Handball:Der Weg des Argentiniers

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"Ich bin ein großes Risiko eingegangen": Sebastian Scovenna will Handball-Profi werden, so fand er den Weg nach Fürstenfeldbruck. (Foto: Günther Reger)

Nationalspieler Sebastian Scovenna wollte eigentlich Handball-Profi werden, nun hat er beim Drittligisten TuS Fürstenfeldbruck angeheuert. Auch wenn es für den 30-Jährigen nichts mit seinem Berufswunsch werden wird, erhofft er sich in Deutschland eine bessere Perspektive

Von Fabian Swidrak, München

Kurz nach Weihnachten bekam Martin Wild die erste Mail: Argentinier sucht Handball-Klub in Deutschland. "Ob wir noch Verstärkung brauchen können", habe er wissen wollen, erinnert sich der Trainer von Drittligist TuS Fürstenfeldbruck. "Ich habe das nicht für voll genommen und erst einmal links liegen lassen", gesteht Wild. Doch Sebastian Scovenna blieb hartnäckig und meldete sich immer wieder. Am Samstag (19.30 Uhr) gibt Fürstenfeldbruck gegen den TV Großwallstadt sein Heimdebüt, gleich zu Beginn der Saison ein Höhepunkt gegen den abgestürzten Traditionsklub. Die Brucker werden die Gelegenheit nutzen und ein großes Event aus dem Spieltag machen, das Vorspiel bestreiten die Frauen des ASV Dachau im DHB-Pokal gegen den Zweitligisten Herrenberg - sozusagen der Appetithappen. Die Halle wird wohl voll sein, der TuS darf durchaus 1000 Zuschauer erwarten. Sportlich sieht Brucks Trainer Wild die Seinen auf Augenhöhe, nicht zuletzt dank Zugang Scovenna. Wild sagt: "Sebastian bringt uns weiter. Definitiv."

Scovenna liebt Handball. In Buenos Aires war Freizeit gleich Handball. Mit seinem Heimatverein S.A.G. Villa Ballester wurde er argentinischer Meister und empfahl sich so für den erweiterten Kader der Nationalmannschaft. Aber: Handball war gleich Freizeit. Und das reichte Scovenna nicht aus. Er wollte mehr, er träumte von einer Karriere als Profispieler. In Argentinien ist das unmöglich. Trotz aller Fortschritte sind die Südamerikaner ein Handball-Entwicklungsland. Scovenna also kündigte seinem Arbeitgeber, verließ Freunde und Familie und kam nach Europa - ohne zu wissen, ob er dort einen neuen Job und einen neuen Klub finden würde. "Ich bin ein großes Risiko eingegangen", sagt der 30-Jährige. "Aber niemand konnte mich umstimmen."

Bei zahlreichen Vereinen spielte der 1,80 Meter große Linksaußen nach seiner Ankunft im Juli vor. In der Schweiz, in Italien und in Deutschland. Dort eben auch bei Drittligist Fürstenfeldbruck. Stets hatte sich Scovenna zuvor per Mail von Argentinien aus bei den einzelnen Klubs ins Gespräch gebracht. "Ich war skeptisch, habe mir da keine großen Hoffnungen gemacht", verrät Wild. Seine Meinung habe er aber schnell revidiert: "Nach dem Training war klar, dass ich ihn haben will." Die Position des Linksaußen ist in Fürstenfeldbruck durch Andreas Knorr stark besetzt, der aber verletzte sich schwer, wird lange ausfallen. Auch daher rührte Wilds plötzlicher Sinneswandel.

"Das war ein Zeichen", sagt Scovenna, "dafür, dass das hier meine Chance ist." Wild hingegen betont, man dürfe nicht zu viel vom Argentinier erwarten: "Unser offensives Spiel liegt ihm, aber er agiert teilweise unorthodox und wird sich daran gewöhnen müssen, konzeptioneller zu spielen." Sebastian Scovenna hat fast alles aufgegeben, um in Fürstenfeldbruck Handball zu spielen. Der Traum von der Profi-Karriere ist noch nicht in Erfüllung gegangen, sein Alter macht wenig Hoffnung für die Zukunft. Vom TuS erhält der Argentinier nur eine geringe Aufwandsentschädigung, sein Geld verdient er bei einem Versandhändler für Sportbekleidung. Das finanziell viel lukrativere Angebot eines großen Münchner Unternehmens schlug er aus, weil er es dann ab und an nicht zum Training geschafft hätte. "Ich musste ehrlich zu mir selbst sein. Handball ist der Grund, warum ich in Deutschland bin." Es klingt fast schon absurd, wenn er das sagt, wenn er wie ein sorgloser Junge über seinen geliebten Sport spricht, leichtsinnig, unvernünftig. Scovenna ist aber ein erwachsener Mann, 30 Jahre alt, gebildet. Wer ihm länger zuhört, merkt auch: Er ist sehr wohl im Stande, seine Leistung richtig einzuschätzen, weiß, dass es für mehr als die dritte Liga derzeit nicht reicht. Aber Scovenna ist ehrgeizig und weiß sehr genau, was er will. Ihm geht es nicht nur um Handball, Deutschland ist für ihn auch die Chance auf ein besseres Leben.

Sein Job in Argentinien machte ihm keinen Spaß, die Aussichten auf einen besseren waren schlecht. In Europa sieht das ganz anders aus. Auch die Entscheidung für Deutschland war keine willkürliche. Scovennas Großmutter ist Deutsche und wanderte vor vielen Jahren nach Argentinien aus, er hat die doppelte Staatsbürgerschaft. "Als ich in den Kindergarten kam, konnte ich super Deutsch, aber kaum Spanisch", sagt er. Auch in München hat er bereits gelebt. Nach seinem Bachelorabschluss in internationalem Handel arbeitete er ein Jahr lang für einen großen deutschen Autokonzern, zog dann aber weiter ins niederländische Maastricht, um seine Aufstiegschancen mit einem Masterstudium zu verbessern. Anschließend ging er zurück nach Argentinien.

"Ich unterscheide zwischen Traum und Ziel", sagt er. "Von einem Jahr als Profihandballer und von der argentinischen Nationalmannschaft träume ich." Sein Ziel aber sei es, sich in Deutschland ein besseres Leben aufzubauen - dabei ist er auf einem guten Weg. Für seinen Traum allerdings ist Fürstenfeldbruck nicht nur die wohl letzte Chance, sondern auch eine kleine. Es erscheint unmöglich, sich beim klammen Abstiegskandidaten für höhere Aufgaben in der zweiten Liga zu empfehlen. "Das weiß ich", sagt Scovenna. Es stört ihn aber nicht. Er fühle sich sehr wohl in Fürstenfeldbruck und wolle zunächst Stammspieler werden. Dann lacht er: "Für einen Argentinier habe ich es im Handball schon weit gebracht."

© SZ vom 05.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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