommenskultur" zu pflegen, wie es heißt. Auf der anderen Seite der "Posta", da steht der "Posthalterstadl", ein Kulturzentrum, in dem Theater und Musik gespielt werden. Im Posthalterstadl probiert der Regisseur Sebastian Goller etwas Ungewöhnliches: ein Theaterstück mit Schönauern und Flüchtlingen, in denen die Rollen vertauscht werden. Die Flüchtlinge spielen niederbayerische Würdenträger und die Schönauer Menschen auf der Flucht. Das Stück, das Goller selbst schreibt, heißt "Mitten in Niederbayern" und schildert exemplarisch Situationen und Konflikte in vielen Gemeinden hier, die mit dem Zustrom von Flüchtlingen umgehen müssen.

Es ist ein Dienstagnachmittag im August, kurz vor Probenbeginn. Das heißt, kurz vor Lesebeginn. Denn noch steht keiner der Laienschauspieler auf der Bühne in dem Saal mit der gewölbten Decke und den kleinen Tischen, noch arbeitet die Gruppe am deutschen Text, der den ausländischen Schauspielern nur schwer über die Lippen kommt. Mit dem Wort "Landtagsabgeordneter" zum Beispiel tat sich Baye Abdu Wahab aus dem Senegal, der im Stück den Bürgermeister spielt, so schwer, dass der Regisseur es zu "Abgeordneter" gekürzt hat. Bis zur Premiere Ende Oktober gibt es also noch viel zu tun.

Sebastian Goller, 39, zieht an seiner E-Zigarette, stößt Rauch aus, der nach Melone riecht und erklärt seine Idee. "Ich will hier keine Betroffenheitsshow machen. Deswegen erzähle ich eben nicht die Geschichte des Schleppers, der ein Baby ins Mittelmeer geworfen hat, weil es zu laut geschrien hat." Oft schon hat er sich über Theaterprojekte geärgert, in denen Flüchtlingsschicksale nur "vorgeführt" würden. Ihm geht es darum, sich mit der Gegenwart zu beschäftigen und die Frage zu stellen, wie es sein kann, dass manche Menschen sofort ihr Revier verteidigen, wenn Flüchtlinge in ihrem Dorf, in ihrer Stadt auftauchen. Goller weiß, dass die Gesellschaft dabei durchaus wählerisch ist, von wem sie sich bedroht fühlt. Ein Asylbewerber ist für viele ein Mensch zweiter Klasse. Härte gegen ihn würde schon mal hingenommen, Härte gegen die eigenen Landsleute nicht. "Es ist also keine Frage von: Wie gehen Menschen miteinander um? Sondern: Mit wem identifiziere ich mich, wenn es einen Konflikt gibt?" Anders gesagt: Betrifft es den Zuschauer mehr, wenn plötzlich weißen Mitteleuropäern die Zuflucht verwehrt wird? Deshalb die Besetzung gegen die Stereotypen. "Auf diese Weise verwirre ich diese Identifikationsreflexe, die wahnsinnig stark in uns sind", sagt Goller. Der Twist soll einen objektiveren Blick auf die Flüchtlings-Thematik schaffen; wenn das überhaupt möglich ist.

Theater: Was ein Bienenstich ist, wusste Khalid Ahmed Qurane (Mitte) nicht, bevor er nach Schönau kam. Jetzt spielt er einen bayerischen Bäcker.

Was ein Bienenstich ist, wusste Khalid Ahmed Qurane (Mitte) nicht, bevor er nach Schönau kam. Jetzt spielt er einen bayerischen Bäcker.

(Foto: Mediendenk)

Möchte man es provokant ausdrücken, könnte man sagen, die Kunstszene hat den Flüchtling als Trend-Thema entdeckt. Unzählige "Projekte mit Flüchtlingen" gibt und gab es in den vergangenen Monaten an großen und kleinen Theatern. Oft stehen Flüchtlinge selbst auf der Bühne, manchmal protokollieren Dramaturgen ihre Geschichte, die dann Schauspieler vortragen. Häufig bleibt dabei nicht mehr als die dokumentierte Wirklichkeit - und die Frage, wem das Ganze jetzt mehr bringt - dem Flüchtling, dem Kunstschaffenden oder dem Zuschauer. "Was mit Flüchtlingen", das soll Publikum anziehen und Kultureinrichtungen genau jene Relevanz und Aktualität verschaffen, deren Mangel ihnen sonst so oft unterstellt wird. Doch es ist schwierig, die Grenze zwischen künstlerischer Auseinandersetzung mit dem Thema und dem Benutzen von Flüchtlingsgeschichten nicht zu überschreiten.

Das weiß auch Sebastian Goller. Deshalb stehen die Biografien seiner acht Laienschauspieler aus der "Posta" auch erst mal hinten an. "Es soll um Theater gehen. Ich möchte den Flüchtlingen ein Kontrastprogramm bieten, sie ablenken." Die Anerkennung, die sie durch ein Publikum erfahren, soll ihnen zeigen, dass sie Teil der Gesellschaft sind. Als die Asylbewerberunterkunft im Sommer 2014 direkt neben dem Posthalterstadl eingerichtet wurde, war er neugierig auf die Menschen, die dort lebten. Umgekehrt blinzelten die Flüchtlinge oft durch die Tür, wenn im Stadl Theater oder Musik gespielt wurde. Irgendwann kannte man sich. Als Goller zum ersten Treffen für sein Stück einlud, waren gleich acht Asylbewerber da.

Beschauliche Ortschaften wie die 2000 Einwohner-Gemeinde Schönau müssen den Flüchtlingen wie eine andere Welt vorkommen. Wobei "anders" nicht automatisch "großartig" bedeutet. Es gibt wenig zu tun, sie dürfen ja nicht arbeiten, so lange ihr Asylantrag läuft. Die Gemeinde bemüht sich, sie zu unterstützen, wo es nur geht. In einem Gemeinschaftsgarten bauen Asylbewerber mit Helfern Gemüse an, die Leute vom Posthalterstadl organisierten ein großes Willkommensfest, ein Helferkreis gibt Deutschunterricht. Dennoch sind die Tage lang, sie sitzen vor der "Posta" und hören über Smartphones Nachrichten aus der Heimat. Sie warten. Nach Monaten auf der Flucht erleben sie in Schönau das Gegenteil von Rastlosigkeit: Trägheit.

Theater: Regisseur Sebastian Goller hat den Posthalterstadl vergangenes Jahr gegründet.

Regisseur Sebastian Goller hat den Posthalterstadl vergangenes Jahr gegründet.

(Foto: Mediendenk)

Um 17 Uhr treffen die Schauspieler ein, sofort herrscht fröhliche Stimmung. "Hast du deinen Text gelernt?" "I try, I try". Man kommuniziert auf Englisch, Deutsch, Französisch. Ein paar der Laienschauspielerinnen sind auch im Schönauer Helferkreis für Flüchtlinge aktiv. Barbara Wezel zum Beispiel, die auf Anti-Pegida-Demos nach München fährt und im Stück einen afrikanischen Flüchtling spielt. Sie lacht jedesmal aufmunternd, wenn sich einer der Afrikaner beim Lesen verheddert, als wolle sie sagen: Ist nicht schlimm, probier's weiter. "Manchmal möcht' ich die Buben einfach nur in den Arm nehmen", sagt sie, "denn es sind ja doch Buben, viele aus ihrer Familie rausgerissen." Sie weiß, dass sie sich da zurückhalten muss. Auch der Mitleidsreflex soll bei dem Projekt unterdrückt werden.

Im Stück probt der Bürgermeister des Dorfes eine Rede für den Besuch des Landtagsabgeordneten, als ihn die Nachricht erreicht, dass 32 Asylbewerber im "Kirchenwirt" untergebracht werden sollen. Sogleich sind alle in Aufruhr, der Pfarrer, der Bäcker, der Wirt. Die Flüchtlinge auf der anderen Seite, die allesamt (mehr oder weniger) bairisch sprechen, geraten erst mit den Zollbeamten, dann mit der Dorfgemeinde aneinander. Der Text ist komisch, skurril. Goller hat sich beim Schreiben an Komödien von Molière und Gogol orientiert, an Typen der "Commedia dell'arte". Das funktioniert erstaunlich gut. Die Asylbewerber wissen vielleicht nicht, wie ein gravitätischer, urbayerischer Landrat so drauf ist, aber sie kennen Chef-Untergebenen-Verhältnisse. "Wenn ich ihnen erkläre, der Bürgermeister ist ein Typ, der immer Recht haben will, auch wenn er falsch liegt, kennen die auch jemanden. Diese Typen gibt's scheinbar überall", sagt Goller.

Khalid Ahmed Qurane sagt auf Englisch, das Projekt sei für ihn eine Chance, sein Deutsch zu verbessern und sich in das Dorfleben Schönaus einzubringen, Einheimische kennenzulernen. Er ist 24 und stammt aus Somalia. Seine kleine Tochter kam während der Überfahrt von Libyen nach Lampedusa auf die Welt, im Schlepperboot. Er war nicht dabei, das Geld hatte zunächst nur für seine Frau gereicht, sie sollte zuerst in Italien sein, in Sicherheit, wie er sagt. Theater hat Qurane noch nie gespielt, jetzt ist er der Bäcker, der sich freut, dass die Flüchtlinge seinen Bienenstich kaufen. Er findet das lustig. Als Regisseur Goller anbot, statt zweimal die Woche jeden Tag eine kleine Probe zu machen, hat Qurane dafür gestimmt. "Wir haben ja nichts zu tun hier."

Seine Frau ist zum zweiten Mal schwanger. Er weiß, dass das Kind seine ersten Lebensmonate höchstwahrscheinlich in einem Fremdenzimmer der "Posta" von Schönau verbringen wird und nicht in einer eigenen Wohnung. Trotzdem lächelt er, fest entschlossen, dankbar zu sein.

Am Ende des Stückes "Mitten in Niederbayern", nach dem großen, fröhlich-lustigen Willkommensfest, brennt plötzlich das Haus der Asylbewerber. Es bleibt die Frage, wie es weitergeht mit den Menschen, die gerade erst angekommen sind. Regisseur Goller sagt, er wollte kein Stück mit "super Happy End" machen. Dann hat ihn die Realität in Deutschland beim Schreiben eingeholt.

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