Bundesfreiwilligendienst:Lernen fürs Leben

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Freiwillige Mitarbeiter sind für soziale Einrichtungen eine wichtige Hilfe. Doch seit der Zivildienst abgeschafft wurde, nimmt die Zahl der Bewerber ab.

Von Anna-Sophia Lang, Dachau

Viele soziale Einrichtungen im Landkreis haben zunehmend Schwierigkeiten, Freiwillige zu finden. Vor allem Malteser und Caritas berichten von sinkenden Bewerberzahlen beim Bundesfreiwilligendienst und für das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ). Der Arbeiterwohlfahrt (Awo) fehlen Freiwillige beim betreuten Wohnen, die Nachfrage bei den Kindertagesstätten ist jedoch riesig. Auch das Rote Kreuz muss Anwärter abweisen.

"Es hat uns kalt erwischt", sagt Thilo Wimmer, Fachdienstleiter der Kontaktstelle für Menschen mit Behinderung in Dachau, "wir erleben einen totalen Einbruch." Im vergangenen Jahr hatten noch mehrere Jugendliche den Bundesfreiwilligendienst in der Kontaktstelle absolviert, dieses Jahr hat sich nur einer beworben.

Auch Peter Ortner vom Fahrdienst der Malteser macht sich Sorgen. In den besten Zeiten arbeiteten dort 30 Zivis, seit der Abschaffung der Wehrpflicht und damit des Zivildienstes bewerben sich jedes Jahr nur zwei oder drei Jugendliche. Dieses Jahr war es sogar nur einer, neun Stellen sind noch frei. Lu Obesser leitet das betreute Wohnen der Awo in Altomünster. Es sei schwieriger geworden, Freiwillige zu gewinnen, sagt sie. "Man muss Werbung machen und die Stellen attraktiv machen." Auch sie hat noch keinen Freiwilligen für die Zeit von September an. Dann beginnt in den meisten Einrichtungen der Freiwilligendienst.

Bei den Maltesern werden die Freiwilligen auch im Menüservice eingesetzt. Dort versorgen sie vor allem Senioren mit Mahlzeiten. (Foto: Malteser)

Den Grund für den Bewerbermangel sehen die Vertreter der sozialen Einrichtungen vor allem im Wegfall des Zivildienstes. Er wurde 2011 abgeschafft. Der doppelte Abiturjahrgang im selben Jahr, der als Folge der flächendeckenden Einführung des G 8 in Bayern die Gymnasien verließ, federte die Entwicklung zunächst ab.

Laut Bayerischem Kultusministerium machten im Schuljahr 2010/11 mehr als 68 000 Schüler ihr Abitur, im Jahr darauf waren es nur noch rund 36 000. Zahlreiche Schulabgänger bekamen keinen Studienplatz. Inzwischen haben sich die Absolventenzahlen wieder normalisiert. Allerdings bewerben sich immer noch die meisten, weil sie keinen Studienplatz bekommen haben, wie Thomas Rapp bei den sozialen Diensten der Malteser beobachtet. Deshalb hoffen die sozialen Einrichtungen im Landkreis, dass im September noch Bewerbungen kommen, wenn die Studienplatzvergabe abgeschlossen ist.

Doch Helena Pielmeier von der Caritas vermutet noch andere Gründe hinter dem Rückgang der Freiwilligen. Sie macht einen gesellschaftlichen Trend mit verantwortlich, der es von Jugendlichen verlange, möglichst schnell in den Beruf einzusteigen. "Man lässt sich weniger Zeit", sagt sie, "die Devise ist Abi, schnell studieren, nebenher möglichst viele Praktika machen und mit 24 Jahren voll ausgebildet sein."

Ihr Kollege Thilo Wimmer sieht dahinter weniger einen gesellschaftlichen Trend als eine politisch gewollte Entwicklung. Sie zeige sich an der Einführung des achtjährigen Gymnasiums, einer immer früheren Einschulung und dem Umstieg von Diplom auf Bachelor, sagt er. So fällt den Vertretern von Caritas und Maltesern auf, dass die Bewerber für den Freiwilligendienst immer jünger werden. Bei den Maltesern, berichtet Thomas Rapp, seien die meisten erst 17 oder 18. Für manche Stellen kommen sie dann gar nicht in Frage: Wer Personen befördert, muss zum Beispiel länger als ein Jahr einen Führerschein haben.

"Es hat uns kalt erwischt", sagt Thilo Wimmer über die niedrigere Zahl an jugendlichen Helfern. (Foto: oh)

Für Caritas und Malteser bedeutet der Bewerbermangel, dass sie zusätzliches Personal einstellen oder Ehrenamtliche stärker einbeziehen müssen. Denn jeder Dienst soll erhalten bleiben, kein Angebot eingeschränkt werden. So manches könnte jedoch dadurch teurer werden: Bei den Urlaubsreisen der Kontaktstelle für Menschen mit Behinderung der Caritas, berichtet Helena Pielmeier, sei bisher immer ein Freiwilliger mitgefahren. Muss er durch einen festangestellten Mitarbeiter ersetzt werden, verteuert sich die Reise.

Auch die Senioren, die Lu Obesser betreut, leiden unter dem Wegfall der Freiwilligen. Denn dank ihnen ist das Betreuungsangebot größer: "Sie gehen mit den Bewohnern im Rollstuhl spazieren oder organisieren Veranstaltungen", sagt Obesser. Eine Kirchenführung und einen Computerkurs konnten die Senioren so schon mitmachen.

Das Soziale Jahr verändert das Leben

Doch auch die Jugendlichen selbst profitieren von dem Engagement. So wie Jonathan Weidle. Der 20-Jährige hat ein FSJ in der Kontaktstelle für Menschen mit Behinderung gemacht. Jeden Tag begleitete er einen 15-jährigen Autisten, der als besonders schwer im Umgang galt, weil er kaum kommunizieren konnte. Nach einem halben Jahr jedoch, erzählt Weidle, sei "fast eine kleiner Bruder-großer Bruder-Beziehung entstanden".

Lu Obesser leitet das betreute Wohnen der Awo in Altomünster. Sie hat Schwierigkeiten, genug Freiwillige zu finden. (Foto: oh)

Er ist froh, das FSJ gemacht zu haben, denn es hat sein Leben verändert. Davor hatte er zwei Semester Wirtschaftsingenieurwesen studiert, im Oktober fängt er mit Sozialer Arbeit an. In der Zwischenzeit hilft er weiter ehrenamtlich bei der Kontaktstelle. Doch auch persönlich hat er sich weiter entwickelt: Er fühlt sich selbstbewusster, kennt seine Grenzen und ist fähig, sich Schwächen einzugestehen. Vor allem aber, sagt er, achte er inzwischen viel mehr auf den einzelnen Menschen. Mit Behinderten geht er ganz selbstverständlich um. "Es ist egal, wie jemand ist", sagt er, "jeder ist es wert, dass man sich um ihn kümmert."

Das Bayerische Rote Kreuz (BRK), das Franziskuswerk und die Kindertagesstätten der Awo haben indes keine Probleme, ihre Freiwilligenstellen zu besetzen. "Wir müssen eher abweisen", sagt Awo-Mitarbeiterin Melanie Egerer. Sie glaubt, dass die Arbeit mit Kindern junge Menschen eher anspricht als die Arbeit mit Senioren. Diana Tielman vom BRK schätzt die Lage ähnlich ein. Dort arbeiten die Freiwilligen vor allem beim Rettungsdienst oder in Kindertagesstätten. Die meisten Freiwilligen wollten den jeweiligen Beruf später weiterverfolgen, sagt Tielman. Altenpflege sei für viele ein weniger attraktiver Beruf.

Wimmer hat bei der Caritas ähnliche Erfahrungen gemacht. Nun befürchtet er, dass durch den Rückgang der Freiwilligen auf Dauer immer weniger junge Menschen einen sozialen Beruf ergreifen. Doch er macht sich auch Sorgen, dass der heranwachsenden Generation Lebenserfahrung und Sozialkompetenz fehlt, wenn sich nur noch wenige freiwillig engagieren. "Das hat gesellschaftliche Auswirkungen."

© SZ vom 03.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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