Flüchtlinge in Deutschland:Hey! Ihr heimatliebenden Zustandsbewahrer...

Flüchtlinge in Deutschland: Willkommen? - Ein Flüchtlingszug passiert die Grenze zwischen Österreich und Ungarn.

Willkommen? - Ein Flüchtlingszug passiert die Grenze zwischen Österreich und Ungarn.

(Foto: AFP)

... ihr empathielosen Wüteriche und deutschen Kosten-Nutzen-Denker: Ihr werdet lauter - aber ihr seid nicht das Volk.

Von Sebastian Gierke

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Best of SZ.de 2015 - immer zum Jahresende sammeln wir die Lieblingsgeschichten der Redaktion, die am häufigsten von Lesern weiterempfohlen wurden. Diese Geschichte ist eine von ihnen. Alle lesen...

"Es schien geschwollen von Gift, die durchsichtige Haut spielte in allen Farben, und man sah die Eingeweide sich winden wie Gewürm. Es war groß genug, um Furcht einzuflößen; dabei öffnete es die Krebsscheren nach allen Seiten rund um den ganzen Leib; bald hüpfte es wie ein Frosch, dann kroch es wieder mit ekelhafter Beweglichkeit auf einer unzähligen Menge kleiner Füße. Mit Entsetzen wandte ich mich weg: da es mich aber verfolgen wollte, fasste ich Mut, warf es mit einem kräftigen Stoß auf den Rücken und sogleich schien es mir nichts als ein gemeiner Frosch. Ich erstaunte nicht wenig, und noch mehr, da plötzlich Jemand ganz dicht hinter mir sagte: Das ist die öffentliche Meinung." (Friedrich Schlegel, 1799)

Ihr heimatliebenden Zustandsbewahrer, emphatielosen Wüteriche, wunderlichen Nicht-Neger, aufrechten Stehpinkler, verkrampften Gutmenschen-Schlechtfinder. Ihr deutschen Kosten-Nutzen-Denker. Ihr besorgten Patrioten. Ihr IchbinkeinNaziaber-Sager, Ihr IchkenneauchnetteTürken-Kartoffeln, ihr unkorrekten Pegidisten, ihr nationalen Oberlehrer.

Es ist 2015. Und ihr kommt aus euren Löchern ans Licht gekrochen.

In Deutschland brennen Flüchtlingsunterkünfte und - gar nicht klammheimlich - applaudiert ihr. Auf der Straße. Im Internet. 71 Menschen sterben in einem LKW - und ihr schreit nach mehr.

Ihr seid nur ein kleiner Bruchteil der Menschen hierzulande. Aber ihr werdet lauter. Ihr bezeichnet euch, während ihr herumschreit, als schweigende Mehrheit. Und je lauter ihr schreit, desto mehr euresgleichen antworten. Eure Angst füttert sich selbst. Und plötzlich deliriert ihr: Wir sind viele. Wir sind das Volk.

Seid ihr nicht.

Es ist an der Zeit, an ein paar Standards zu erinnern. Zum Beispiel diesen hier: Es reicht nicht, eine Meinung zu haben. Man sollte sie auch begründen können. Und nein, nicht jede Meinung ist gleich viel wert.

Es gibt sie nicht, die Gleichheit aller Argumente. Eine unsinnige Behauptung ist: unsinnig. Sonst nichts. Eure unsinnigen Behauptungen sind: unsinnig. Und nein, nicht in jedem Unsinn steckt irgendwas Verwertbares. Und für ausgeschlossene Argumente braucht es kein Mitleid.

Es gibt keine Diskussion mit euch. Grundrechte sind keine Verhandlungssache.

Was euch definiert ist das, was ihr ablehnt

Mit euch zu kämpfen, lohnt sich nicht. Eure Gesichter wirken zubetoniert, auf euren Seelen ist Staub. Ihr reitet auf euren Prinzipien ins Reich der Sorge. Nur dort könnt ihr überleben. Nur dort seid ihr König. Nur dort könnt ihr brutale Stahlgerüste an hässlichen Luftschlössern hochziehen.

Was euch definiert ist einzig das, was ihr ablehnt.

Ihr habt keine Ideale. Außer Sicherheit und Komfort und Nation. Alles was diese krude Dreifaltigkeit aus eurer Sicht bedroht, lehnt ihr ab. Eine Gesellschaft mit solchen Idealen stagniert nicht nur, sie verrottet.

Ihr verwechselt Selbstverachtung mit Selbstbewusstsein

Eure Identität ist national. Und weil man diese Identität nicht spürt, wenn sie nicht in Gefahr ist, lasst ihr sie ständig künstlich in Gefahr geraten. Weil ihr nichts mehr sehen könnt, beginnt ihr zu fantasieren. Eure Sehnsucht ist nichts anderes als nostalgisch verklärte Erinnerung an etwas, das es nie gab.

Ihr verwechselt Selbstverachtung mit Selbstbewusstsein. Niedertracht mit Humor. Kriecherei mit Anstand. Willfährigkeit mit Bodenständigkeit. Bosheit mit Charakter. Schadenfreude mit Lebensfreude.

Ihr nennt euch Asylkritiker, doch ihr seid Fremdenfeinde. Ihr seht Deutschland in Gefahr. Doch eine Gefahr seid ihr einzig für euch selbst. Nichts scheint euch wichtiger zu sein, als unter euresgleichen zu bleiben. Hätten wir nur eine einsame Insel übrig - auf der euch Asyl gewährt wird.

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