Szene:Fluch des Erfolgs

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  • Im ehemaligen Gasthauses "Alt Giesing" in der Tegernseer Landstraße 93 ist ein Ort für Kunst, Musik und Begegnungen aller Art entstanden.
  • Doch jetzt gab es Beschwerden der Nachbarn - und der Kunstraum muss wohl schließen.

Von DIRK WAGNER, München

Im Schein der Lichtinstallation von Lorenz Straßl singt Nikos Papadopoulos, begleitet von den Münchner Szenestars Albert Pöschl ( Echokammer), Daniel Murena ( Murena Murena) und Josip Pavlov ( Majmoon) griechische Lieder. Grexit heißt jene neue Münchner Punkformation, die Ende August im "Temporären Archiv für Gegenwart" nicht nur Punks begeistert.

Während des Konzerts übernimmt eine zufällig anwesende Griechin das Mikrofon und ergänzt ohne vorherige Absprache das Programm um ein weiteres griechisches Lied. In den hinteren Reihen des ehemaligen Gasthauses Alt Giesing in der Tegernseer Landstraße 93 stehen die Menschen auf den Bänken, um neugierig das Geschehen auf der kleinen Bühne im vorderen Eck zu verfolgen.

"Hier begegnen sich Menschen aus unterschiedlichen Schichten. Sogar Banker kommen vorbei, Rechtsanwälte, Kunstsammler und Punks. Sowie viele Bewohner aus Giesing, denen einfach der Raum für solche Begegnungen fehlt", sagt die Kunsthistorikerin Constance Maerz, die hier zusammen mit acht Künstlern wie Raymond Gantner und Marcel Ralle von den Cloneheadz bis Ende September eine "soziale Plastik", wie sie es nennt, schafft.

Mehr als dreißig Münchner Künstler stellen in einer solchen sozialen Plastik aus, in der neben Konzerten und Lesungen auch Workshops stattfinden, die zum Beispiel Straßenpunks vermitteln, wie man aus Getränkedosen Aschenbecher bastelt oder ähnlich hübsche Dinge für den Haus- und Straßen-Gebrauch.

"Sehr gut kam auch unser Arbeiter-Kino in Kooperation mit dem Werkstattkino an", resümiert Gantner das vielseitige Programm, das noch bis Ende September geplant ist. Sämtliche Aktionen in dem bis dahin zwischengenutzten Wirtshaus werden dokumentiert.

"Am Ende erscheint ein Buch mit Fotos und Zitaten aus dem Temporären Archiv der Gegenwart im Vistvunkverlag, sowie eine Doppel-LP, die Ausschnitte aus gut 25 mitgeschnittenen Konzerten und Lesungen möglicherweise auch als Remix zusammenfasst", erklärt Marcel Ralle die von Anfang an mit bedachte Auswertung einer Arbeit, die ob ihres Erfolgs allerdings gefährdet ist.

Weil dieser von den Künstlern geschaffene Ort der Begegnung nämlich von auffällig vielen Besuchern genutzt wird, sehen sich prompt wieder einige Anwohner in ihrer Ruhe gestört. Wobei nicht die Konzerte selbst stören. Die sind nämlich relativ leise und ohnehin schon um 22 Uhr beendet. Das Problem ist einmal mehr ein Nichtraucher-Schutzgesetz, das die Besucher auch dieser Kunstaktion zwingt, im Bedarfsfall vor der Tür zu qualmen, wo kein Schallschutz die Anwohner dann vor dem Geschwätz der Raucher schützt.

"Weil wir noch dazu einen besonders heißen Sommer hatten, gingen viele unserer Besucher auch mal vor die Tür, um frische Luft zu schnappen", erklärt Maerz die vielen Beschwerden, die ihr seit der Eröffnung am 16. Juli gleich mehrere Anzeigen wegen Ruhestörung einbrachten.

"Obwohl der Besucherandrang die Notwendigkeit eines solchen Ortes unterstreicht, scheint es in München unmöglich zu sein, einen nichtkommerziellen Ort für Subkultur zu generieren, ohne dass einem gleich unzählige Steine in den Weg gelegt werden", schimpft Gantner über ein stadtbekanntes Problem.

Zwischenzeitlich wurden die Veranstalter sogar behördlich aufgefordert, ihren Laden zu schließen. Ob der nun am Wochenende wieder für die Öffentlichkeit zugänglich ist, wird derzeit noch beraten. In jedem Fall ist mit einer Entschlackung des geplanten Kulturprogramms zu rechnen.

© SZ vom 09.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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