Island in der EM-Qualifikation:Rudi Völler hatte Recht

Iceland vs The Netherlands

Arjen Robben im Duell mit Aron Gunnarsson (l.) und Gylfi Sigurdsson.

(Foto: Olaf Kraak/dpa)
  • Island könnte sich erstmals für eine Europameisterschaft qualifizieren.
  • Punktverluste im Spiel gegen die Niederlande am Donnerstagabend könnte Island verkraften.
  • Fast ein Prozent der isländischen Bevölkerung reist an.

Von Christopher Gerards

Ásgeir Sigurvinsson kann Rudi Völlers "Mist-und-Käse-Rede" nicht im Detail wiedergeben, aber ein paar Sätze hat er sich gemerkt. Am 6. September 2003 hatte Deutschland 0:0 gegen Island gespielt, kein sehr ruhmreicher Tag in der Geschichte des DFB. Wahrscheinlich würde die Republik sich nicht weiter an das Spiel erinnern, aber da gab es eben den Ausfall von Rudi Völler, dem damaligen Bundestrainer.

Im öffentlich-rechtlichen Fernsehen schimpfte er, live und drastisch, auf alle Gurus, die die Mannschaft zuvor kritisiert hatten. Er könne, sagte Völler, den "Käse" nicht mehr hören, und dass er zudem von "Scheißdreck" sprach, machte die Sache nicht besser.

Aber Völler sagte auch einen Satz, den Sigurvinsson, der damalige Trainer Islands, noch immer im Kopf hat: "Es kann doch keiner verlangen, dass wir hierher fahren und die Isländer 5:0 wegputzen." Da habe der Rudi schon Recht gehabt, sagt Sigurvinsson zwölf Jahre später, "das war auch damals schon so". Heute gilt das noch viel mehr.

Weniger Einwohner als Wuppertal

Am Donnerstagabend (20.45 Uhr, Liveticker auf SZ.de) spielt Island in Amsterdam gegen die Niederlande, es ist der siebte Spieltag der EM-Qualifikationsgruppe A. Island ist Erster, Holland hinter Tschechien Dritter, fünf Punkte liegen zwischen diesen Teams. Ergebnis im Hinspiel: 2:0 für Island. Vier Spieltage stehen noch aus in der Gruppe, der Erste und Zweite qualifizieren sich sicher für die EM. Es spricht daher einiges dafür, dass der isländische Fußball in Deutschland bald nicht mehr zuallererst auf Völlers Mist-und-Käse-Worte reduziert wird. Island, ein Land mit weniger Einwohnern als Wuppertal, könnte sich für eine Fußball-Europameisterschaft qualifizieren, zum allerersten Mal.

Was ist da passiert? Ásgeir Sigurvinsson, 60, spricht ein sehr nordeuropäisches Deutsch, etwas kantig, aber er findet die Worte, die er benötigt. Neun Jahre hat er in Deutschland gespielt, ein Jahr bei den Bayern, acht Jahre beim VfB Stuttgart. Sigurvinsson sagt: "Es gibt viele Gründe für die Entwicklung des isländischen Fußballs." In seiner Zeit als Nationaltrainer, zwischen 2003 und 2005, liefen die meisten gerade an.

Hallen, Kunstrasen und Mini-Felder

Die Fußballer in Island konnten lange nur schwerlich im Winter trainieren. Es schneite, es regnete, es stürmte, das machte die Plätze kaum bespielbar. Doch seit dem Jahr 2000 wurden nach Angaben der Fifa 15 große und vier kleinere Hallen zum Fußballspielen gebaut; außerdem 22 Kunstrasenplätze und mehr als 100 kleine Felder an Schulen. Ein paar neue Hallen klingen nicht nach einer Revolution. Andererseits leben in Island auch nur 330.000 Menschen.

"Ich denke, dass wir uns durch diese Hallen technisch mit Sicherheit um 50 Prozent verbessert haben", sagt Sigurvinsson. Außerdem habe der Verband die Ausbildung der Trainer verbessert: "Früher, in den Dörfern, war halt irgendeiner da, der hat das gemacht. Wenn ich heute eine Mannschaft trainieren will, muss ich eine Prüfung machen." Das Ergebnis dieser Entwicklungen erlebte Deutschland bereits 2010. In der Qualifikation zur EM scheiterte die deutsche U21 als Gruppendritter, gegen Island verlor sie die entscheidende Begegnung 1:4. Mit dabei: Mats Hummels, Benedikt Höwedes, Kevin Großkreutz, Marcel Schmelzer und Lars Bender - drei von ihnen wurden 2014 in Brasilien Weltmeister.

Von Platz 112 auf Platz 24

Auch einige der isländischen Spieler von damals sind heute im Kader der A-Mannschaft: Kolbeinn Sightórsson vom FC Nantes, Aron Gunnarsson von Cardiff City, Birkir Bjarnason vom FC Basel, Alfred Finnbogasson von Olympiakos Piräus und Gylfi Sigurdsson von Swansea City. Trainer ist Lars Lagerbäck, ein Schwede, und beinahe hätte sich Island unter ihm für die WM in Brasilien qualifiziert. Erst in den Play-Offs setzte sich das fußballerisch deutlich bedeutendere Kroatien durch. Auch die Fifa-Weltrangsliste verdeutlicht Islands Entwicklung: Von Platz 112 im Jahr 2010 gelang der Sprung bis auf Rang 24.

3000 isländische Fans wollen am Donnerstag das Spiel gegen die Niederlande in Amsterdam sehen, fast ein Prozent der Bevölkerung besteigt also den Flieger. Hollands Kapitän Arjen Robben hat vorab von einem "Spiel um Tod oder Gladiolen" gesprochen. Ásgeir Sigurvinsson hingegen findet, dass Island nicht unbedingt gewinnen muss. Es folgen noch zwei Heimspiele, erst gegen Kasachstan, dann gegen Lettland, den letzten und vorletzten der Gruppe. Am letzten Spieltag reisen die Isländer in die Türkei.

Sigurvinsson lobt den Stil der isländischen Mannschaft, die gute Organisation, den Willen, die Körperlichkeit. "Das sind keine Brasilianer", sagt Sigurvinsson zwar. Aber: Es sind Isländer. Das heißt inzwischen auch etwas.

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