Jonas Hector im DFB-Team:Unverwüstlicher Quereinsteiger

Germany v Australia - International Friendly

Jonas Hector beim Freundschaftsspiele Deutschland gegen Österreich im Fritz-Walter-Stadion in Kaiserslautern.

(Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Jonas Hector steht in der EM-Qualifikation gegen Polen vor seinem sechsten Länderspiel.
  • Der Aufstieg des Linksverteidigers begann mit einem Probetraining beim FC Bayern München.
  • Dort gab ihm Mehmet Scholl einen lebensverändernden Tipp.

Von Philipp Selldorf, Frankfurt

Als während der vergangenen Tage die An- und Verkaufsbörse den hektischen Mittelpunkt der Fußballwelt bildete, gab es auf der Erde keinen friedlicheren Ort als das Geißbockheim im Kölner Grüngürtel. Kein Makler trug Sonderangebote vor, keine Agenten sondierten, nicht mal englische Unterhändler erschienen, die unbedingt noch ein paar überzählige Millionen loswerden wollten.

Auf dem entfesselten Transfermarkt kamen der 1. FC Köln und seine Spieler selbst als Gegenstand von Gerüchten nicht vor, und auch Jonas Hector sagt, an ihn sei "nichts herangetragen worden". Ihn wundert es ein bisschen, dass er danach gefragt wird. "Für mich war immer klar, dass ich weiterhin in Köln spiele", erklärt er, offenbar vertritt er die Ansicht, dass dies ja wohl überall bekannt sei.

Der Traum vom EM-Gewinn winkt

Der FC darf sich freuen, dass der 25-jährige Verteidiger von niemandem in Versuchung geführt wurde, und dass er dies auch nicht zu vermissen scheint - eine Selbstverständlichkeit ist das aber keineswegs. Hector hat im vergangenen Jahr sehr beachtliche Karrierefortschritte gemacht, und es ist nicht abzusehen, wohin dieses seit Jahren schon stete Vorwärtskommen noch führen wird.

Es wäre nicht mal abwegig, wenn er des Nachts davon träumen würde, wie ihm Michel Platini die Hand schüttelt und Angela Merkel ihm ein gütiges Lächeln schenkt. Und dies vor 80 000 Menschen im Pariser Stade de France nach dem Europameisterschaftsendspiel gegen ohnmächtig unterlegene Italiener.

Aber erst mal wird Hector am Freitag im EM-Qualifikationsspiel gegen Polen sein sechstes Länderspiel bestreiten, denn es ist zu erwarten, dass er sich im internen Konkurrenzkampf um den Einsatz als Linksverteidiger durchsetzen wird, schon deswegen, weil es diesen Konkurrenzkampf zurzeit nur theoretisch gibt. Seine Konkurrenten heißen Marcel Schmelzer, Erik Durm oder Dennis Aogo, doch keiner von den Dreien hat jetzt eine Einladung für das Nationalteam erhalten. Der Bundestrainer hat zwar erklärt, dass er Schmelzer und Aogo "natürlich" beobachte, und dass er Durm "nach wie vor" für eine Begabung halte. Zurzeit hat er aber besonderen Gefallen an Jonas Hector gefunden, den er einerseits als Spieler und andererseits als gelehrigen Schüler schätzt.

Hector ist unverwüstlich

Sieht man dem Kölner Abwehrmann bei der Arbeit zu, könnte man ihn wegen seiner speziellen Motorik für einen Artverwandten von Thomas Müller halten. Hector spielt nicht so geschmeidig wie die Oberschüler, die von den Internaten der großen Vereine in den Profifußball einziehen, sein Bewegungsapparat scheint an einem anderen Ort programmiert worden zu sein.

Als Nachteil sieht er das nicht, "sonst säße ich ja nicht hier", sagt er, im sehr komfortablen DFB-Hotel sitzend. Fest steht, dass Hectors Motor einwandfrei funktioniert. Seit er 2010 den Oberligaklub SV Auersmacher und die saarländische Heimat verließ, um in Köln sein Glück als Fußballer zu versuchen, hat er sich als überaus robuste Einsatzkraft erwiesen: Zwei Jahre Regionalliga mit der U23 des FC, zwei Jahre zweite und ein Jahr erste Bundesliga mit den Profis - doch außer einem Bänderriss sowie einer Erkältung ist kein gesundheitlicher Zwischenfall dokumentiert.

Nicht nur seine Belastbarkeit und seine Zuverlässigkeit machen die Leute beim FC froh. Sie erfreuen sich auch daran, dass Hector nicht aufhört, die steigenden Ansprüche zu erfüllen. Sein Spiel ist mutiger und angriffslustiger geworden. Er lernt beharrlich dazu, das gehört zu seinen großen Vorzügen. Im ersten Bundesligajahr hat er nur zehn Spiele benötigt, bis er den Bundestrainer am Telefon hatte. "Ich war schon ziemlich aufgeregt, das muss ich sagen", erinnert er sich.

In Anbetracht seines ruhigen Temperaments und seiner zurückhaltenden Natur wird es ein recht kurzes Gespräch gewesen sein, das er mit Löw führte. Inzwischen hat er sich schon an die Einladungen gewöhnt, aber noch nicht an den Gedanken, dass daraus im nächsten Sommer die Berufung in den EM-Kader hervorgehen könnte. "Ich denke von Lehrgang zu Lehrgang", hat er sich vorgenommen.

Von der Traktor-Parade in die Bundesliga

Anders als die typischen Aufsteiger der heutigen Profiszene ist Hector nicht sprunghaft in die Karriere gestartet, sie ist stattdessen in vielen kleinen Schritten gereift, und es ist gerade deshalb eine steile Karriere, weil er als Jung-Nationalspieler mit seinen 25 Jahren schon vergleichsweise alt ist. Mit 19 feierte er noch auf einem Balkon in Auersmacher den Oberligaaufstieg, zuvor hatte es eine Traktor-Parade mit Blaskapellenunterstützung gegeben.

An eine Profi-Laufbahn, die Verwirklichung seiner Kindheitsträume, glaubte er kaum noch. Wenig später lud ihn der FC Bayern zum Probetraining mit der Drittliga-Mannschaft, die damals von Mehmet Scholl betreut wurde. Da war Hector prompt "ein Stück weit nervös: Ich kam aus einem Dorfverein, und dann ist man auf einmal an der Säbener Straße". Scholl empfahl ihm, es doch erst mal in der Regionalliga zu versuchen. Der 1. FC Köln und Jogi Löw danken ihm diesen Ratschlag bis heute.

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